gerischen, die melancholische die sentimentalen, sehn¬ süchtigen, klagenden, die phlegmatische die zufriednen, idyllischen Lieder hervor. Der Gegenstand der erstern ist vorzüglich Liebe, Lust und Wein, der zweiten Vaterland, Ehre, Freiheit, Krieg, der dritten die klagende Liebe, Tugend, Religion, der letzten die Landschaft, das Stillleben, die Familie. Der Form nach entspricht der ersten vorzüglich das gesellige Lied, der zweiten die Ode und Dithyrambe, der drit¬ ten die Elegie und der Hymnus, der vierten die poe¬ tische Erzählung, die mahlerische Schilderung.
Die sanguinischen Lieder der Lust und des frohen Genusses sind ausserordentlich zahlreich, aber sie fallen gleich den Lustspielen allzuoft ins Süßliche, Sentimentale, oder ins Gemeine, wenn ich so sa¬ gen darf, Gefräßige, oder ins Spielende bis zur Albernheit. Der eine Dichter, besonders aus der Schule Gleim's, Mathisson's, Tiedge's etc. erinnert sich mitten in der Lust an irgend eine langweilige Tugend, die ihn schulmeisterlich zur Mäßigung nö¬ thigt, oder citirt den Anakreon und Horaz und ko¬ kettirt mit einer in den Armen der Liebe oder beim Weinglas sehr pedantischen Classicität. Der andre, besonders aus der Schule von Voß, Bürger etc. will den Volkston halten, und lobpreist die derbe Haus¬ mannskost. Ein dritter endlich, besonders aus der Schule von Göthe, will zart seyn und raffinirt und moralisch dazu, und tändelt nur wie ein Castrat. Doch besitzen wir sehr vortreffliche einzelne Lieder
geriſchen, die melancholiſche die ſentimentalen, ſehn¬ ſuͤchtigen, klagenden, die phlegmatiſche die zufriednen, idylliſchen Lieder hervor. Der Gegenſtand der erſtern iſt vorzuͤglich Liebe, Luſt und Wein, der zweiten Vaterland, Ehre, Freiheit, Krieg, der dritten die klagende Liebe, Tugend, Religion, der letzten die Landſchaft, das Stillleben, die Familie. Der Form nach entſpricht der erſten vorzuͤglich das geſellige Lied, der zweiten die Ode und Dithyrambe, der drit¬ ten die Elegie und der Hymnus, der vierten die poe¬ tiſche Erzaͤhlung, die mahleriſche Schilderung.
Die ſanguiniſchen Lieder der Luſt und des frohen Genuſſes ſind auſſerordentlich zahlreich, aber ſie fallen gleich den Luſtſpielen allzuoft ins Suͤßliche, Sentimentale, oder ins Gemeine, wenn ich ſo ſa¬ gen darf, Gefraͤßige, oder ins Spielende bis zur Albernheit. Der eine Dichter, beſonders aus der Schule Gleim's, Mathiſſon's, Tiedge's ꝛc. erinnert ſich mitten in der Luſt an irgend eine langweilige Tugend, die ihn ſchulmeiſterlich zur Maͤßigung noͤ¬ thigt, oder citirt den Anakreon und Horaz und ko¬ kettirt mit einer in den Armen der Liebe oder beim Weinglas ſehr pedantiſchen Claſſicitaͤt. Der andre, beſonders aus der Schule von Voß, Buͤrger ꝛc. will den Volkston halten, und lobpreist die derbe Haus¬ mannskoſt. Ein dritter endlich, beſonders aus der Schule von Goͤthe, will zart ſeyn und raffinirt und moraliſch dazu, und taͤndelt nur wie ein Caſtrat. Doch beſitzen wir ſehr vortreffliche einzelne Lieder
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geriſchen, die melancholiſche die ſentimentalen, ſehn¬
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idylliſchen Lieder hervor. Der Gegenſtand der erſtern
iſt vorzuͤglich Liebe, Luſt und Wein, der zweiten
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Landſchaft, das Stillleben, die Familie. Der Form
nach entſpricht der erſten vorzuͤglich das geſellige
Lied, der zweiten die Ode und Dithyrambe, der drit¬
ten die Elegie und der Hymnus, der vierten die poe¬
tiſche Erzaͤhlung, die mahleriſche Schilderung.
Die ſanguiniſchen Lieder der Luſt und des
frohen Genuſſes ſind auſſerordentlich zahlreich, aber
ſie fallen gleich den Luſtſpielen allzuoft ins Suͤßliche,
Sentimentale, oder ins Gemeine, wenn ich ſo ſa¬
gen darf, Gefraͤßige, oder ins Spielende bis zur
Albernheit. Der eine Dichter, beſonders aus der
Schule Gleim's, Mathiſſon's, Tiedge's ꝛc. erinnert
ſich mitten in der Luſt an irgend eine langweilige
Tugend, die ihn ſchulmeiſterlich zur Maͤßigung noͤ¬
thigt, oder citirt den Anakreon und Horaz und ko¬
kettirt mit einer in den Armen der Liebe oder beim
Weinglas ſehr pedantiſchen Claſſicitaͤt. Der andre,
beſonders aus der Schule von Voß, Buͤrger ꝛc. will
den Volkston halten, und lobpreist die derbe Haus¬
mannskoſt. Ein dritter endlich, beſonders aus der
Schule von Goͤthe, will zart ſeyn und raffinirt und
moraliſch dazu, und taͤndelt nur wie ein Caſtrat.
Doch beſitzen wir ſehr vortreffliche einzelne Lieder
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/260>, abgerufen am 23.11.2024.
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