deß hat Schelling das unsterbliche Verdienst, den Schlüssel zu dieser Forschung innerhalb jener Gränzen gefunden zu haben. Wir haben in der That noch nicht so viele Muße übrig, uns mit dem zu beschäf¬ tigen, was wir nicht wissen können; es ist noch un¬ endlich viel zu lernen, was wir möglicherweise wis¬ sen können, aber eben noch nicht wissen. In diesem Sinn muß man Schelling's Lehre nehmen. Er führt die dummen gaffenden Zuschauer nicht vor das Wun¬ der der absoluten Wahrheit, und sagt: Da ist es, nun seht euch satt daran! sondern er führt nur die lernbegierigen und geistesthätigen Schüler auf eine gewisse Anhöhe und zeigt ihnen von da die unerme߬ liche Aussicht in die ganze Runde der Natur und heißt sie nun selber weiter forschen und suchen. Schel¬ ling hat die höhere Wissenschaft der Natur nicht be¬ schlossen, sondern vielmehr erst eröffnet, und man kann von ihm nicht lernen, bis wohin die Forschung, sondern wovon sie ausgeht.
Schelling hat gefunden, daß alle Erscheinungen der Natur, die er kennt, Gegensätze bilden, und daraus den Schluß gezogen, daß überhaupt der Ge¬ gensatz die einzige Form ist, in welcher die Natur sich dem Menschen offenbart. Es komme daher nur darauf an, diesen Gegensatz durch alle Stufen und Reiche der Natur consequent durchzuführen, so weit überhaupt die Natur erkennbar ist. Da alles im Ge¬ gensatz begriffen sey, so könne weder ein einzelner Gegenstand der Natur, noch auch eine allgemeine
deß hat Schelling das unſterbliche Verdienſt, den Schluͤſſel zu dieſer Forſchung innerhalb jener Graͤnzen gefunden zu haben. Wir haben in der That noch nicht ſo viele Muße uͤbrig, uns mit dem zu beſchaͤf¬ tigen, was wir nicht wiſſen koͤnnen; es iſt noch un¬ endlich viel zu lernen, was wir moͤglicherweiſe wiſ¬ ſen koͤnnen, aber eben noch nicht wiſſen. In dieſem Sinn muß man Schelling's Lehre nehmen. Er fuͤhrt die dummen gaffenden Zuſchauer nicht vor das Wun¬ der der abſoluten Wahrheit, und ſagt: Da iſt es, nun ſeht euch ſatt daran! ſondern er fuͤhrt nur die lernbegierigen und geiſtesthaͤtigen Schuͤler auf eine gewiſſe Anhoͤhe und zeigt ihnen von da die unerme߬ liche Ausſicht in die ganze Runde der Natur und heißt ſie nun ſelber weiter forſchen und ſuchen. Schel¬ ling hat die hoͤhere Wiſſenſchaft der Natur nicht be¬ ſchloſſen, ſondern vielmehr erſt eroͤffnet, und man kann von ihm nicht lernen, bis wohin die Forſchung, ſondern wovon ſie ausgeht.
Schelling hat gefunden, daß alle Erſcheinungen der Natur, die er kennt, Gegenſaͤtze bilden, und daraus den Schluß gezogen, daß uͤberhaupt der Ge¬ genſatz die einzige Form iſt, in welcher die Natur ſich dem Menſchen offenbart. Es komme daher nur darauf an, dieſen Gegenſatz durch alle Stufen und Reiche der Natur conſequent durchzufuͤhren, ſo weit uͤberhaupt die Natur erkennbar iſt. Da alles im Ge¬ genſatz begriffen ſey, ſo koͤnne weder ein einzelner Gegenſtand der Natur, noch auch eine allgemeine
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deß hat Schelling das unſterbliche Verdienſt, den
Schluͤſſel zu dieſer Forſchung innerhalb jener Graͤnzen
gefunden zu haben. Wir haben in der That noch
nicht ſo viele Muße uͤbrig, uns mit dem zu beſchaͤf¬
tigen, was wir nicht wiſſen koͤnnen; es iſt noch un¬
endlich viel zu lernen, was wir moͤglicherweiſe wiſ¬
ſen koͤnnen, aber eben noch nicht wiſſen. In dieſem
Sinn muß man Schelling's Lehre nehmen. Er fuͤhrt
die dummen gaffenden Zuſchauer nicht vor das Wun¬
der der abſoluten Wahrheit, und ſagt: Da iſt es,
nun ſeht euch ſatt daran! ſondern er fuͤhrt nur die
lernbegierigen und geiſtesthaͤtigen Schuͤler auf eine
gewiſſe Anhoͤhe und zeigt ihnen von da die unerme߬
liche Ausſicht in die ganze Runde der Natur und
heißt ſie nun ſelber weiter forſchen und ſuchen. Schel¬
ling hat die hoͤhere Wiſſenſchaft der Natur nicht be¬
ſchloſſen, ſondern vielmehr erſt eroͤffnet, und man
kann von ihm nicht lernen, bis wohin die Forſchung,
ſondern wovon ſie ausgeht.
Schelling hat gefunden, daß alle Erſcheinungen
der Natur, die er kennt, Gegenſaͤtze bilden, und
daraus den Schluß gezogen, daß uͤberhaupt der Ge¬
genſatz die einzige Form iſt, in welcher die Natur
ſich dem Menſchen offenbart. Es komme daher nur
darauf an, dieſen Gegenſatz durch alle Stufen und
Reiche der Natur conſequent durchzufuͤhren, ſo weit
uͤberhaupt die Natur erkennbar iſt. Da alles im Ge¬
genſatz begriffen ſey, ſo koͤnne weder ein einzelner
Gegenſtand der Natur, noch auch eine allgemeine
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/24>, abgerufen am 24.11.2024.
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