Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

unterwiesen habe, und daß es sich wohl der Mühe
verlohne, ihn zu studieren; weil man durch ihn die
menschlichen Angelegenheiten gut zu verwalten, und
sich selbst dabei gut zu betragen lerne, und man da¬
her nach den Leitungen dieses Dichters sein eignes
Leben anordnen und führen müsse, so kann man sol¬
chen Leuten zwar nicht böse seyn, sondern muß ihnen
mit aller Freundlichkeit begegnen, weil sie nach ihrem
besten Vermögen treffliche Männer zu seyn suchen,
und man muß ihnen einräumen, daß Homer ein höchst
dichterischer Geist, und das Haupt der tragischen
Dichter sey; dabei aber zugleich merken, daß in den
Staat selbst von der Poesie nichts weiter aufgenom¬
men werden dürfe, als Gesänge zum Lobe der Göt¬
ter und zur Erhebung edler Thaten. Sobald du hin¬
gegen die süßliche Muse darin aufnimmst, sie sey
von lyrischer oder epischer Art, so werden auch die
willkürlichen Wallungen der Fröhlichkeit und Trau¬
rigkeit, statt Gesetz und Vernunft herrschen."

Schon Platon tadelt mit strengem Ernst die Ent¬
weihung der Dichtkunst durch die Enthüllung unna¬
türlicher Gelüste. Er wirft es dem Hesiod und Ho¬
mer vor, daß sie so viele obscöne und naturwidrige
Dinge von den Göttern erzählen. Er sagt mit vol¬
lem Recht: "wenn sich dergleichen auch in der Na¬
tur vorfände, so muß man sie doch unmündigen
und jungen Leuten nicht vorerzählen, sondern mehr
als irgend etwas verschweigen. Sollte jedoch irgend
eine Nothwendigkeit eintreten, davon zu reden, so

unterwieſen habe, und daß es ſich wohl der Muͤhe
verlohne, ihn zu ſtudieren; weil man durch ihn die
menſchlichen Angelegenheiten gut zu verwalten, und
ſich ſelbſt dabei gut zu betragen lerne, und man da¬
her nach den Leitungen dieſes Dichters ſein eignes
Leben anordnen und fuͤhren muͤſſe, ſo kann man ſol¬
chen Leuten zwar nicht boͤſe ſeyn, ſondern muß ihnen
mit aller Freundlichkeit begegnen, weil ſie nach ihrem
beſten Vermoͤgen treffliche Maͤnner zu ſeyn ſuchen,
und man muß ihnen einraͤumen, daß Homer ein hoͤchſt
dichteriſcher Geiſt, und das Haupt der tragiſchen
Dichter ſey; dabei aber zugleich merken, daß in den
Staat ſelbſt von der Poeſie nichts weiter aufgenom¬
men werden duͤrfe, als Geſaͤnge zum Lobe der Goͤt¬
ter und zur Erhebung edler Thaten. Sobald du hin¬
gegen die ſuͤßliche Muſe darin aufnimmſt, ſie ſey
von lyriſcher oder epiſcher Art, ſo werden auch die
willkuͤrlichen Wallungen der Froͤhlichkeit und Trau¬
rigkeit, ſtatt Geſetz und Vernunft herrſchen.“

Schon Platon tadelt mit ſtrengem Ernſt die Ent¬
weihung der Dichtkunſt durch die Enthuͤllung unna¬
tuͤrlicher Geluͤſte. Er wirft es dem Heſiod und Ho¬
mer vor, daß ſie ſo viele obſcoͤne und naturwidrige
Dinge von den Goͤttern erzaͤhlen. Er ſagt mit vol¬
lem Recht: „wenn ſich dergleichen auch in der Na¬
tur vorfaͤnde, ſo muß man ſie doch unmuͤndigen
und jungen Leuten nicht vorerzaͤhlen, ſondern mehr
als irgend etwas verſchweigen. Sollte jedoch irgend
eine Nothwendigkeit eintreten, davon zu reden, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="223"/>
unterwie&#x017F;en habe, und daß es &#x017F;ich wohl der Mu&#x0364;he<lb/>
verlohne, ihn zu &#x017F;tudieren; weil man durch ihn die<lb/>
men&#x017F;chlichen Angelegenheiten gut zu verwalten, und<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t dabei gut zu betragen lerne, und man da¬<lb/>
her nach den Leitungen die&#x017F;es Dichters &#x017F;ein eignes<lb/>
Leben anordnen und fu&#x0364;hren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o kann man &#x017F;ol¬<lb/>
chen Leuten zwar nicht bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;eyn, &#x017F;ondern muß ihnen<lb/>
mit aller Freundlichkeit begegnen, weil &#x017F;ie nach ihrem<lb/>
be&#x017F;ten Vermo&#x0364;gen treffliche Ma&#x0364;nner zu &#x017F;eyn &#x017F;uchen,<lb/>
und man muß ihnen einra&#x0364;umen, daß Homer ein ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
dichteri&#x017F;cher Gei&#x017F;t, und das Haupt der tragi&#x017F;chen<lb/>
Dichter &#x017F;ey; dabei aber zugleich merken, daß in den<lb/>
Staat &#x017F;elb&#x017F;t von der Poe&#x017F;ie nichts weiter aufgenom¬<lb/>
men werden du&#x0364;rfe, als Ge&#x017F;a&#x0364;nge zum Lobe der Go&#x0364;<lb/>
ter und zur Erhebung edler Thaten. Sobald du hin¬<lb/>
gegen die &#x017F;u&#x0364;ßliche Mu&#x017F;e darin aufnimm&#x017F;t, &#x017F;ie &#x017F;ey<lb/>
von lyri&#x017F;cher oder epi&#x017F;cher Art, &#x017F;o werden auch die<lb/>
willku&#x0364;rlichen Wallungen der Fro&#x0364;hlichkeit und Trau¬<lb/>
rigkeit, &#x017F;tatt Ge&#x017F;etz und Vernunft herr&#x017F;chen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Schon Platon tadelt mit &#x017F;trengem Ern&#x017F;t die Ent¬<lb/>
weihung der Dichtkun&#x017F;t durch die Enthu&#x0364;llung unna¬<lb/>
tu&#x0364;rlicher Gelu&#x0364;&#x017F;te. Er wirft es dem He&#x017F;iod und Ho¬<lb/>
mer vor, daß &#x017F;ie &#x017F;o viele ob&#x017F;co&#x0364;ne und naturwidrige<lb/>
Dinge von den Go&#x0364;ttern erza&#x0364;hlen. Er &#x017F;agt mit vol¬<lb/>
lem Recht: &#x201E;wenn &#x017F;ich dergleichen auch in der Na¬<lb/>
tur vorfa&#x0364;nde, &#x017F;o muß man &#x017F;ie doch unmu&#x0364;ndigen<lb/>
und jungen Leuten nicht vorerza&#x0364;hlen, &#x017F;ondern mehr<lb/>
als irgend etwas ver&#x017F;chweigen. Sollte jedoch irgend<lb/>
eine Nothwendigkeit eintreten, davon zu reden, &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0233] unterwieſen habe, und daß es ſich wohl der Muͤhe verlohne, ihn zu ſtudieren; weil man durch ihn die menſchlichen Angelegenheiten gut zu verwalten, und ſich ſelbſt dabei gut zu betragen lerne, und man da¬ her nach den Leitungen dieſes Dichters ſein eignes Leben anordnen und fuͤhren muͤſſe, ſo kann man ſol¬ chen Leuten zwar nicht boͤſe ſeyn, ſondern muß ihnen mit aller Freundlichkeit begegnen, weil ſie nach ihrem beſten Vermoͤgen treffliche Maͤnner zu ſeyn ſuchen, und man muß ihnen einraͤumen, daß Homer ein hoͤchſt dichteriſcher Geiſt, und das Haupt der tragiſchen Dichter ſey; dabei aber zugleich merken, daß in den Staat ſelbſt von der Poeſie nichts weiter aufgenom¬ men werden duͤrfe, als Geſaͤnge zum Lobe der Goͤt¬ ter und zur Erhebung edler Thaten. Sobald du hin¬ gegen die ſuͤßliche Muſe darin aufnimmſt, ſie ſey von lyriſcher oder epiſcher Art, ſo werden auch die willkuͤrlichen Wallungen der Froͤhlichkeit und Trau¬ rigkeit, ſtatt Geſetz und Vernunft herrſchen.“ Schon Platon tadelt mit ſtrengem Ernſt die Ent¬ weihung der Dichtkunſt durch die Enthuͤllung unna¬ tuͤrlicher Geluͤſte. Er wirft es dem Heſiod und Ho¬ mer vor, daß ſie ſo viele obſcoͤne und naturwidrige Dinge von den Goͤttern erzaͤhlen. Er ſagt mit vol¬ lem Recht: „wenn ſich dergleichen auch in der Na¬ tur vorfaͤnde, ſo muß man ſie doch unmuͤndigen und jungen Leuten nicht vorerzaͤhlen, ſondern mehr als irgend etwas verſchweigen. Sollte jedoch irgend eine Nothwendigkeit eintreten, davon zu reden, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/233
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/233>, abgerufen am 22.11.2024.