zu verwechseln, und zu einer Göttin zu erheben, was in Frankreich ewig nur eine Lustdirne bleibt. Die Sinnlichkeit wird zuerst von der Eitelkeit gerechtfer¬ tigt, dann vom Talent auch andern sogar zur Be¬ wunderung aufgestellt, aber was im Ursprung ge¬ mein ist, bleibt es auch in der glänzendsten, täu¬ schendsten, rührendsten Hülle. Die Kunst ist dem Edlen gewidmet, und wenn sie in vieler Hinsicht in Göthe den Liebling erkennt, so giebt sie sich doch nicht allen Launen seiner Muse Preis, und weiset die Ge¬ meinheit verderbter geselliger Verhältnisse, die über¬ zuckerte Darstellung des modernen Lasters, die Gour¬ mandise eines unnatürlichen Appetites, die Mücken¬ fängerei wollüstiger Reminiszenzen, die Koketterie der Männer und den Ritterdienst der Damen um die Männer, die Toilette des Mannes von fünfzig Jahren, die sybaritischen Wahlverwandtschaften und die Verhimmelung so manches Don Juan dem, ein ganz anderer Platz gebührt hätte, völlig über ihre Gren¬ zen hinaus. Muß schon die Kunst gegen diesen Mi߬ brauch ihrer edelsten Kräfte vertheidigt werden, so hat allerdings auch die Moral ein heiliges Recht, das schlechthin Unwürdige daran zu verdammen.
So wenig sich diese Schattenseiten bei Göthe verbergen, so täuschen sich doch die meisten Leser selbst darüber, indem sie entweder aus unbegreiflicher Gutmüthigkeit nicht sehn wollen, was sie sehen, oder sich bei der schwachen Seite fassen und beste¬ chen lassen. Göthe besaß im höchsten Grade das Ta¬
zu verwechſeln, und zu einer Goͤttin zu erheben, was in Frankreich ewig nur eine Luſtdirne bleibt. Die Sinnlichkeit wird zuerſt von der Eitelkeit gerechtfer¬ tigt, dann vom Talent auch andern ſogar zur Be¬ wunderung aufgeſtellt, aber was im Urſprung ge¬ mein iſt, bleibt es auch in der glaͤnzendſten, taͤu¬ ſchendſten, ruͤhrendſten Huͤlle. Die Kunſt iſt dem Edlen gewidmet, und wenn ſie in vieler Hinſicht in Goͤthe den Liebling erkennt, ſo giebt ſie ſich doch nicht allen Launen ſeiner Muſe Preis, und weiſet die Ge¬ meinheit verderbter geſelliger Verhaͤltniſſe, die uͤber¬ zuckerte Darſtellung des modernen Laſters, die Gour¬ mandiſe eines unnatuͤrlichen Appetites, die Muͤcken¬ faͤngerei wolluͤſtiger Reminiszenzen, die Koketterie der Maͤnner und den Ritterdienſt der Damen um die Maͤnner, die Toilette des Mannes von fuͤnfzig Jahren, die ſybaritiſchen Wahlverwandtſchaften und die Verhimmelung ſo manches Don Juan dem, ein ganz anderer Platz gebuͤhrt haͤtte, voͤllig uͤber ihre Gren¬ zen hinaus. Muß ſchon die Kunſt gegen dieſen Mi߬ brauch ihrer edelſten Kraͤfte vertheidigt werden, ſo hat allerdings auch die Moral ein heiliges Recht, das ſchlechthin Unwuͤrdige daran zu verdammen.
So wenig ſich dieſe Schattenſeiten bei Goͤthe verbergen, ſo taͤuſchen ſich doch die meiſten Leſer ſelbſt daruͤber, indem ſie entweder aus unbegreiflicher Gutmuͤthigkeit nicht ſehn wollen, was ſie ſehen, oder ſich bei der ſchwachen Seite faſſen und beſte¬ chen laſſen. Goͤthe beſaß im hoͤchſten Grade das Ta¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0231"n="221"/>
zu verwechſeln, und zu einer Goͤttin zu erheben, was<lb/>
in Frankreich ewig nur eine Luſtdirne bleibt. Die<lb/>
Sinnlichkeit wird zuerſt von der Eitelkeit gerechtfer¬<lb/>
tigt, dann vom Talent auch andern ſogar zur Be¬<lb/>
wunderung aufgeſtellt, aber was im Urſprung ge¬<lb/>
mein iſt, bleibt es auch in der glaͤnzendſten, taͤu¬<lb/>ſchendſten, ruͤhrendſten Huͤlle. Die Kunſt iſt dem<lb/>
Edlen gewidmet, und wenn ſie in vieler Hinſicht in<lb/>
Goͤthe den Liebling erkennt, ſo giebt ſie ſich doch nicht<lb/>
allen Launen ſeiner Muſe Preis, und weiſet die Ge¬<lb/>
meinheit verderbter geſelliger Verhaͤltniſſe, die uͤber¬<lb/>
zuckerte Darſtellung des modernen Laſters, die Gour¬<lb/>
mandiſe eines unnatuͤrlichen Appetites, die Muͤcken¬<lb/>
faͤngerei wolluͤſtiger Reminiszenzen, die Koketterie<lb/>
der Maͤnner und den Ritterdienſt der Damen um<lb/>
die Maͤnner, die Toilette des Mannes von fuͤnfzig<lb/>
Jahren, die ſybaritiſchen Wahlverwandtſchaften und<lb/>
die Verhimmelung ſo manches Don Juan dem, ein ganz<lb/>
anderer Platz gebuͤhrt haͤtte, voͤllig uͤber ihre Gren¬<lb/>
zen hinaus. Muß ſchon die Kunſt gegen dieſen Mi߬<lb/>
brauch ihrer edelſten Kraͤfte vertheidigt werden, ſo<lb/>
hat allerdings auch die Moral ein heiliges Recht,<lb/>
das ſchlechthin Unwuͤrdige daran zu verdammen.</p><lb/><p>So wenig ſich dieſe Schattenſeiten bei Goͤthe<lb/>
verbergen, ſo taͤuſchen ſich doch die meiſten Leſer<lb/>ſelbſt daruͤber, indem ſie entweder aus unbegreiflicher<lb/>
Gutmuͤthigkeit nicht ſehn wollen, was ſie ſehen,<lb/>
oder ſich bei der ſchwachen Seite faſſen und beſte¬<lb/>
chen laſſen. Goͤthe beſaß im hoͤchſten Grade das Ta¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0231]
zu verwechſeln, und zu einer Goͤttin zu erheben, was
in Frankreich ewig nur eine Luſtdirne bleibt. Die
Sinnlichkeit wird zuerſt von der Eitelkeit gerechtfer¬
tigt, dann vom Talent auch andern ſogar zur Be¬
wunderung aufgeſtellt, aber was im Urſprung ge¬
mein iſt, bleibt es auch in der glaͤnzendſten, taͤu¬
ſchendſten, ruͤhrendſten Huͤlle. Die Kunſt iſt dem
Edlen gewidmet, und wenn ſie in vieler Hinſicht in
Goͤthe den Liebling erkennt, ſo giebt ſie ſich doch nicht
allen Launen ſeiner Muſe Preis, und weiſet die Ge¬
meinheit verderbter geſelliger Verhaͤltniſſe, die uͤber¬
zuckerte Darſtellung des modernen Laſters, die Gour¬
mandiſe eines unnatuͤrlichen Appetites, die Muͤcken¬
faͤngerei wolluͤſtiger Reminiszenzen, die Koketterie
der Maͤnner und den Ritterdienſt der Damen um
die Maͤnner, die Toilette des Mannes von fuͤnfzig
Jahren, die ſybaritiſchen Wahlverwandtſchaften und
die Verhimmelung ſo manches Don Juan dem, ein ganz
anderer Platz gebuͤhrt haͤtte, voͤllig uͤber ihre Gren¬
zen hinaus. Muß ſchon die Kunſt gegen dieſen Mi߬
brauch ihrer edelſten Kraͤfte vertheidigt werden, ſo
hat allerdings auch die Moral ein heiliges Recht,
das ſchlechthin Unwuͤrdige daran zu verdammen.
So wenig ſich dieſe Schattenſeiten bei Goͤthe
verbergen, ſo taͤuſchen ſich doch die meiſten Leſer
ſelbſt daruͤber, indem ſie entweder aus unbegreiflicher
Gutmuͤthigkeit nicht ſehn wollen, was ſie ſehen,
oder ſich bei der ſchwachen Seite faſſen und beſte¬
chen laſſen. Goͤthe beſaß im hoͤchſten Grade das Ta¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/231>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.