Cultur. An seinen Werken bildet, verfeinert man die Sitten. Sie empfiehlt man als das Muster aller Gesittung. Um ihn her schaart sich ein unzählbares Heer gebildeter Jünglinge, die Jünger und Apostel dieser Lehre des Anstandes, die muthigen Bekämpfer der alten Rohheit, Frerons vergoldete Jugend in Deutschland.
Unter der glatten gefälligen Maske verbirgt sich aber ein raffinirter Epicuräismus, eine Sinnlichkeit und Genußsucht, die, so fein sie auch ist, doch im¬ mer unwürdig bleibt, des Ernsten und Heiligen spot¬ tet, und die Leichtverführten in ein irdisches Para¬ dies verlockt, in den Venusberg, aus dem kein Aus¬ gang mehr ans Licht ist.
Göthe's Dichtungen sind als die Blüthe des in der modernen Welt herrschenden Materialismus zu betrachten, der sich auf der untersten Stufe in dem physiokratischen System geltend macht. Sein Talent ist die höchste Erscheinung der Fabrikation. Es dient, alles zum feinsten Genuß zu präpariren. Dieser Ge¬ nuß ist doppelter Art. Der Wollust gesellt sich schon bei den Thieren Grausamkeit bei, und diese Ver¬ wandtschaft beider geht in die feinsten und zartesten Genüsse der Menschen über.
Jene Wollust ist um so raffinirter, als sie der Eitelkeit dient. Daher sind beinahe alle Helden Gö¬ the's kleine Sultane, um welche sich die Mädchen und Weiber bemühen müssen. Sie werden geliebt, und ihre Gegenliebe erscheint nur als ein behagliches
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Cultur. An ſeinen Werken bildet, verfeinert man die Sitten. Sie empfiehlt man als das Muſter aller Geſittung. Um ihn her ſchaart ſich ein unzaͤhlbares Heer gebildeter Juͤnglinge, die Juͤnger und Apoſtel dieſer Lehre des Anſtandes, die muthigen Bekaͤmpfer der alten Rohheit, Frerons vergoldete Jugend in Deutſchland.
Unter der glatten gefaͤlligen Maske verbirgt ſich aber ein raffinirter Epicuraͤismus, eine Sinnlichkeit und Genußſucht, die, ſo fein ſie auch iſt, doch im¬ mer unwuͤrdig bleibt, des Ernſten und Heiligen ſpot¬ tet, und die Leichtverfuͤhrten in ein irdiſches Para¬ dies verlockt, in den Venusberg, aus dem kein Aus¬ gang mehr ans Licht iſt.
Goͤthe's Dichtungen ſind als die Bluͤthe des in der modernen Welt herrſchenden Materialismus zu betrachten, der ſich auf der unterſten Stufe in dem phyſiokratiſchen Syſtem geltend macht. Sein Talent iſt die hoͤchſte Erſcheinung der Fabrikation. Es dient, alles zum feinſten Genuß zu praͤpariren. Dieſer Ge¬ nuß iſt doppelter Art. Der Wolluſt geſellt ſich ſchon bei den Thieren Grauſamkeit bei, und dieſe Ver¬ wandtſchaft beider geht in die feinſten und zarteſten Genuͤſſe der Menſchen uͤber.
Jene Wolluſt iſt um ſo raffinirter, als ſie der Eitelkeit dient. Daher ſind beinahe alle Helden Goͤ¬ the's kleine Sultane, um welche ſich die Maͤdchen und Weiber bemuͤhen muͤſſen. Sie werden geliebt, und ihre Gegenliebe erſcheint nur als ein behagliches
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Cultur. An ſeinen Werken bildet, verfeinert man die
Sitten. Sie empfiehlt man als das Muſter aller
Geſittung. Um ihn her ſchaart ſich ein unzaͤhlbares
Heer gebildeter Juͤnglinge, die Juͤnger und Apoſtel
dieſer Lehre des Anſtandes, die muthigen Bekaͤmpfer
der alten Rohheit, Frerons vergoldete Jugend in
Deutſchland.
Unter der glatten gefaͤlligen Maske verbirgt ſich
aber ein raffinirter Epicuraͤismus, eine Sinnlichkeit
und Genußſucht, die, ſo fein ſie auch iſt, doch im¬
mer unwuͤrdig bleibt, des Ernſten und Heiligen ſpot¬
tet, und die Leichtverfuͤhrten in ein irdiſches Para¬
dies verlockt, in den Venusberg, aus dem kein Aus¬
gang mehr ans Licht iſt.
Goͤthe's Dichtungen ſind als die Bluͤthe des in
der modernen Welt herrſchenden Materialismus zu
betrachten, der ſich auf der unterſten Stufe in dem
phyſiokratiſchen Syſtem geltend macht. Sein Talent
iſt die hoͤchſte Erſcheinung der Fabrikation. Es dient,
alles zum feinſten Genuß zu praͤpariren. Dieſer Ge¬
nuß iſt doppelter Art. Der Wolluſt geſellt ſich ſchon
bei den Thieren Grauſamkeit bei, und dieſe Ver¬
wandtſchaft beider geht in die feinſten und zarteſten
Genuͤſſe der Menſchen uͤber.
Jene Wolluſt iſt um ſo raffinirter, als ſie der
Eitelkeit dient. Daher ſind beinahe alle Helden Goͤ¬
the's kleine Sultane, um welche ſich die Maͤdchen
und Weiber bemuͤhen muͤſſen. Sie werden geliebt,
und ihre Gegenliebe erſcheint nur als ein behagliches
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/229>, abgerufen am 16.02.2025.
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