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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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tenmacherei, Ketzerriecherei und Nepotismus, andrer¬
seits ein erstarrtes, beschränktes Wissen mit ewig in
sich selbst rückkehrenden, endlos sich wiederholenden,
in monströse Weitläuftigkeit entartenden Formen.
Diesen Sünden des veralteten Zunftgeistes tritt dann
mit voller Würde die lebendige Kraft der Neuerer
gegenüber, welche das Wissen aus den engen Schran¬
ken der Schule, die Charaktere selbst aus dem uni¬
formen Zwange der Kaste befreien, und eben darum
auch alle jene steifen Formen von der lebenskräfti¬
gen, frisch sich regenden Natur abstreifen, gesetzt
auch, sie verfielen nach dem Siege in die alten Feh¬
ler zurück.

Die Beziehung aller Wissenschaften auf die Re¬
ligion brachte einen gewissen priesterlichen salbungs¬
vollen Ton in die Gelehrsamkeit, der in den Fakul¬
täten noch beibehalten wird, und selbst die Natura¬
listen ansteckt. Unsre Schriftsteller orakeln gar zu
gern und suchen einen gewissen Nimbus um sich zu
verbreiten, und den Leser zu mystificiren, wie der
Geistliche den Laien, der Schulmeister seine Schüler.
In England und Frankreich befindet sich der Autor
gleichsam als Redner auf der Tribune, und gibt sein
Votum ab, als in einer Gesellschaft gleicher und ge¬
bildeter Menschen. In Deutschland predigt er und
schulmeistert.

Das zurückgezogene mönchische Leben der Gelehr¬
ten hat ohne Zweifel den Hang zu tiefsinnigen Be¬

tenmacherei, Ketzerriecherei und Nepotismus, andrer¬
ſeits ein erſtarrtes, beſchraͤnktes Wiſſen mit ewig in
ſich ſelbſt ruͤckkehrenden, endlos ſich wiederholenden,
in monſtroͤſe Weitlaͤuftigkeit entartenden Formen.
Dieſen Suͤnden des veralteten Zunftgeiſtes tritt dann
mit voller Wuͤrde die lebendige Kraft der Neuerer
gegenuͤber, welche das Wiſſen aus den engen Schran¬
ken der Schule, die Charaktere ſelbſt aus dem uni¬
formen Zwange der Kaſte befreien, und eben darum
auch alle jene ſteifen Formen von der lebenskraͤfti¬
gen, friſch ſich regenden Natur abſtreifen, geſetzt
auch, ſie verfielen nach dem Siege in die alten Feh¬
ler zuruͤck.

Die Beziehung aller Wiſſenſchaften auf die Re¬
ligion brachte einen gewiſſen prieſterlichen ſalbungs¬
vollen Ton in die Gelehrſamkeit, der in den Fakul¬
taͤten noch beibehalten wird, und ſelbſt die Natura¬
liſten anſteckt. Unſre Schriftſteller orakeln gar zu
gern und ſuchen einen gewiſſen Nimbus um ſich zu
verbreiten, und den Leſer zu myſtificiren, wie der
Geiſtliche den Laien, der Schulmeiſter ſeine Schuͤler.
In England und Frankreich befindet ſich der Autor
gleichſam als Redner auf der Tribune, und gibt ſein
Votum ab, als in einer Geſellſchaft gleicher und ge¬
bildeter Menſchen. In Deutſchland predigt er und
ſchulmeiſtert.

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[36/0046] tenmacherei, Ketzerriecherei und Nepotismus, andrer¬ ſeits ein erſtarrtes, beſchraͤnktes Wiſſen mit ewig in ſich ſelbſt ruͤckkehrenden, endlos ſich wiederholenden, in monſtroͤſe Weitlaͤuftigkeit entartenden Formen. Dieſen Suͤnden des veralteten Zunftgeiſtes tritt dann mit voller Wuͤrde die lebendige Kraft der Neuerer gegenuͤber, welche das Wiſſen aus den engen Schran¬ ken der Schule, die Charaktere ſelbſt aus dem uni¬ formen Zwange der Kaſte befreien, und eben darum auch alle jene ſteifen Formen von der lebenskraͤfti¬ gen, friſch ſich regenden Natur abſtreifen, geſetzt auch, ſie verfielen nach dem Siege in die alten Feh¬ ler zuruͤck. Die Beziehung aller Wiſſenſchaften auf die Re¬ ligion brachte einen gewiſſen prieſterlichen ſalbungs¬ vollen Ton in die Gelehrſamkeit, der in den Fakul¬ taͤten noch beibehalten wird, und ſelbſt die Natura¬ liſten anſteckt. Unſre Schriftſteller orakeln gar zu gern und ſuchen einen gewiſſen Nimbus um ſich zu verbreiten, und den Leſer zu myſtificiren, wie der Geiſtliche den Laien, der Schulmeiſter ſeine Schuͤler. In England und Frankreich befindet ſich der Autor gleichſam als Redner auf der Tribune, und gibt ſein Votum ab, als in einer Geſellſchaft gleicher und ge¬ bildeter Menſchen. In Deutſchland predigt er und ſchulmeiſtert. Das zuruͤckgezogene moͤnchiſche Leben der Gelehr¬ ten hat ohne Zweifel den Hang zu tiefſinnigen Be¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/46>, abgerufen am 18.04.2024.