Allen Völkern sind die Erinnerungen der Vorzeit heilig, und alle streben der Nachwelt von sich selbst ein Gedächtniß zurückzulassen. Traditionen und sinn¬ liche Denkmäler waren die uralten Bande, an wel¬ chen die Jahrtausende einander erkannten, aneinan¬ der sich fortbildeten. Umfassender aber, als in allen andern Denkmälern, erhielt sich in der Literatur das Bild der alten Zeiten, und ihr prägen wir auch un¬ ser Bild auf, um es den Nachkommen zu überliefern. Die Erforschung aller alten Denkmäler und die Sorge für Denkmäler auch unsres Lebens ist seit geraumer Zeit ein vorzügliches Geschäft der Deut¬ schen gewesen, weil wir weniger thätig oder genu߬ süchtig, als andre Völker, uns vor allem der sinni¬ gen Betrachtung hingeben. Dadurch ist es uns ge¬ lungen, beinah in allen Zeiten heimisch zu werden. Wir haben die Bilder aller Völker um uns versam¬ melt und spiegeln uns in der Erinnerung des ganzen menschlichen Geschlechts. Dieß ist der stärkste Be¬
Geſchichte.
Allen Voͤlkern ſind die Erinnerungen der Vorzeit heilig, und alle ſtreben der Nachwelt von ſich ſelbſt ein Gedaͤchtniß zuruͤckzulaſſen. Traditionen und ſinn¬ liche Denkmaͤler waren die uralten Bande, an wel¬ chen die Jahrtauſende einander erkannten, aneinan¬ der ſich fortbildeten. Umfaſſender aber, als in allen andern Denkmaͤlern, erhielt ſich in der Literatur das Bild der alten Zeiten, und ihr praͤgen wir auch un¬ ſer Bild auf, um es den Nachkommen zu uͤberliefern. Die Erforſchung aller alten Denkmaͤler und die Sorge fuͤr Denkmaͤler auch unſres Lebens iſt ſeit geraumer Zeit ein vorzuͤgliches Geſchaͤft der Deut¬ ſchen geweſen, weil wir weniger thaͤtig oder genu߬ ſuͤchtig, als andre Voͤlker, uns vor allem der ſinni¬ gen Betrachtung hingeben. Dadurch iſt es uns ge¬ lungen, beinah in allen Zeiten heimiſch zu werden. Wir haben die Bilder aller Voͤlker um uns verſam¬ melt und ſpiegeln uns in der Erinnerung des ganzen menſchlichen Geſchlechts. Dieß iſt der ſtaͤrkſte Be¬
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Geſchichte.
Allen Voͤlkern ſind die Erinnerungen der Vorzeit
heilig, und alle ſtreben der Nachwelt von ſich ſelbſt
ein Gedaͤchtniß zuruͤckzulaſſen. Traditionen und ſinn¬
liche Denkmaͤler waren die uralten Bande, an wel¬
chen die Jahrtauſende einander erkannten, aneinan¬
der ſich fortbildeten. Umfaſſender aber, als in allen
andern Denkmaͤlern, erhielt ſich in der Literatur das
Bild der alten Zeiten, und ihr praͤgen wir auch un¬
ſer Bild auf, um es den Nachkommen zu uͤberliefern.
Die Erforſchung aller alten Denkmaͤler und die
Sorge fuͤr Denkmaͤler auch unſres Lebens iſt ſeit
geraumer Zeit ein vorzuͤgliches Geſchaͤft der Deut¬
ſchen geweſen, weil wir weniger thaͤtig oder genu߬
ſuͤchtig, als andre Voͤlker, uns vor allem der ſinni¬
gen Betrachtung hingeben. Dadurch iſt es uns ge¬
lungen, beinah in allen Zeiten heimiſch zu werden.
Wir haben die Bilder aller Voͤlker um uns verſam¬
melt und ſpiegeln uns in der Erinnerung des ganzen
menſchlichen Geſchlechts. Dieß iſt der ſtaͤrkſte Be¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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