wollen, und nur die neuen pietistischen Sektirer, nur solche Menschen, die sich der Verfolgung aussetzen, sind wahrhaft eifrig.
Zum Indifferentismus unter den Protestanten scheinen vorzüglich auch zwei Umstände beizutragen, denen man zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Einmal hängt im protestantischen Gottesdienst alles von der Person des jeweiligen Geistlichen ab. Für den Ka¬ tholiken sind alle seine Kirchen gleich, und er ver¬ richtet darin seine Andacht auch ohne den Geistlichen, oder es ist wenig Unterschied, welcher Geistliche dabei thätig ist. Darum herrscht auch, wenn ich so sagen darf, ein ungestörter Gleichmuth der Andacht überall unter den Katholiken. Bei den Protestanten aber kommt alles auf die Persönlichkeit des Predi¬ gers an; nur seinetwegen und nur, wenn er da ist, kommt man in die Kirche, nur auf ihn sieht man, nur mit ihm beschäftigt man sich, weil sonst nichts in der protestantischen Kirche die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Absichtlich wird Sinn und Geist der An¬ wesenden von allem andern ab und auf den Prediger hingelenkt. Dieser hat es nun in seiner Gewalt, die Andacht und den religiösen Sinn zu erheben oder herabzustimmen. Ist er selber fromm, begeistert und besitzt er ein großes Talent der Beredsamkeit, so wird er vielleicht eine weit größere Wirkung hervor¬ zubringen wissen, als ein katholischer Priester, der in seiner Kirche mehr Sache als Person ist, es zu thun vermag. Ist der Prediger aber ohne wahre
wollen, und nur die neuen pietiſtiſchen Sektirer, nur ſolche Menſchen, die ſich der Verfolgung ausſetzen, ſind wahrhaft eifrig.
Zum Indifferentismus unter den Proteſtanten ſcheinen vorzuͤglich auch zwei Umſtaͤnde beizutragen, denen man zu wenig Aufmerkſamkeit ſchenkt. Einmal haͤngt im proteſtantiſchen Gottesdienſt alles von der Perſon des jeweiligen Geiſtlichen ab. Fuͤr den Ka¬ tholiken ſind alle ſeine Kirchen gleich, und er ver¬ richtet darin ſeine Andacht auch ohne den Geiſtlichen, oder es iſt wenig Unterſchied, welcher Geiſtliche dabei thaͤtig iſt. Darum herrſcht auch, wenn ich ſo ſagen darf, ein ungeſtoͤrter Gleichmuth der Andacht uͤberall unter den Katholiken. Bei den Proteſtanten aber kommt alles auf die Perſoͤnlichkeit des Predi¬ gers an; nur ſeinetwegen und nur, wenn er da iſt, kommt man in die Kirche, nur auf ihn ſieht man, nur mit ihm beſchaͤftigt man ſich, weil ſonſt nichts in der proteſtantiſchen Kirche die Aufmerkſamkeit auf ſich zieht. Abſichtlich wird Sinn und Geiſt der An¬ weſenden von allem andern ab und auf den Prediger hingelenkt. Dieſer hat es nun in ſeiner Gewalt, die Andacht und den religioͤſen Sinn zu erheben oder herabzuſtimmen. Iſt er ſelber fromm, begeiſtert und beſitzt er ein großes Talent der Beredſamkeit, ſo wird er vielleicht eine weit groͤßere Wirkung hervor¬ zubringen wiſſen, als ein katholiſcher Prieſter, der in ſeiner Kirche mehr Sache als Perſon iſt, es zu thun vermag. Iſt der Prediger aber ohne wahre
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wollen, und nur die neuen pietiſtiſchen Sektirer, nur
ſolche Menſchen, die ſich der Verfolgung ausſetzen,
ſind wahrhaft eifrig.
Zum Indifferentismus unter den Proteſtanten
ſcheinen vorzuͤglich auch zwei Umſtaͤnde beizutragen,
denen man zu wenig Aufmerkſamkeit ſchenkt. Einmal
haͤngt im proteſtantiſchen Gottesdienſt alles von der
Perſon des jeweiligen Geiſtlichen ab. Fuͤr den Ka¬
tholiken ſind alle ſeine Kirchen gleich, und er ver¬
richtet darin ſeine Andacht auch ohne den Geiſtlichen,
oder es iſt wenig Unterſchied, welcher Geiſtliche
dabei thaͤtig iſt. Darum herrſcht auch, wenn ich ſo
ſagen darf, ein ungeſtoͤrter Gleichmuth der Andacht
uͤberall unter den Katholiken. Bei den Proteſtanten
aber kommt alles auf die Perſoͤnlichkeit des Predi¬
gers an; nur ſeinetwegen und nur, wenn er da iſt,
kommt man in die Kirche, nur auf ihn ſieht man,
nur mit ihm beſchaͤftigt man ſich, weil ſonſt nichts
in der proteſtantiſchen Kirche die Aufmerkſamkeit auf
ſich zieht. Abſichtlich wird Sinn und Geiſt der An¬
weſenden von allem andern ab und auf den Prediger
hingelenkt. Dieſer hat es nun in ſeiner Gewalt, die
Andacht und den religioͤſen Sinn zu erheben oder
herabzuſtimmen. Iſt er ſelber fromm, begeiſtert und
beſitzt er ein großes Talent der Beredſamkeit, ſo
wird er vielleicht eine weit groͤßere Wirkung hervor¬
zubringen wiſſen, als ein katholiſcher Prieſter, der
in ſeiner Kirche mehr Sache als Perſon iſt, es zu
thun vermag. Iſt der Prediger aber ohne wahre
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/147>, abgerufen am 16.07.2024.
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