dumpfes Andachtsgefühl, kaum ein sklavisches Werte¬ beten so plump und arm gewesen, als jene logischen Beweise von den Eigenschaften Gottes, die das höchste Wesen zu analysiren streben, wie der Mineralog ein Fossil, und deren letzter Satz: ich glaube, weil ich denke! doch nie eines ersten: ich denke, weil ich glaube! entbehren konnte.
Den Beweisen sind sehr natürlich die Zweifel ge¬ folgt. Anfangs suchte man die Zweifel auf, um die Beweise glänzender zu machen, nachher kamen sie von selbst und der Verstand, ohne welchen es keinen Glauben mehr geben sollte, verachtete bald die Ma¬ jestät desselben, wie der Prätorianer den Kaiser, der Seldschuk den Califen.
Jede Zeit fühlt sich und hat eine gewisse Eifer¬ sucht gegen das Alterthum, wenn man diesem höhere Kräfte zutraut. Jede Zeit hat aber auch ein natür¬ liches Gefühl von der Macht, die sie beherrscht, und unterscheidet dabei sehr richtig Wirklichkeit und Schein. Deßwegen mögen es die Starken nicht leiden, daß man sich vor den Bildern des Alterthums so erbärm¬ lich demüthigt, und die Klugen sagen, man muß die Wunder sehn, wenn man sie glauben soll. So hat man längst die Bilder, die das Volk für wunderthä¬ tig hielt, als wurmstichiges Holz hinweggebrochen und sich endlich auch an die Tradition der alten Wunder gewagt. Was man nicht als offenbare Lüge zu beseitigen vermochte, hat man durch so genannte natürliche Erklärung des Wunderbaren zu entkleiden
dumpfes Andachtsgefuͤhl, kaum ein ſklaviſches Werte¬ beten ſo plump und arm geweſen, als jene logiſchen Beweiſe von den Eigenſchaften Gottes, die das hoͤchſte Weſen zu analyſiren ſtreben, wie der Mineralog ein Foſſil, und deren letzter Satz: ich glaube, weil ich denke! doch nie eines erſten: ich denke, weil ich glaube! entbehren konnte.
Den Beweiſen ſind ſehr natuͤrlich die Zweifel ge¬ folgt. Anfangs ſuchte man die Zweifel auf, um die Beweiſe glaͤnzender zu machen, nachher kamen ſie von ſelbſt und der Verſtand, ohne welchen es keinen Glauben mehr geben ſollte, verachtete bald die Ma¬ jeſtaͤt deſſelben, wie der Praͤtorianer den Kaiſer, der Seldſchuk den Califen.
Jede Zeit fuͤhlt ſich und hat eine gewiſſe Eifer¬ ſucht gegen das Alterthum, wenn man dieſem hoͤhere Kraͤfte zutraut. Jede Zeit hat aber auch ein natuͤr¬ liches Gefuͤhl von der Macht, die ſie beherrſcht, und unterſcheidet dabei ſehr richtig Wirklichkeit und Schein. Deßwegen moͤgen es die Starken nicht leiden, daß man ſich vor den Bildern des Alterthums ſo erbaͤrm¬ lich demuͤthigt, und die Klugen ſagen, man muß die Wunder ſehn, wenn man ſie glauben ſoll. So hat man laͤngſt die Bilder, die das Volk fuͤr wunderthaͤ¬ tig hielt, als wurmſtichiges Holz hinweggebrochen und ſich endlich auch an die Tradition der alten Wunder gewagt. Was man nicht als offenbare Luͤge zu beſeitigen vermochte, hat man durch ſo genannte natuͤrliche Erklaͤrung des Wunderbaren zu entkleiden
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dumpfes Andachtsgefuͤhl, kaum ein ſklaviſches Werte¬
beten ſo plump und arm geweſen, als jene logiſchen
Beweiſe von den Eigenſchaften Gottes, die das hoͤchſte
Weſen zu analyſiren ſtreben, wie der Mineralog ein
Foſſil, und deren letzter Satz: ich glaube, weil ich
denke! doch nie eines erſten: ich denke, weil ich
glaube! entbehren konnte.
Den Beweiſen ſind ſehr natuͤrlich die Zweifel ge¬
folgt. Anfangs ſuchte man die Zweifel auf, um die
Beweiſe glaͤnzender zu machen, nachher kamen ſie
von ſelbſt und der Verſtand, ohne welchen es keinen
Glauben mehr geben ſollte, verachtete bald die Ma¬
jeſtaͤt deſſelben, wie der Praͤtorianer den Kaiſer,
der Seldſchuk den Califen.
Jede Zeit fuͤhlt ſich und hat eine gewiſſe Eifer¬
ſucht gegen das Alterthum, wenn man dieſem hoͤhere
Kraͤfte zutraut. Jede Zeit hat aber auch ein natuͤr¬
liches Gefuͤhl von der Macht, die ſie beherrſcht, und
unterſcheidet dabei ſehr richtig Wirklichkeit und Schein.
Deßwegen moͤgen es die Starken nicht leiden, daß
man ſich vor den Bildern des Alterthums ſo erbaͤrm¬
lich demuͤthigt, und die Klugen ſagen, man muß die
Wunder ſehn, wenn man ſie glauben ſoll. So hat
man laͤngſt die Bilder, die das Volk fuͤr wunderthaͤ¬
tig hielt, als wurmſtichiges Holz hinweggebrochen
und ſich endlich auch an die Tradition der alten
Wunder gewagt. Was man nicht als offenbare Luͤge
zu beſeitigen vermochte, hat man durch ſo genannte
natuͤrliche Erklaͤrung des Wunderbaren zu entkleiden
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/140>, abgerufen am 17.02.2025.
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