Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

bloße Freiheit ihrer Anwendung für das menschliche
Geschlecht von unermeßlichem Vortheil, denn nur im
Bilden reinigt sich die Kraft. Zu dieser Freiheit ge¬
hört unmittelbar die Mittheilung, die Öffentlichkeit,
oder vielmehr sie besteht nur im öffentlichen Denken
oder Reden, denn ein Gedanke an sich im Innern
verschlossen, kann so wenig frei genannt werden, als
es möglich ist, ihn zu unterdrücken. Daß nun jene
Kritiker alle religiösen Gegenstände zur Sprache brin¬
gen, i[ - 1 Zeichen fehlt][ t]an sich ein unsterbliches Verdienst, wenn sie
es auch noch nicht auf die vollkommenste Weise thäten.
Sie behaupten das ewige Recht der Gedankenmitthei¬
lung und machen dieses allgemeine Recht zu ihrer
Pflicht, und hüten als sehr ehrenwerthe Wächter den
einzigen Weg, auf dem die Meinungen sich austau¬
schen, die Überzeugungen sich läutern können. Sie
zeigen jeden offenen Frevel, der sich hinter den Schild
der Religion flüchten will, achtsam an, und ziehen
die verborgenen an das Licht. Sie zwingen den Geg¬
ner Rede zu stehn und strafen die Dummheit, die
ohne Beruf herrschen will, und die Arglist, die eine
schlechte Sache verheimlicht, um sie nicht vertheidi¬
gen zu müssen. Wer erkennt nicht den Segen reli¬
giöser Mittheilung, gegenüber jener asiatischen Ab¬
geschlossenheit, da kein Volk weiß, was über den
Bergen geglaubt wird.

Es liegt etwas schlechterdings Nothwendiges in
dieser Prüfung des Verstandes. Jeder Mensch findet
in sich den Verstand als ein intellectuelles Gewissen

bloße Freiheit ihrer Anwendung fuͤr das menſchliche
Geſchlecht von unermeßlichem Vortheil, denn nur im
Bilden reinigt ſich die Kraft. Zu dieſer Freiheit ge¬
hoͤrt unmittelbar die Mittheilung, die Öffentlichkeit,
oder vielmehr ſie beſteht nur im oͤffentlichen Denken
oder Reden, denn ein Gedanke an ſich im Innern
verſchloſſen, kann ſo wenig frei genannt werden, als
es moͤglich iſt, ihn zu unterdruͤcken. Daß nun jene
Kritiker alle religioͤſen Gegenſtaͤnde zur Sprache brin¬
gen, i[ – 1 Zeichen fehlt][ t]an ſich ein unſterbliches Verdienſt, wenn ſie
es auch noch nicht auf die vollkommenſte Weiſe thaͤten.
Sie behaupten das ewige Recht der Gedankenmitthei¬
lung und machen dieſes allgemeine Recht zu ihrer
Pflicht, und huͤten als ſehr ehrenwerthe Waͤchter den
einzigen Weg, auf dem die Meinungen ſich austau¬
ſchen, die Überzeugungen ſich laͤutern koͤnnen. Sie
zeigen jeden offenen Frevel, der ſich hinter den Schild
der Religion fluͤchten will, achtſam an, und ziehen
die verborgenen an das Licht. Sie zwingen den Geg¬
ner Rede zu ſtehn und ſtrafen die Dummheit, die
ohne Beruf herrſchen will, und die Argliſt, die eine
ſchlechte Sache verheimlicht, um ſie nicht vertheidi¬
gen zu muͤſſen. Wer erkennt nicht den Segen reli¬
gioͤſer Mittheilung, gegenuͤber jener aſiatiſchen Ab¬
geſchloſſenheit, da kein Volk weiß, was uͤber den
Bergen geglaubt wird.

Es liegt etwas ſchlechterdings Nothwendiges in
dieſer Pruͤfung des Verſtandes. Jeder Menſch findet
in ſich den Verſtand als ein intellectuelles Gewiſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="126"/>
bloße Freiheit ihrer Anwendung fu&#x0364;r das men&#x017F;chliche<lb/>
Ge&#x017F;chlecht von unermeßlichem Vortheil, denn nur im<lb/>
Bilden reinigt &#x017F;ich die Kraft. Zu die&#x017F;er Freiheit ge¬<lb/>
ho&#x0364;rt unmittelbar die Mittheilung, die Öffentlichkeit,<lb/>
oder vielmehr &#x017F;ie be&#x017F;teht nur im o&#x0364;ffentlichen Denken<lb/>
oder Reden, denn ein Gedanke an &#x017F;ich im Innern<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, kann &#x017F;o wenig frei genannt werden, als<lb/>
es mo&#x0364;glich i&#x017F;t, ihn zu unterdru&#x0364;cken. Daß nun jene<lb/>
Kritiker alle religio&#x0364;&#x017F;en Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zur Sprache brin¬<lb/>
gen, i<gap unit="chars" quantity="1"/><supplied> t</supplied>an &#x017F;ich ein un&#x017F;terbliches Verdien&#x017F;t, wenn &#x017F;ie<lb/>
es auch noch nicht auf die vollkommen&#x017F;te Wei&#x017F;e tha&#x0364;ten.<lb/>
Sie behaupten das ewige Recht der Gedankenmitthei¬<lb/>
lung und machen die&#x017F;es allgemeine Recht zu ihrer<lb/>
Pflicht, und hu&#x0364;ten als &#x017F;ehr ehrenwerthe Wa&#x0364;chter den<lb/>
einzigen Weg, auf dem die Meinungen &#x017F;ich austau¬<lb/>
&#x017F;chen, die Überzeugungen &#x017F;ich la&#x0364;utern ko&#x0364;nnen. Sie<lb/>
zeigen jeden offenen Frevel, der &#x017F;ich hinter den Schild<lb/>
der Religion flu&#x0364;chten will, acht&#x017F;am an, und ziehen<lb/>
die verborgenen an das Licht. Sie zwingen den Geg¬<lb/>
ner Rede zu &#x017F;tehn und &#x017F;trafen die Dummheit, die<lb/>
ohne Beruf herr&#x017F;chen will, und die Argli&#x017F;t, die eine<lb/>
&#x017F;chlechte Sache verheimlicht, um &#x017F;ie nicht vertheidi¬<lb/>
gen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Wer erkennt nicht den Segen reli¬<lb/>
gio&#x0364;&#x017F;er Mittheilung, gegenu&#x0364;ber jener a&#x017F;iati&#x017F;chen Ab¬<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit, da kein Volk weiß, was u&#x0364;ber den<lb/>
Bergen geglaubt wird.</p><lb/>
        <p>Es liegt etwas &#x017F;chlechterdings Nothwendiges in<lb/>
die&#x017F;er Pru&#x0364;fung des Ver&#x017F;tandes. Jeder Men&#x017F;ch findet<lb/>
in &#x017F;ich den Ver&#x017F;tand als ein intellectuelles Gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0136] bloße Freiheit ihrer Anwendung fuͤr das menſchliche Geſchlecht von unermeßlichem Vortheil, denn nur im Bilden reinigt ſich die Kraft. Zu dieſer Freiheit ge¬ hoͤrt unmittelbar die Mittheilung, die Öffentlichkeit, oder vielmehr ſie beſteht nur im oͤffentlichen Denken oder Reden, denn ein Gedanke an ſich im Innern verſchloſſen, kann ſo wenig frei genannt werden, als es moͤglich iſt, ihn zu unterdruͤcken. Daß nun jene Kritiker alle religioͤſen Gegenſtaͤnde zur Sprache brin¬ gen, i_ tan ſich ein unſterbliches Verdienſt, wenn ſie es auch noch nicht auf die vollkommenſte Weiſe thaͤten. Sie behaupten das ewige Recht der Gedankenmitthei¬ lung und machen dieſes allgemeine Recht zu ihrer Pflicht, und huͤten als ſehr ehrenwerthe Waͤchter den einzigen Weg, auf dem die Meinungen ſich austau¬ ſchen, die Überzeugungen ſich laͤutern koͤnnen. Sie zeigen jeden offenen Frevel, der ſich hinter den Schild der Religion fluͤchten will, achtſam an, und ziehen die verborgenen an das Licht. Sie zwingen den Geg¬ ner Rede zu ſtehn und ſtrafen die Dummheit, die ohne Beruf herrſchen will, und die Argliſt, die eine ſchlechte Sache verheimlicht, um ſie nicht vertheidi¬ gen zu muͤſſen. Wer erkennt nicht den Segen reli¬ gioͤſer Mittheilung, gegenuͤber jener aſiatiſchen Ab¬ geſchloſſenheit, da kein Volk weiß, was uͤber den Bergen geglaubt wird. Es liegt etwas ſchlechterdings Nothwendiges in dieſer Pruͤfung des Verſtandes. Jeder Menſch findet in ſich den Verſtand als ein intellectuelles Gewiſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/136
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/136>, abgerufen am 27.11.2024.