ter in der poetischen Auffassung des Lebens, der Kunst und der Charaktere des Mittelalters, Görres als Philosoph in der reifsten organischen Entfaltung der altkatholischen Grundidee, jene Mystik wieder¬ weckt und ihr Räthsel uns gelöst. Franz Baader hat sogar den Versuch gemacht, die spätere Mystik, die aus dem Pietismus der Protestanten hervorge¬ gangen, namentlich die Mystik Jakob Böhmens, für den Katholicismus zu vindiciren. Dergleichen Er¬ scheinungen sind bedeutungsvoll, da sie eine Annähe¬ rung der nur dem Namen nach getrennten, der Idee nach verwandten Parteien bezeichnen.
Indem solche freie Geister sich über die histori¬ schen Entwickelungen und über den materillen Ver¬ fall der Kirche erhoben haben, sind sie sehr verschie¬ den von den befangenen Geistern, welche nur die Erscheinung, die gegenwärtige, verderbte anerkennen und vertheidigen, wiewohl sie diesen wenigstens ge¬ gen die Protestanten gelegen kommen. An den Ver¬ tretern einer hinfälligen Erscheinung mag man frei¬ lich vieles auszusetzen finden, doch soll man nicht vergessen, was die Barbarei, die jeden Kriegszustand begleitet, dabei verschuldet hat, so gut wie manche Gebrechen des Protestantismus durch denselben Um¬ stand entschuldigt werden. Der Glauben ist das Schönste im Reich der Geister, wie das Weib das Schönste in der Natur. Beide verzerren sich in die äußerste Häßlichkeit, wenn sie statt Liebe Haß fin¬ den, und in ohnmächtigem Kampfe doch nicht sterben
ter in der poetiſchen Auffaſſung des Lebens, der Kunſt und der Charaktere des Mittelalters, Goͤrres als Philoſoph in der reifſten organiſchen Entfaltung der altkatholiſchen Grundidee, jene Myſtik wieder¬ weckt und ihr Raͤthſel uns geloͤst. Franz Baader hat ſogar den Verſuch gemacht, die ſpaͤtere Myſtik, die aus dem Pietismus der Proteſtanten hervorge¬ gangen, namentlich die Myſtik Jakob Boͤhmens, fuͤr den Katholicismus zu vindiciren. Dergleichen Er¬ ſcheinungen ſind bedeutungsvoll, da ſie eine Annaͤhe¬ rung der nur dem Namen nach getrennten, der Idee nach verwandten Parteien bezeichnen.
Indem ſolche freie Geiſter ſich uͤber die hiſtori¬ ſchen Entwickelungen und uͤber den materillen Ver¬ fall der Kirche erhoben haben, ſind ſie ſehr verſchie¬ den von den befangenen Geiſtern, welche nur die Erſcheinung, die gegenwaͤrtige, verderbte anerkennen und vertheidigen, wiewohl ſie dieſen wenigſtens ge¬ gen die Proteſtanten gelegen kommen. An den Ver¬ tretern einer hinfaͤlligen Erſcheinung mag man frei¬ lich vieles auszuſetzen finden, doch ſoll man nicht vergeſſen, was die Barbarei, die jeden Kriegszuſtand begleitet, dabei verſchuldet hat, ſo gut wie manche Gebrechen des Proteſtantismus durch denſelben Um¬ ſtand entſchuldigt werden. Der Glauben iſt das Schoͤnſte im Reich der Geiſter, wie das Weib das Schoͤnſte in der Natur. Beide verzerren ſich in die aͤußerſte Haͤßlichkeit, wenn ſie ſtatt Liebe Haß fin¬ den, und in ohnmaͤchtigem Kampfe doch nicht ſterben
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ter in der poetiſchen Auffaſſung des Lebens, der
Kunſt und der Charaktere des Mittelalters, Goͤrres
als Philoſoph in der reifſten organiſchen Entfaltung
der altkatholiſchen Grundidee, jene Myſtik wieder¬
weckt und ihr Raͤthſel uns geloͤst. Franz Baader
hat ſogar den Verſuch gemacht, die ſpaͤtere Myſtik,
die aus dem Pietismus der Proteſtanten hervorge¬
gangen, namentlich die Myſtik Jakob Boͤhmens, fuͤr
den Katholicismus zu vindiciren. Dergleichen Er¬
ſcheinungen ſind bedeutungsvoll, da ſie eine Annaͤhe¬
rung der nur dem Namen nach getrennten, der Idee
nach verwandten Parteien bezeichnen.
Indem ſolche freie Geiſter ſich uͤber die hiſtori¬
ſchen Entwickelungen und uͤber den materillen Ver¬
fall der Kirche erhoben haben, ſind ſie ſehr verſchie¬
den von den befangenen Geiſtern, welche nur die
Erſcheinung, die gegenwaͤrtige, verderbte anerkennen
und vertheidigen, wiewohl ſie dieſen wenigſtens ge¬
gen die Proteſtanten gelegen kommen. An den Ver¬
tretern einer hinfaͤlligen Erſcheinung mag man frei¬
lich vieles auszuſetzen finden, doch ſoll man nicht
vergeſſen, was die Barbarei, die jeden Kriegszuſtand
begleitet, dabei verſchuldet hat, ſo gut wie manche
Gebrechen des Proteſtantismus durch denſelben Um¬
ſtand entſchuldigt werden. Der Glauben iſt das
Schoͤnſte im Reich der Geiſter, wie das Weib das
Schoͤnſte in der Natur. Beide verzerren ſich in die
aͤußerſte Haͤßlichkeit, wenn ſie ſtatt Liebe Haß fin¬
den, und in ohnmaͤchtigem Kampfe doch nicht ſterben
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/117>, abgerufen am 17.02.2025.
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