Die Deutschen thun nicht viel, aber sie schreiben desto mehr. Wenn dereinst ein Bürger der kommen¬ den Jahrhunderte auf den gegenwärtigen Zeitpunkt der deutschen Geschichte zurückblickt, so werden ihm mehr Bücher als Menschen vorkommen. Er wird durch die Jahre, wie durch Repositorien schreiten können. Er wird sagen, wir haben geschlafen und in Büchern geträumt. Wir sind ein Schreibervolk geworden und können statt des Doppeladlers eine Gans in unser Wappen setzen. Die Feder regiert und dient, arbeitet und lohnt, kämpft und ernährt, beglückt und straft bei uns. Wir lassen den Italie¬ nern ihren Himmel, den Spaniern ihre Heiligen, den Franzosen ihre Thaten, den Engländern ihre Geld¬ säcke und sitzen bei unsern Büchern. Das sinnige deutsche Volk liebt es zu denken und zu dichten, und zum Schreiben hat es immer Zeit. Es hat sich die Buchdruckerkunst selbst erfunden, und nun arbeitet es unermüdlich an der großen Maschine. Die Schul¬ gelehrsamkeit, die Lust am Fremden, die Mode, zu¬ letzt der Wucher des Buchhandels haben das übrige
Deutsche Literatur. I. 1
Die Maſſe der Literatur.
Die Deutſchen thun nicht viel, aber ſie ſchreiben deſto mehr. Wenn dereinſt ein Buͤrger der kommen¬ den Jahrhunderte auf den gegenwaͤrtigen Zeitpunkt der deutſchen Geſchichte zuruͤckblickt, ſo werden ihm mehr Buͤcher als Menſchen vorkommen. Er wird durch die Jahre, wie durch Repoſitorien ſchreiten koͤnnen. Er wird ſagen, wir haben geſchlafen und in Buͤchern getraͤumt. Wir ſind ein Schreibervolk geworden und koͤnnen ſtatt des Doppeladlers eine Gans in unſer Wappen ſetzen. Die Feder regiert und dient, arbeitet und lohnt, kaͤmpft und ernaͤhrt, begluͤckt und ſtraft bei uns. Wir laſſen den Italie¬ nern ihren Himmel, den Spaniern ihre Heiligen, den Franzoſen ihre Thaten, den Englaͤndern ihre Geld¬ ſaͤcke und ſitzen bei unſern Buͤchern. Das ſinnige deutſche Volk liebt es zu denken und zu dichten, und zum Schreiben hat es immer Zeit. Es hat ſich die Buchdruckerkunſt ſelbſt erfunden, und nun arbeitet es unermuͤdlich an der großen Maſchine. Die Schul¬ gelehrſamkeit, die Luſt am Fremden, die Mode, zu¬ letzt der Wucher des Buchhandels haben das uͤbrige
Deutſche Literatur. I. 1
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Die Maſſe der Literatur.
Die Deutſchen thun nicht viel, aber ſie ſchreiben
deſto mehr. Wenn dereinſt ein Buͤrger der kommen¬
den Jahrhunderte auf den gegenwaͤrtigen Zeitpunkt
der deutſchen Geſchichte zuruͤckblickt, ſo werden ihm
mehr Buͤcher als Menſchen vorkommen. Er wird
durch die Jahre, wie durch Repoſitorien ſchreiten
koͤnnen. Er wird ſagen, wir haben geſchlafen und
in Buͤchern getraͤumt. Wir ſind ein Schreibervolk
geworden und koͤnnen ſtatt des Doppeladlers eine
Gans in unſer Wappen ſetzen. Die Feder regiert
und dient, arbeitet und lohnt, kaͤmpft und ernaͤhrt,
begluͤckt und ſtraft bei uns. Wir laſſen den Italie¬
nern ihren Himmel, den Spaniern ihre Heiligen, den
Franzoſen ihre Thaten, den Englaͤndern ihre Geld¬
ſaͤcke und ſitzen bei unſern Buͤchern. Das ſinnige
deutſche Volk liebt es zu denken und zu dichten, und
zum Schreiben hat es immer Zeit. Es hat ſich die
Buchdruckerkunſt ſelbſt erfunden, und nun arbeitet es
unermuͤdlich an der großen Maſchine. Die Schul¬
gelehrſamkeit, die Luſt am Fremden, die Mode, zu¬
letzt der Wucher des Buchhandels haben das uͤbrige
Deutſche Literatur. I. 1
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/11>, abgerufen am 16.07.2024.
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