thum, dort das Episcopat, dort das Presbyterium, dort die pietistische Glaubensdemokratie mit schwa¬ chen Kräften Raum zu gewinnen sucht, wie auch noch, wo eine Religionspartei überwiegt, die Ausschlie߬ lichkeit sich zu erhalten trachtet, sie werden alle nie¬ dergehalten durch die weltliche Macht und durch eine allgemeine europäische Politik, für welche die kirchli¬ chen Interessen nicht mehr Zwecke sind, sondern nur Mittel.
Was über die politischen Verhältnisse der Kir¬ chen hin und her gestritten wird, trägt den Charakter der Schwäche. Man verfährt von allen Seiten säu¬ berlich und der Widerstand der Hierarchie ist so sel¬ ten oder so sanft, als die Gewaltstreiche der Politik es sind. Man will vor allen Dingen Frieden; es scheint, man befinde sich in der Nacht und wolle den Morgen abwarten, um sich ins Gesicht sehn zu kön¬ nen. Die Herrschaft der Politik über die Kirche be¬ dient sich hauptsächlich nur der stillen Gewalt des Zeitgeistes, um sich ohne Skandal zu befestigen. Da der Zeitgeist für sie ist, so ist sie auch unabwendbar, welches auch ihr Recht seyn möchte; wäre der Zeit¬ geist gegen sie, wie im Mittelalter, so würde sie eben so unterliegen.
Bei allem, was man für oder wider den Ka¬ tholicismus sagt, kommt es vorzüglich darauf an, wie man sich das Wesen desselben eigentlich denkt. Die meisten sehn darin einen todten Buchstaben, nur
Deutsche Literatur. I. 5
thum, dort das Episcopat, dort das Presbyterium, dort die pietiſtiſche Glaubensdemokratie mit ſchwa¬ chen Kraͤften Raum zu gewinnen ſucht, wie auch noch, wo eine Religionspartei uͤberwiegt, die Ausſchlie߬ lichkeit ſich zu erhalten trachtet, ſie werden alle nie¬ dergehalten durch die weltliche Macht und durch eine allgemeine europaͤiſche Politik, fuͤr welche die kirchli¬ chen Intereſſen nicht mehr Zwecke ſind, ſondern nur Mittel.
Was uͤber die politiſchen Verhaͤltniſſe der Kir¬ chen hin und her geſtritten wird, traͤgt den Charakter der Schwaͤche. Man verfaͤhrt von allen Seiten ſaͤu¬ berlich und der Widerſtand der Hierarchie iſt ſo ſel¬ ten oder ſo ſanft, als die Gewaltſtreiche der Politik es ſind. Man will vor allen Dingen Frieden; es ſcheint, man befinde ſich in der Nacht und wolle den Morgen abwarten, um ſich ins Geſicht ſehn zu koͤn¬ nen. Die Herrſchaft der Politik uͤber die Kirche be¬ dient ſich hauptſaͤchlich nur der ſtillen Gewalt des Zeitgeiſtes, um ſich ohne Skandal zu befeſtigen. Da der Zeitgeiſt fuͤr ſie iſt, ſo iſt ſie auch unabwendbar, welches auch ihr Recht ſeyn moͤchte; waͤre der Zeit¬ geiſt gegen ſie, wie im Mittelalter, ſo wuͤrde ſie eben ſo unterliegen.
Bei allem, was man fuͤr oder wider den Ka¬ tholicismus ſagt, kommt es vorzuͤglich darauf an, wie man ſich das Weſen deſſelben eigentlich denkt. Die meiſten ſehn darin einen todten Buchſtaben, nur
Deutſche Literatur. I. 5
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thum, dort das Episcopat, dort das Presbyterium,
dort die pietiſtiſche Glaubensdemokratie mit ſchwa¬
chen Kraͤften Raum zu gewinnen ſucht, wie auch noch,
wo eine Religionspartei uͤberwiegt, die Ausſchlie߬
lichkeit ſich zu erhalten trachtet, ſie werden alle nie¬
dergehalten durch die weltliche Macht und durch eine
allgemeine europaͤiſche Politik, fuͤr welche die kirchli¬
chen Intereſſen nicht mehr Zwecke ſind, ſondern nur
Mittel.
Was uͤber die politiſchen Verhaͤltniſſe der Kir¬
chen hin und her geſtritten wird, traͤgt den Charakter
der Schwaͤche. Man verfaͤhrt von allen Seiten ſaͤu¬
berlich und der Widerſtand der Hierarchie iſt ſo ſel¬
ten oder ſo ſanft, als die Gewaltſtreiche der Politik
es ſind. Man will vor allen Dingen Frieden; es
ſcheint, man befinde ſich in der Nacht und wolle den
Morgen abwarten, um ſich ins Geſicht ſehn zu koͤn¬
nen. Die Herrſchaft der Politik uͤber die Kirche be¬
dient ſich hauptſaͤchlich nur der ſtillen Gewalt des
Zeitgeiſtes, um ſich ohne Skandal zu befeſtigen. Da
der Zeitgeiſt fuͤr ſie iſt, ſo iſt ſie auch unabwendbar,
welches auch ihr Recht ſeyn moͤchte; waͤre der Zeit¬
geiſt gegen ſie, wie im Mittelalter, ſo wuͤrde ſie
eben ſo unterliegen.
Bei allem, was man fuͤr oder wider den Ka¬
tholicismus ſagt, kommt es vorzuͤglich darauf an,
wie man ſich das Weſen deſſelben eigentlich denkt.
Die meiſten ſehn darin einen todten Buchſtaben, nur
Deutſche Literatur. I. 5
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/107>, abgerufen am 17.02.2025.
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