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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Ueber das jedem Zeitalter eigenthümliche Geld.
der fortschreitenden Entwicklung der Volkswirthschaft. Aber
eben desshalb, weil das Geld sich uns als ein naturgemässes
Product der menschlichen Wirthschaft darstellt, war seine be-
sondere Erscheinungsform auch allerorten und zu allen Zeiten
das Ergebniss der besonderen und wechselnden ökonomischen
Sachlage und es haben bei denselben Völkern zu verschiedenen
Zeiten, und bei verschiedenen Völkern zur selben Zeit verschie-
dene Güter jene eigenthümliche Stellung im Verkehre erlangt,
auf welche wir oben hingewiesen haben.

In den frühesten Perioden wirthschaftlicher Entwicklung
scheint bei den meisten Völkern der alten Welt das Vieh die
absatzfähigste Waare geworden zu sein. Nutzthiere bilden bei
Nomaden und allen aus dem Nomadenthume zur Bodenwirth-
schaft übergehenden Völkern den hauptsächlichsten Theil des
Vermögensbesitzes jedes Einzelnen, und ihre Absatzfähigkeit er-
streckt sich geradezu auf sämmtliche wirthschaftende Subjecte,
bei dem Mangel an Kunststrassen und dem Umstande, dass das
Vieh sich selbst transportirt (in den Culturanfägen nahezu
kostenlos!) auf weitere räumliche Grenzen, als die der meisten
andern Waaren. Vieh ist eine Waare von ausreichender Con-
servirungsfähigkeit, seine Erhaltungskosten sind dort, wo Weide-
land in Fülle vorhanden ist und die Thiere im Freien gehalten
werden, verschwindend klein und dasselbe kann auf Culturstufen,
wo Jedermann nach dem Besitze möglichst grosser Heerden
strebt, auch nicht leicht in übergrosser Menge zu Markte ge-
langen, es ist deshalb auch in Rücksicht auf die zeitlichen und
quantitativen Grenzen seiner Absatzfähigkeit begünstigt. Bei
keiner andern Waare treffen in jener Epoche, von welcher wir
hier sprechen, die Bedingungen einer auf weite Grenzen sich
erstreckenden Absatzfähigkeit in gleicher Weise zusammen.
Fügen wir nun noch hinzu, dass unter den obigen Verhältnissen
der Verkehr mit Nutzthieren, wenn der irgend einer anderen
Waare, sicherlich verhältnissmässig wohl entwickelt war, so stellt
sich uns das Vieh als die absatzfähigste unter allen vorhandenen
Waaren, als das natürliche Geld *) der Völker der alten Welt dar.


*) Die Verbindung der Vorstellungen des Geldes und des Viehes, als des
ältesten Tauschmittels, tritt aus den meisten Sprachen hervor. Im altnordischen
heisst "naut" das Rind und das Geld, im altfriesischen "sket" Vieh und Geld.

Ueber das jedem Zeitalter eigenthümliche Geld.
der fortschreitenden Entwicklung der Volkswirthschaft. Aber
eben desshalb, weil das Geld sich uns als ein naturgemässes
Product der menschlichen Wirthschaft darstellt, war seine be-
sondere Erscheinungsform auch allerorten und zu allen Zeiten
das Ergebniss der besonderen und wechselnden ökonomischen
Sachlage und es haben bei denselben Völkern zu verschiedenen
Zeiten, und bei verschiedenen Völkern zur selben Zeit verschie-
dene Güter jene eigenthümliche Stellung im Verkehre erlangt,
auf welche wir oben hingewiesen haben.

In den frühesten Perioden wirthschaftlicher Entwicklung
scheint bei den meisten Völkern der alten Welt das Vieh die
absatzfähigste Waare geworden zu sein. Nutzthiere bilden bei
Nomaden und allen aus dem Nomadenthume zur Bodenwirth-
schaft übergehenden Völkern den hauptsächlichsten Theil des
Vermögensbesitzes jedes Einzelnen, und ihre Absatzfähigkeit er-
streckt sich geradezu auf sämmtliche wirthschaftende Subjecte,
bei dem Mangel an Kunststrassen und dem Umstande, dass das
Vieh sich selbst transportirt (in den Culturanfägen nahezu
kostenlos!) auf weitere räumliche Grenzen, als die der meisten
andern Waaren. Vieh ist eine Waare von ausreichender Con-
servirungsfähigkeit, seine Erhaltungskosten sind dort, wo Weide-
land in Fülle vorhanden ist und die Thiere im Freien gehalten
werden, verschwindend klein und dasselbe kann auf Culturstufen,
wo Jedermann nach dem Besitze möglichst grosser Heerden
strebt, auch nicht leicht in übergrosser Menge zu Markte ge-
langen, es ist deshalb auch in Rücksicht auf die zeitlichen und
quantitativen Grenzen seiner Absatzfähigkeit begünstigt. Bei
keiner andern Waare treffen in jener Epoche, von welcher wir
hier sprechen, die Bedingungen einer auf weite Grenzen sich
erstreckenden Absatzfähigkeit in gleicher Weise zusammen.
Fügen wir nun noch hinzu, dass unter den obigen Verhältnissen
der Verkehr mit Nutzthieren, wenn der irgend einer anderen
Waare, sicherlich verhältnissmässig wohl entwickelt war, so stellt
sich uns das Vieh als die absatzfähigste unter allen vorhandenen
Waaren, als das natürliche Geld *) der Völker der alten Welt dar.


*) Die Verbindung der Vorstellungen des Geldes und des Viehes, als des
ältesten Tauschmittels, tritt aus den meisten Sprachen hervor. Im altnordischen
heisst „naut“ das Rind und das Geld, im altfriesischen „sket“ Vieh und Geld.
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[261/0279] Ueber das jedem Zeitalter eigenthümliche Geld. der fortschreitenden Entwicklung der Volkswirthschaft. Aber eben desshalb, weil das Geld sich uns als ein naturgemässes Product der menschlichen Wirthschaft darstellt, war seine be- sondere Erscheinungsform auch allerorten und zu allen Zeiten das Ergebniss der besonderen und wechselnden ökonomischen Sachlage und es haben bei denselben Völkern zu verschiedenen Zeiten, und bei verschiedenen Völkern zur selben Zeit verschie- dene Güter jene eigenthümliche Stellung im Verkehre erlangt, auf welche wir oben hingewiesen haben. In den frühesten Perioden wirthschaftlicher Entwicklung scheint bei den meisten Völkern der alten Welt das Vieh die absatzfähigste Waare geworden zu sein. Nutzthiere bilden bei Nomaden und allen aus dem Nomadenthume zur Bodenwirth- schaft übergehenden Völkern den hauptsächlichsten Theil des Vermögensbesitzes jedes Einzelnen, und ihre Absatzfähigkeit er- streckt sich geradezu auf sämmtliche wirthschaftende Subjecte, bei dem Mangel an Kunststrassen und dem Umstande, dass das Vieh sich selbst transportirt (in den Culturanfägen nahezu kostenlos!) auf weitere räumliche Grenzen, als die der meisten andern Waaren. Vieh ist eine Waare von ausreichender Con- servirungsfähigkeit, seine Erhaltungskosten sind dort, wo Weide- land in Fülle vorhanden ist und die Thiere im Freien gehalten werden, verschwindend klein und dasselbe kann auf Culturstufen, wo Jedermann nach dem Besitze möglichst grosser Heerden strebt, auch nicht leicht in übergrosser Menge zu Markte ge- langen, es ist deshalb auch in Rücksicht auf die zeitlichen und quantitativen Grenzen seiner Absatzfähigkeit begünstigt. Bei keiner andern Waare treffen in jener Epoche, von welcher wir hier sprechen, die Bedingungen einer auf weite Grenzen sich erstreckenden Absatzfähigkeit in gleicher Weise zusammen. Fügen wir nun noch hinzu, dass unter den obigen Verhältnissen der Verkehr mit Nutzthieren, wenn der irgend einer anderen Waare, sicherlich verhältnissmässig wohl entwickelt war, so stellt sich uns das Vieh als die absatzfähigste unter allen vorhandenen Waaren, als das natürliche Geld *) der Völker der alten Welt dar. *) Die Verbindung der Vorstellungen des Geldes und des Viehes, als des ältesten Tauschmittels, tritt aus den meisten Sprachen hervor. Im altnordischen heisst „naut“ das Rind und das Geld, im altfriesischen „sket“ Vieh und Geld.

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/279>, abgerufen am 25.11.2024.