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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Ueber das Wesen der Güter.
zwar, dass sie es zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse weder un-
mittelbar heranziehen können, noch auch die Mittel besitzen,
um dasselbe wieder in ihre Gewalt zu bringen.

Ein eigenthümliches Verhältniss ist überall dort zu be-
obachten, wo Dinge, die in keinerlei ursächlichem Zusammen-
hange mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gesetzt
werden können, von den Menschen nichts destoweniger als Güter
behandelt werden. Dieser Erfolg tritt ein, wenn Dingen irrthüm-
licherweise Eigenschaften, und somit Wirkungen zugeschrieben
werden, die ihnen in Wahrheit nicht zukommen, oder aber
menschliche Bedürfnisse irrthümlicherweise vorausgesetzt werden,
die in Wahrheit nicht vorhanden sind. In beiden Fällen liegen
demnach unserer Beurtheilung Dinge vor, die zwar nicht in der
Wirklichkeit, wohl aber in der Meinung der Menschen in jenem
eben dargelegten Verhältnisse stehen, wodurch die Güterqualität
der Dinge begründet wird. Zu den Dingen der ersteren Art ge-
hören die meisten Schönheitsmittel, die Amulette, die Mehrzahl
der Medicamente, welche den Kranken bei tief stehender Cultur,
bei rohen Völkern auch noch in der Gegenwart gereicht werden,
Wünschelruthen, Liebestränke u. dgl. m., denn alle diese Dinge
sind untauglich, diejenigen menschlichen Bedürfnisse, welchen
durch dieselben genügt werden soll, in der Wirklichkeit zu be-
friedigen. Zu den Dingen der zweiten Art gehören Medicamente
für Krankheiten, die in Wahrheit gar nicht bestehen, die Ge-
räthschaften, Bildsäulen, Gebäude etc. wie sie von heidnischen
Völkern für ihren Götzendienst verwandt werden, Folterwerk-
zeuge u. dgl. m. Solche Dinge nun, welche ihre Güterqualität
lediglich aus eingebildeten Eigenschaften derselben, oder aber
aus eingebildeten Bedürfnissen der Menschen herleiten, kann man
füglich auch eingebildete Güter nennen *).

Je höher die Cultur bei einem Volke steigt, und je tiefer
die Menschen das wahre Wesen der Dinge und ihrer eigenen
Natur erforschen, um so grösser wird die Zahl der wahren, um
so geringer, wie begreiflich, die Zahl der eingebildeten Güter,
und es ist kein geringer Beweis für den Zusammenhang zwischen

*) Schon Aristoteles (de anima, III. 10) unterscheidet wahre und
eingebildete Güter, je nachdem das Bedürfniss von vernünftiger Ueberlegung
geleitet, oder unvernünftig ist.

Ueber das Wesen der Güter.
zwar, dass sie es zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse weder un-
mittelbar heranziehen können, noch auch die Mittel besitzen,
um dasselbe wieder in ihre Gewalt zu bringen.

Ein eigenthümliches Verhältniss ist überall dort zu be-
obachten, wo Dinge, die in keinerlei ursächlichem Zusammen-
hange mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gesetzt
werden können, von den Menschen nichts destoweniger als Güter
behandelt werden. Dieser Erfolg tritt ein, wenn Dingen irrthüm-
licherweise Eigenschaften, und somit Wirkungen zugeschrieben
werden, die ihnen in Wahrheit nicht zukommen, oder aber
menschliche Bedürfnisse irrthümlicherweise vorausgesetzt werden,
die in Wahrheit nicht vorhanden sind. In beiden Fällen liegen
demnach unserer Beurtheilung Dinge vor, die zwar nicht in der
Wirklichkeit, wohl aber in der Meinung der Menschen in jenem
eben dargelegten Verhältnisse stehen, wodurch die Güterqualität
der Dinge begründet wird. Zu den Dingen der ersteren Art ge-
hören die meisten Schönheitsmittel, die Amulette, die Mehrzahl
der Medicamente, welche den Kranken bei tief stehender Cultur,
bei rohen Völkern auch noch in der Gegenwart gereicht werden,
Wünschelruthen, Liebestränke u. dgl. m., denn alle diese Dinge
sind untauglich, diejenigen menschlichen Bedürfnisse, welchen
durch dieselben genügt werden soll, in der Wirklichkeit zu be-
friedigen. Zu den Dingen der zweiten Art gehören Medicamente
für Krankheiten, die in Wahrheit gar nicht bestehen, die Ge-
räthschaften, Bildsäulen, Gebäude etc. wie sie von heidnischen
Völkern für ihren Götzendienst verwandt werden, Folterwerk-
zeuge u. dgl. m. Solche Dinge nun, welche ihre Güterqualität
lediglich aus eingebildeten Eigenschaften derselben, oder aber
aus eingebildeten Bedürfnissen der Menschen herleiten, kann man
füglich auch eingebildete Güter nennen *).

Je höher die Cultur bei einem Volke steigt, und je tiefer
die Menschen das wahre Wesen der Dinge und ihrer eigenen
Natur erforschen, um so grösser wird die Zahl der wahren, um
so geringer, wie begreiflich, die Zahl der eingebildeten Güter,
und es ist kein geringer Beweis für den Zusammenhang zwischen

*) Schon Aristoteles (de anima, III. 10) unterscheidet wahre und
eingebildete Güter, je nachdem das Bedürfniss von vernünftiger Ueberlegung
geleitet, oder unvernünftig ist.
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[4/0022] Ueber das Wesen der Güter. zwar, dass sie es zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse weder un- mittelbar heranziehen können, noch auch die Mittel besitzen, um dasselbe wieder in ihre Gewalt zu bringen. Ein eigenthümliches Verhältniss ist überall dort zu be- obachten, wo Dinge, die in keinerlei ursächlichem Zusammen- hange mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gesetzt werden können, von den Menschen nichts destoweniger als Güter behandelt werden. Dieser Erfolg tritt ein, wenn Dingen irrthüm- licherweise Eigenschaften, und somit Wirkungen zugeschrieben werden, die ihnen in Wahrheit nicht zukommen, oder aber menschliche Bedürfnisse irrthümlicherweise vorausgesetzt werden, die in Wahrheit nicht vorhanden sind. In beiden Fällen liegen demnach unserer Beurtheilung Dinge vor, die zwar nicht in der Wirklichkeit, wohl aber in der Meinung der Menschen in jenem eben dargelegten Verhältnisse stehen, wodurch die Güterqualität der Dinge begründet wird. Zu den Dingen der ersteren Art ge- hören die meisten Schönheitsmittel, die Amulette, die Mehrzahl der Medicamente, welche den Kranken bei tief stehender Cultur, bei rohen Völkern auch noch in der Gegenwart gereicht werden, Wünschelruthen, Liebestränke u. dgl. m., denn alle diese Dinge sind untauglich, diejenigen menschlichen Bedürfnisse, welchen durch dieselben genügt werden soll, in der Wirklichkeit zu be- friedigen. Zu den Dingen der zweiten Art gehören Medicamente für Krankheiten, die in Wahrheit gar nicht bestehen, die Ge- räthschaften, Bildsäulen, Gebäude etc. wie sie von heidnischen Völkern für ihren Götzendienst verwandt werden, Folterwerk- zeuge u. dgl. m. Solche Dinge nun, welche ihre Güterqualität lediglich aus eingebildeten Eigenschaften derselben, oder aber aus eingebildeten Bedürfnissen der Menschen herleiten, kann man füglich auch eingebildete Güter nennen *). Je höher die Cultur bei einem Volke steigt, und je tiefer die Menschen das wahre Wesen der Dinge und ihrer eigenen Natur erforschen, um so grösser wird die Zahl der wahren, um so geringer, wie begreiflich, die Zahl der eingebildeten Güter, und es ist kein geringer Beweis für den Zusammenhang zwischen *) Schon Aristoteles (de anima, III. 10) unterscheidet wahre und eingebildete Güter, je nachdem das Bedürfniss von vernünftiger Ueberlegung geleitet, oder unvernünftig ist.

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/22>, abgerufen am 28.03.2024.