Selbst der gesellschaftliche Vertrag hat weder dem Staate noch der Kirche ein solches Recht einräumen können. Denn ein Vertrag über Dinge, die ihrer Natur nach unveräus- serlich sind, ist an und für sich ungültig, hebt sich von selbst auf.
Auch die heiligsten Eidschwüre können hier die Natur der Sachen nicht verändern. Eid- schwüre erzeugen keine neuen Pflichten, sind blos feyerliche Bekräftigungen desjenigen, wo- zu wir ohnehin, von Natur oder durch Ver- trag, verpflichtet sind. Ohne Pflicht ist der Eidschwur eine leere Anrufung Gottes, die lästerlich seyn kann, aber an und für sich zu nichts verbindet.
Zu dem können die Menschen nur dasje- nige beeidigen, was die Evidenz der äussern Sinne hat, was sie gesehen, gehört, betastet haben. Wahrnehmungen des innern Sinnes sind keine Gegenstände der Eidesbekräftigung.
Alles
gen hat, durch fremde Einmiſchung zu ſchwaͤchen.
Selbſt der geſellſchaftliche Vertrag hat weder dem Staate noch der Kirche ein ſolches Recht einraͤumen koͤnnen. Denn ein Vertrag uͤber Dinge, die ihrer Natur nach unveraͤuſ- ſerlich ſind, iſt an und fuͤr ſich unguͤltig, hebt ſich von ſelbſt auf.
Auch die heiligſten Eidſchwuͤre koͤnnen hier die Natur der Sachen nicht veraͤndern. Eid- ſchwuͤre erzeugen keine neuen Pflichten, ſind blos feyerliche Bekraͤftigungen desjenigen, wo- zu wir ohnehin, von Natur oder durch Ver- trag, verpflichtet ſind. Ohne Pflicht iſt der Eidſchwur eine leere Anrufung Gottes, die laͤſterlich ſeyn kann, aber an und fuͤr ſich zu nichts verbindet.
Zu dem koͤnnen die Menſchen nur dasje- nige beeidigen, was die Evidenz der aͤuſſern Sinne hat, was ſie geſehen, gehoͤrt, betaſtet haben. Wahrnehmungen des innern Sinnes ſind keine Gegenſtaͤnde der Eidesbekraͤftigung.
Alles
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[86/0092]
gen hat, durch fremde Einmiſchung zu
ſchwaͤchen.
Selbſt der geſellſchaftliche Vertrag hat
weder dem Staate noch der Kirche ein ſolches
Recht einraͤumen koͤnnen. Denn ein Vertrag
uͤber Dinge, die ihrer Natur nach unveraͤuſ-
ſerlich ſind, iſt an und fuͤr ſich unguͤltig,
hebt ſich von ſelbſt auf.
Auch die heiligſten Eidſchwuͤre koͤnnen hier
die Natur der Sachen nicht veraͤndern. Eid-
ſchwuͤre erzeugen keine neuen Pflichten, ſind
blos feyerliche Bekraͤftigungen desjenigen, wo-
zu wir ohnehin, von Natur oder durch Ver-
trag, verpflichtet ſind. Ohne Pflicht iſt der
Eidſchwur eine leere Anrufung Gottes, die
laͤſterlich ſeyn kann, aber an und fuͤr ſich zu
nichts verbindet.
Zu dem koͤnnen die Menſchen nur dasje-
nige beeidigen, was die Evidenz der aͤuſſern
Sinne hat, was ſie geſehen, gehoͤrt, betaſtet
haben. Wahrnehmungen des innern Sinnes
ſind keine Gegenſtaͤnde der Eidesbekraͤftigung.
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/92>, abgerufen am 16.02.2025.
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