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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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men, der leisten soll. Man kann aber auch
für gut finden, auf dieses Recht der Unab-
hängigkeit durch einen gesellschaftlichen Ver-
trag
Verzicht zu thun, und durch Positivge-
setze
diese unvollkommene Pflichten in vollkom-
mene verwandeln; d. i. man kann die nähere
Bestimmungen verabreden und festsetzen, wie
viel jedes Mitglied, von seinen Rechten zum
Nutzen der Gesellschaft zu verwenden, soll ge-
zwungen werden können. Der Staat, oder
die den Staat vorstellen, werden als eine
moralische Person betrachtet, die über diese
Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also
Rechte und Gerechtsame auf Güter und Hand-
lungen der Menschen. Er kann nach dem Ge-
setze geben und nehmen, vorschreiben und ver-
bieten, und weil es ihm auch um Handlung
als Handlung zu thun ist, bestrafen und be-
lohnen. Der Pflicht gegen meinen Nächsten
geschiehet äußerlich Genüge, wenn ich ihm
leiste, was ich soll; meine Handlung mag er-
zwungen oder freywillig seyn. Kann nun der
Staat nicht durch innere Triebfedern wirken,
und dadurch für mich mit sorgen; so wirkt er

wenig-
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men, der leiſten ſoll. Man kann aber auch
fuͤr gut finden, auf dieſes Recht der Unab-
haͤngigkeit durch einen geſellſchaftlichen Ver-
trag
Verzicht zu thun, und durch Poſitivge-
ſetze
dieſe unvollkommene Pflichten in vollkom-
mene verwandeln; d. i. man kann die naͤhere
Beſtimmungen verabreden und feſtſetzen, wie
viel jedes Mitglied, von ſeinen Rechten zum
Nutzen der Geſellſchaft zu verwenden, ſoll ge-
zwungen werden koͤnnen. Der Staat, oder
die den Staat vorſtellen, werden als eine
moraliſche Perſon betrachtet, die uͤber dieſe
Rechte zu ſchalten hat. Der Staat hat alſo
Rechte und Gerechtſame auf Guͤter und Hand-
lungen der Menſchen. Er kann nach dem Ge-
ſetze geben und nehmen, vorſchreiben und ver-
bieten, und weil es ihm auch um Handlung
als Handlung zu thun iſt, beſtrafen und be-
lohnen. Der Pflicht gegen meinen Naͤchſten
geſchiehet aͤußerlich Genuͤge, wenn ich ihm
leiſte, was ich ſoll; meine Handlung mag er-
zwungen oder freywillig ſeyn. Kann nun der
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und dadurch fuͤr mich mit ſorgen; ſo wirkt er

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[57/0063] men, der leiſten ſoll. Man kann aber auch fuͤr gut finden, auf dieſes Recht der Unab- haͤngigkeit durch einen geſellſchaftlichen Ver- trag Verzicht zu thun, und durch Poſitivge- ſetze dieſe unvollkommene Pflichten in vollkom- mene verwandeln; d. i. man kann die naͤhere Beſtimmungen verabreden und feſtſetzen, wie viel jedes Mitglied, von ſeinen Rechten zum Nutzen der Geſellſchaft zu verwenden, ſoll ge- zwungen werden koͤnnen. Der Staat, oder die den Staat vorſtellen, werden als eine moraliſche Perſon betrachtet, die uͤber dieſe Rechte zu ſchalten hat. Der Staat hat alſo Rechte und Gerechtſame auf Guͤter und Hand- lungen der Menſchen. Er kann nach dem Ge- ſetze geben und nehmen, vorſchreiben und ver- bieten, und weil es ihm auch um Handlung als Handlung zu thun iſt, beſtrafen und be- lohnen. Der Pflicht gegen meinen Naͤchſten geſchiehet aͤußerlich Genuͤge, wenn ich ihm leiſte, was ich ſoll; meine Handlung mag er- zwungen oder freywillig ſeyn. Kann nun der Staat nicht durch innere Triebfedern wirken, und dadurch fuͤr mich mit ſorgen; ſo wirkt er wenig- D 5

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/63>, abgerufen am 18.05.2024.