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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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lungen führen, und nicht immer durch den Sporn
der Gesetze angetrieben zu werden brauchen. --
Der Mensch im gesellschaftlichen Leben muß auf
manches von seinen Rechten zum allgemeinen
Besten Verzicht thun; oder wie man es nennen
kann, sehr oft seinen eigenen Nutzen dem Wohl-
wollen aufopfern. Nun ist er glücklich, wenn
diese Aufopferung eigenes Triebes geschiehet,
und er jedes Mal wahrnimmt, daß sie blos zum
Behuf des Wohlwollens von ihm geschehen sey.
Wohlwollen macht im Grunde glücklicher, als
Eigennutz; aber wir müssen uns selbst und die
Aeusserung unserer Kräfte dabey empfinden. Nicht
wie einige Sophisten es auslegen, weil alles
am Menschen Eigenliebe ist; sondern weil Wohl-
wollen kein Wohlwollen mehr ist, weder Werth
noch Verdienst mit sich führet, wenn es nicht
aus freyem Triebe des Wohlwollenden fließet.

Hierdurch kann man vielleicht auf die be-
kannte Frage: Welche Regierungsform ist die
beste
? eine befriedigende Antwort geben. Eine
Frage auf welche bisher sich widersprechende
Antworten, mit gleichem Scheine der Wahr-
heit, gegeben worden sind. Im Grunde ist sie
zu unbestimmt, fast so wie jene medicinische Frage

von
B 3

lungen fuͤhren, und nicht immer durch den Sporn
der Geſetze angetrieben zu werden brauchen. —
Der Menſch im geſellſchaftlichen Leben muß auf
manches von ſeinen Rechten zum allgemeinen
Beſten Verzicht thun; oder wie man es nennen
kann, ſehr oft ſeinen eigenen Nutzen dem Wohl-
wollen aufopfern. Nun iſt er gluͤcklich, wenn
dieſe Aufopferung eigenes Triebes geſchiehet,
und er jedes Mal wahrnimmt, daß ſie blos zum
Behuf des Wohlwollens von ihm geſchehen ſey.
Wohlwollen macht im Grunde gluͤcklicher, als
Eigennutz; aber wir muͤſſen uns ſelbſt und die
Aeuſſerung unſerer Kraͤfte dabey empfinden. Nicht
wie einige Sophiſten es auslegen, weil alles
am Menſchen Eigenliebe iſt; ſondern weil Wohl-
wollen kein Wohlwollen mehr iſt, weder Werth
noch Verdienſt mit ſich fuͤhret, wenn es nicht
aus freyem Triebe des Wohlwollenden fließet.

Hierdurch kann man vielleicht auf die be-
kannte Frage: Welche Regierungsform iſt die
beſte
? eine befriedigende Antwort geben. Eine
Frage auf welche bisher ſich widerſprechende
Antworten, mit gleichem Scheine der Wahr-
heit, gegeben worden ſind. Im Grunde iſt ſie
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[21/0027] lungen fuͤhren, und nicht immer durch den Sporn der Geſetze angetrieben zu werden brauchen. — Der Menſch im geſellſchaftlichen Leben muß auf manches von ſeinen Rechten zum allgemeinen Beſten Verzicht thun; oder wie man es nennen kann, ſehr oft ſeinen eigenen Nutzen dem Wohl- wollen aufopfern. Nun iſt er gluͤcklich, wenn dieſe Aufopferung eigenes Triebes geſchiehet, und er jedes Mal wahrnimmt, daß ſie blos zum Behuf des Wohlwollens von ihm geſchehen ſey. Wohlwollen macht im Grunde gluͤcklicher, als Eigennutz; aber wir muͤſſen uns ſelbſt und die Aeuſſerung unſerer Kraͤfte dabey empfinden. Nicht wie einige Sophiſten es auslegen, weil alles am Menſchen Eigenliebe iſt; ſondern weil Wohl- wollen kein Wohlwollen mehr iſt, weder Werth noch Verdienſt mit ſich fuͤhret, wenn es nicht aus freyem Triebe des Wohlwollenden fließet. Hierdurch kann man vielleicht auf die be- kannte Frage: Welche Regierungsform iſt die beſte? eine befriedigende Antwort geben. Eine Frage auf welche bisher ſich widerſprechende Antworten, mit gleichem Scheine der Wahr- heit, gegeben worden ſind. Im Grunde iſt ſie zu unbeſtimmt, faſt ſo wie jene mediciniſche Frage von B 3

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/27>, abgerufen am 27.11.2024.