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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Und noch itzt kann dem Hause Jakobs kein
weiserer Rath ertheilt werden, als eben dieser.
Schicket euch in die Sitten und in die Verfas-
sung des Landes, in welches ihr versetzt seyd;
aber haltet auch standhaft bey der Religion eu-
rer Väter. Traget beider Lasten, so gut ihr
könnet! Man erschweret euch zwar von der ei-
nen Seite die Bürde des bürgerlichen Lebens,
um der Religion willen, der ihr treu bleibet,
und von der andern Seite macht das Clima und
die Zeiten die Beobachtung eurer Religionsge-
setze, in mancher Betrachtung, lästiger, als sie
sind. Haltet nichts desto weniger aus, stehet
unerschüttert auf dem Standorte, den euch die
Vorsehung angewiesen, und lasset alles über
euch ergehen, wie euch euer Gesetzgeber lange
vorher verkündiget hat.

In der That sehe ich nicht, wie diejenigen,
die in dem Hause Jakobs geboren sind, sich auf
irgend eine gewissenhafte Weise, vom Gesetze
entledigen können. Es ist uns erlaubt, über
das Gesetz nachzudenken, seinen Geist zu erfor-
schen, hier und da, wo der Gesetzgeber keinen
Grund angegeben, einen Grund zu vermuthen,

der

Und noch itzt kann dem Hauſe Jakobs kein
weiſerer Rath ertheilt werden, als eben dieſer.
Schicket euch in die Sitten und in die Verfaſ-
ſung des Landes, in welches ihr verſetzt ſeyd;
aber haltet auch ſtandhaft bey der Religion eu-
rer Vaͤter. Traget beider Laſten, ſo gut ihr
koͤnnet! Man erſchweret euch zwar von der ei-
nen Seite die Buͤrde des buͤrgerlichen Lebens,
um der Religion willen, der ihr treu bleibet,
und von der andern Seite macht das Clima und
die Zeiten die Beobachtung eurer Religionsge-
ſetze, in mancher Betrachtung, laͤſtiger, als ſie
ſind. Haltet nichts deſto weniger aus, ſtehet
unerſchuͤttert auf dem Standorte, den euch die
Vorſehung angewieſen, und laſſet alles uͤber
euch ergehen, wie euch euer Geſetzgeber lange
vorher verkuͤndiget hat.

In der That ſehe ich nicht, wie diejenigen,
die in dem Hauſe Jakobs geboren ſind, ſich auf
irgend eine gewiſſenhafte Weiſe, vom Geſetze
entledigen koͤnnen. Es iſt uns erlaubt, uͤber
das Geſetz nachzudenken, ſeinen Geiſt zu erfor-
ſchen, hier und da, wo der Geſetzgeber keinen
Grund angegeben, einen Grund zu vermuthen,

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[127/0229] Und noch itzt kann dem Hauſe Jakobs kein weiſerer Rath ertheilt werden, als eben dieſer. Schicket euch in die Sitten und in die Verfaſ- ſung des Landes, in welches ihr verſetzt ſeyd; aber haltet auch ſtandhaft bey der Religion eu- rer Vaͤter. Traget beider Laſten, ſo gut ihr koͤnnet! Man erſchweret euch zwar von der ei- nen Seite die Buͤrde des buͤrgerlichen Lebens, um der Religion willen, der ihr treu bleibet, und von der andern Seite macht das Clima und die Zeiten die Beobachtung eurer Religionsge- ſetze, in mancher Betrachtung, laͤſtiger, als ſie ſind. Haltet nichts deſto weniger aus, ſtehet unerſchuͤttert auf dem Standorte, den euch die Vorſehung angewieſen, und laſſet alles uͤber euch ergehen, wie euch euer Geſetzgeber lange vorher verkuͤndiget hat. In der That ſehe ich nicht, wie diejenigen, die in dem Hauſe Jakobs geboren ſind, ſich auf irgend eine gewiſſenhafte Weiſe, vom Geſetze entledigen koͤnnen. Es iſt uns erlaubt, uͤber das Geſetz nachzudenken, ſeinen Geiſt zu erfor- ſchen, hier und da, wo der Geſetzgeber keinen Grund angegeben, einen Grund zu vermuthen, der

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/229>, abgerufen am 28.11.2024.