von haben. Warum suchet ihr ein Geschlechts- wort, für ein einzelnes Ding, das kein Ge- schlecht hat, das mit nichts schichtet, mit nichts unter eine Rubrik zu bringen ist? Diese Ver- fassung ist ein einziges Mal da gewesen: nennet sie die mosaische Verfassung, bey ihrem Ein- zelnamen. Sie ist verschwunden, und ist dem Allwissenden allein bekannt, bey welchem Volke und in welchem Jahrhunderte sich etwas Aehn- liches wieder wird sehen lassen,
So wie es, nach dem Plato, einen irdi- schen und auch einen himmlischen Amor geben soll, so giebt es auch, könnte man sagen, ei- ne irdische und eine himmlische Politik. Neh- met einen flatterhaften Abentheurer, einen Gunsteroberer, wie ihn das Pflaster jeder Hauptstadt darbeut, und unterhaltet ihn von dem Liede der Lieder Salomons, oder von der Liebe der ersten Unschuld im Paradiese, wie sie Milton beschreibt; Er wird glauben, ihr schwärmet, oder wollt euere Lektion aufsagen, wie ihr das Herz einer Spröden durch platonische Liebkosungen zu bestürmen verstehet. Eben so wenig wird euch ein Politiker nach der Mode
ver-
von haben. Warum ſuchet ihr ein Geſchlechts- wort, fuͤr ein einzelnes Ding, das kein Ge- ſchlecht hat, das mit nichts ſchichtet, mit nichts unter eine Rubrik zu bringen iſt? Dieſe Ver- faſſung iſt ein einziges Mal da geweſen: nennet ſie die moſaiſche Verfaſſung, bey ihrem Ein- zelnamen. Sie iſt verſchwunden, und iſt dem Allwiſſenden allein bekannt, bey welchem Volke und in welchem Jahrhunderte ſich etwas Aehn- liches wieder wird ſehen laſſen,
So wie es, nach dem Plato, einen irdi- ſchen und auch einen himmliſchen Amor geben ſoll, ſo giebt es auch, koͤnnte man ſagen, ei- ne irdiſche und eine himmliſche Politik. Neh- met einen flatterhaften Abentheurer, einen Gunſteroberer, wie ihn das Pflaſter jeder Hauptſtadt darbeut, und unterhaltet ihn von dem Liede der Lieder Salomons, oder von der Liebe der erſten Unſchuld im Paradieſe, wie ſie Milton beſchreibt; Er wird glauben, ihr ſchwaͤrmet, oder wollt euere Lektion aufſagen, wie ihr das Herz einer Sproͤden durch platoniſche Liebkoſungen zu beſtuͤrmen verſtehet. Eben ſo wenig wird euch ein Politiker nach der Mode
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von haben. Warum ſuchet ihr ein Geſchlechts-
wort, fuͤr ein einzelnes Ding, das kein Ge-
ſchlecht hat, das mit nichts ſchichtet, mit nichts
unter eine Rubrik zu bringen iſt? Dieſe Ver-
faſſung iſt ein einziges Mal da geweſen: nennet
ſie die moſaiſche Verfaſſung, bey ihrem Ein-
zelnamen. Sie iſt verſchwunden, und iſt dem
Allwiſſenden allein bekannt, bey welchem Volke
und in welchem Jahrhunderte ſich etwas Aehn-
liches wieder wird ſehen laſſen,
So wie es, nach dem Plato, einen irdi-
ſchen und auch einen himmliſchen Amor geben
ſoll, ſo giebt es auch, koͤnnte man ſagen, ei-
ne irdiſche und eine himmliſche Politik. Neh-
met einen flatterhaften Abentheurer, einen
Gunſteroberer, wie ihn das Pflaſter jeder
Hauptſtadt darbeut, und unterhaltet ihn von
dem Liede der Lieder Salomons, oder von
der Liebe der erſten Unſchuld im Paradieſe, wie
ſie Milton beſchreibt; Er wird glauben, ihr
ſchwaͤrmet, oder wollt euere Lektion aufſagen,
wie ihr das Herz einer Sproͤden durch platoniſche
Liebkoſungen zu beſtuͤrmen verſtehet. Eben ſo
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/225>, abgerufen am 18.07.2024.
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