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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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"daß sie alle Unglücksfälle für göttliche Strafen
"ansahen, die ihnen nicht um allgemeiner Sit-
"tenverderbniß, oder einzelner großen Verbre-
"chen willen, sondern wegen unbedeutender,
"meistens unwillkührlicher Nachlässigkeiten bey
"gewissen Gebräuchen und Feyerlichkeiten zuge-
"schickt wurden." Im Homer selbst, in dieser
sanften, liebevollen Seele, war der Gedanke
noch nicht aufgeblühet, daß die Götter aus Liebe
verzeihen, daß sie ohne Wohlwollen in ihrem
himmlischen Wohnsitze nicht seelig seyn würden.

Und nun sehe man, mit welcher Weisheit
der Gesetzgeber der Israeln sich ihrer schreckli-
chen Vergehung gegen die Majestät bedienet,
um eine so wichtige Lehre dem menschlichen Ge-
schlecht bekannt zu machen, und ihm eine Quelle
des Trostes zu eröfnen, aus welcher wir noch
itzt schöpfen und uns erquicken. -- Welch er-
habne und schauervolle Vorbereitung! Der Auf-
ruhr war gedämpft, die Sünder zur Erkenntniß
ihres sträflichen Vergehens gebracht, die Na-
tion in Bestürzung, und der Gesandte Gottes,
Moses selbst, ließ fast den Muth sinken: "Ach
"Herr! so lange Dein Unwillen sich nicht legt,

"laß

„daß ſie alle Ungluͤcksfaͤlle fuͤr goͤttliche Strafen
„anſahen, die ihnen nicht um allgemeiner Sit-
„tenverderbniß, oder einzelner großen Verbre-
„chen willen, ſondern wegen unbedeutender,
„meiſtens unwillkuͤhrlicher Nachlaͤſſigkeiten bey
„gewiſſen Gebraͤuchen und Feyerlichkeiten zuge-
„ſchickt wurden.“ Im Homer ſelbſt, in dieſer
ſanften, liebevollen Seele, war der Gedanke
noch nicht aufgebluͤhet, daß die Goͤtter aus Liebe
verzeihen, daß ſie ohne Wohlwollen in ihrem
himmliſchen Wohnſitze nicht ſeelig ſeyn wuͤrden.

Und nun ſehe man, mit welcher Weisheit
der Geſetzgeber der Iſraeln ſich ihrer ſchreckli-
chen Vergehung gegen die Majeſtaͤt bedienet,
um eine ſo wichtige Lehre dem menſchlichen Ge-
ſchlecht bekannt zu machen, und ihm eine Quelle
des Troſtes zu eroͤfnen, aus welcher wir noch
itzt ſchoͤpfen und uns erquicken. — Welch er-
habne und ſchauervolle Vorbereitung! Der Auf-
ruhr war gedaͤmpft, die Suͤnder zur Erkenntniß
ihres ſtraͤflichen Vergehens gebracht, die Na-
tion in Beſtuͤrzung, und der Geſandte Gottes,
Moſes ſelbſt, ließ faſt den Muth ſinken: „Ach
„Herr! ſo lange Dein Unwillen ſich nicht legt,

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[102/0204] „daß ſie alle Ungluͤcksfaͤlle fuͤr goͤttliche Strafen „anſahen, die ihnen nicht um allgemeiner Sit- „tenverderbniß, oder einzelner großen Verbre- „chen willen, ſondern wegen unbedeutender, „meiſtens unwillkuͤhrlicher Nachlaͤſſigkeiten bey „gewiſſen Gebraͤuchen und Feyerlichkeiten zuge- „ſchickt wurden.“ Im Homer ſelbſt, in dieſer ſanften, liebevollen Seele, war der Gedanke noch nicht aufgebluͤhet, daß die Goͤtter aus Liebe verzeihen, daß ſie ohne Wohlwollen in ihrem himmliſchen Wohnſitze nicht ſeelig ſeyn wuͤrden. Und nun ſehe man, mit welcher Weisheit der Geſetzgeber der Iſraeln ſich ihrer ſchreckli- chen Vergehung gegen die Majeſtaͤt bedienet, um eine ſo wichtige Lehre dem menſchlichen Ge- ſchlecht bekannt zu machen, und ihm eine Quelle des Troſtes zu eroͤfnen, aus welcher wir noch itzt ſchoͤpfen und uns erquicken. — Welch er- habne und ſchauervolle Vorbereitung! Der Auf- ruhr war gedaͤmpft, die Suͤnder zur Erkenntniß ihres ſtraͤflichen Vergehens gebracht, die Na- tion in Beſtuͤrzung, und der Geſandte Gottes, Moſes ſelbſt, ließ faſt den Muth ſinken: „Ach „Herr! ſo lange Dein Unwillen ſich nicht legt, „laß

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/204>, abgerufen am 24.11.2024.