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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Sein Weg ging zur nächsten Stadt, und
nachdem er einige Tage herumgebettelt hatte,
nahm ihn ein Schlosser auf sein inständiges
Bitten zum Lehrpurschen an. Er arbeitete hier
ein ganzes Jahr; war, nach des Schlos-
sers eignem Zeugnisse, willig, gehorsam, ein-
gezogen, gelehrig und gottesfürchtig; und
würde ganz gewiß ein geschickter Künstler ge-
worden seyn, hätte man nicht plötzlich entdeckt,
daß er eines Abdeckers Sohn sey. Er selbst,
unbekannt mit dem Vorurtheile, das ihm die
Ehrlichkeit absprach, läugnete dies bei der er-
sten Befragung keineswegs, und ward mit
Schimpf und Härte aus der Zunft verstossen.

Voll Scham, Verwirrung und Jammer,
kam er auf ein benachbartes Dorf, und fand,
da es eben Aerntezeit war, bei einem Bauer
Dienste, so wenig er auch sonst mit der Land-
arbeit bekannt seyn mochte. Er behielt solche
bis zu Ende der Aernte, und ward, da man ihn
jezt auch hier als einen unnöthig gewordenen
Kostgänger abdankte, mit einem andernBauer-

Sein Weg ging zur naͤchſten Stadt, und
nachdem er einige Tage herumgebettelt hatte,
nahm ihn ein Schloſſer auf ſein inſtaͤndiges
Bitten zum Lehrpurſchen an. Er arbeitete hier
ein ganzes Jahr; war, nach des Schloſ-
ſers eignem Zeugniſſe, willig, gehorſam, ein-
gezogen, gelehrig und gottesfuͤrchtig; und
wuͤrde ganz gewiß ein geſchickter Kuͤnſtler ge-
worden ſeyn, haͤtte man nicht ploͤtzlich entdeckt,
daß er eines Abdeckers Sohn ſey. Er ſelbſt,
unbekannt mit dem Vorurtheile, das ihm die
Ehrlichkeit abſprach, laͤugnete dies bei der er-
ſten Befragung keineswegs, und ward mit
Schimpf und Haͤrte aus der Zunft verſtoſſen.

Voll Scham, Verwirrung und Jammer,
kam er auf ein benachbartes Dorf, und fand,
da es eben Aerntezeit war, bei einem Bauer
Dienſte, ſo wenig er auch ſonſt mit der Land-
arbeit bekannt ſeyn mochte. Er behielt ſolche
bis zu Ende der Aernte, und ward, da man ihn
jezt auch hier als einen unnoͤthig gewordenen
Koſtgaͤnger abdankte, mit einem andernBauer-

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[47/0055] Sein Weg ging zur naͤchſten Stadt, und nachdem er einige Tage herumgebettelt hatte, nahm ihn ein Schloſſer auf ſein inſtaͤndiges Bitten zum Lehrpurſchen an. Er arbeitete hier ein ganzes Jahr; war, nach des Schloſ- ſers eignem Zeugniſſe, willig, gehorſam, ein- gezogen, gelehrig und gottesfuͤrchtig; und wuͤrde ganz gewiß ein geſchickter Kuͤnſtler ge- worden ſeyn, haͤtte man nicht ploͤtzlich entdeckt, daß er eines Abdeckers Sohn ſey. Er ſelbſt, unbekannt mit dem Vorurtheile, das ihm die Ehrlichkeit abſprach, laͤugnete dies bei der er- ſten Befragung keineswegs, und ward mit Schimpf und Haͤrte aus der Zunft verſtoſſen. Voll Scham, Verwirrung und Jammer, kam er auf ein benachbartes Dorf, und fand, da es eben Aerntezeit war, bei einem Bauer Dienſte, ſo wenig er auch ſonſt mit der Land- arbeit bekannt ſeyn mochte. Er behielt ſolche bis zu Ende der Aernte, und ward, da man ihn jezt auch hier als einen unnoͤthig gewordenen Koſtgaͤnger abdankte, mit einem andernBauer-

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/55>, abgerufen am 28.04.2024.