Vater, ein ehrlicher Greis, schon über vierzig Jahr als Abdecker gedient hatte, und wegen seiner Redlichkeit und Kenntniß bei Viehkrank- heiten in der ganzen Gegend bekannt war. Nie riß in den Orten seiner Pflege eine Viehseuche ein, so verderblich sie oft in der Nachbarschaft wütete; und er war deshalb bei seiner Herrschaft, troz seiner sonstverach- teten Handthierung, sehr beliebt.
Aber in seinem sechs und sechzigsten Jahre traf ihn das Unglück, daß ein Jagdpudel, den ihm der junge Graf, der seit kurzem erst sein Herr geworden war, in die Kost gegeben hatte, unvermuthet verreckte. Zwar geschah dies ganz ohne seine Schuld; doch man glaub- te seinen Worten nicht; dieser Hund war ein- mal der hochgräfliche Liebling; und der arme, entkräftete Greis verlor sein Brod und seine Stelle.
Ohne Dienst, ohne Aussicht, ohne Kräfte sich Unterhalt zu erwerben, zog der unglück- liche alte Mann mit seinem Sohne Johann,
Vater, ein ehrlicher Greis, ſchon uͤber vierzig Jahr als Abdecker gedient hatte, und wegen ſeiner Redlichkeit und Kenntniß bei Viehkrank- heiten in der ganzen Gegend bekannt war. Nie riß in den Orten ſeiner Pflege eine Viehſeuche ein, ſo verderblich ſie oft in der Nachbarſchaft wuͤtete; und er war deshalb bei ſeiner Herrſchaft, troz ſeiner ſonſtverach- teten Handthierung, ſehr beliebt.
Aber in ſeinem ſechs und ſechzigſten Jahre traf ihn das Ungluͤck, daß ein Jagdpudel, den ihm der junge Graf, der ſeit kurzem erſt ſein Herr geworden war, in die Koſt gegeben hatte, unvermuthet verreckte. Zwar geſchah dies ganz ohne ſeine Schuld; doch man glaub- te ſeinen Worten nicht; dieſer Hund war ein- mal der hochgraͤfliche Liebling; und der arme, entkraͤftete Greis verlor ſein Brod und ſeine Stelle.
Ohne Dienſt, ohne Ausſicht, ohne Kraͤfte ſich Unterhalt zu erwerben, zog der ungluͤck- liche alte Mann mit ſeinem Sohne Johann,
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Vater, ein ehrlicher Greis, ſchon uͤber vierzig
Jahr als Abdecker gedient hatte, und wegen
ſeiner Redlichkeit und Kenntniß bei Viehkrank-
heiten in der ganzen Gegend bekannt war.
Nie riß in den Orten ſeiner Pflege eine
Viehſeuche ein, ſo verderblich ſie oft in der
Nachbarſchaft wuͤtete; und er war deshalb
bei ſeiner Herrſchaft, troz ſeiner ſonſtverach-
teten Handthierung, ſehr beliebt.
Aber in ſeinem ſechs und ſechzigſten Jahre
traf ihn das Ungluͤck, daß ein Jagdpudel,
den ihm der junge Graf, der ſeit kurzem erſt
ſein Herr geworden war, in die Koſt gegeben
hatte, unvermuthet verreckte. Zwar geſchah
dies ganz ohne ſeine Schuld; doch man glaub-
te ſeinen Worten nicht; dieſer Hund war ein-
mal der hochgraͤfliche Liebling; und der arme,
entkraͤftete Greis verlor ſein Brod und ſeine
Stelle.
Ohne Dienſt, ohne Ausſicht, ohne Kraͤfte
ſich Unterhalt zu erwerben, zog der ungluͤck-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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