Bedrängnis gleichviel, am Galgen oder Hun- gers zu sterben.
Dieser zweite Brief kam in Albemanens Abwesenheit; ward von dessen Kammerdiener in Empfang genommen, und auf seines Herrn Tisch gelegt, damit er gleich bei der Ankunft ihn finde. Da aber Albemane, nach damaliger Sitte vornehmer Personen, auch einen Narren in seinen Diensten hatte, so traf sichs, daß dieser Narr den Brief früher erblickte, ihn nahm, damit im Hof ging, und ausrief: So eben hab' er ein Schreiben vom lieben Gott erhalten. Die Frau vom Hause hörte dies, nahm dem Narren das noch versiegelte Papier ab, und da sie sah, daß die Aufschrift an ihren Gemal gerichtet sey, steckte sie solches in die Tasche, um es bei seiner Heimkehr ihm selbst einzuhändigen. Doch äußerst unwillig geberdete sich der Narr dabei; unaufhörlich schrie er: "dieser Brief komme grade vom Him- mel her, und sei an ihn selbst, nicht an seinen Herrn gerichtet." -- Das Sonderbare in
Bedraͤngnis gleichviel, am Galgen oder Hun- gers zu ſterben.
Dieſer zweite Brief kam in Albemanens Abweſenheit; ward von deſſen Kammerdiener in Empfang genommen, und auf ſeines Herrn Tiſch gelegt, damit er gleich bei der Ankunft ihn finde. Da aber Albemane, nach damaliger Sitte vornehmer Perſonen, auch einen Narren in ſeinen Dienſten hatte, ſo traf ſichs, daß dieſer Narr den Brief fruͤher erblickte, ihn nahm, damit im Hof ging, und ausrief: So eben hab' er ein Schreiben vom lieben Gott erhalten. Die Frau vom Hauſe hoͤrte dies, nahm dem Narren das noch verſiegelte Papier ab, und da ſie ſah, daß die Aufſchrift an ihren Gemal gerichtet ſey, ſteckte ſie ſolches in die Taſche, um es bei ſeiner Heimkehr ihm ſelbſt einzuhaͤndigen. Doch aͤußerſt unwillig geberdete ſich der Narr dabei; unaufhoͤrlich ſchrie er: „dieſer Brief komme grade vom Him- mel her, und ſei an ihn ſelbſt, nicht an ſeinen Herrn gerichtet.“ — Das Sonderbare in
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Bedraͤngnis gleichviel, am Galgen oder Hun-
gers zu ſterben.
Dieſer zweite Brief kam in Albemanens
Abweſenheit; ward von deſſen Kammerdiener
in Empfang genommen, und auf ſeines Herrn
Tiſch gelegt, damit er gleich bei der Ankunft
ihn finde. Da aber Albemane, nach damaliger
Sitte vornehmer Perſonen, auch einen Narren
in ſeinen Dienſten hatte, ſo traf ſichs, daß
dieſer Narr den Brief fruͤher erblickte, ihn
nahm, damit im Hof ging, und ausrief:
So eben hab' er ein Schreiben vom lieben
Gott erhalten. Die Frau vom Hauſe hoͤrte
dies, nahm dem Narren das noch verſiegelte
Papier ab, und da ſie ſah, daß die Aufſchrift
an ihren Gemal gerichtet ſey, ſteckte ſie ſolches
in die Taſche, um es bei ſeiner Heimkehr ihm
ſelbſt einzuhaͤndigen. Doch aͤußerſt unwillig
geberdete ſich der Narr dabei; unaufhoͤrlich
ſchrie er: „dieſer Brief komme grade vom Him-
mel her, und ſei an ihn ſelbſt, nicht an ſeinen
Herrn gerichtet.“ — Das Sonderbare in
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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