Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
II.

Signor Thoniari Vituri, ein Mailändischer
Edelmann zu Pavia, hatte eine einzige Toch-
ter, Christine mit Namen; ein Mädchen von
so unvergleichlicher Schönheit, daß sie die Au-
gen aller jungen Männer in ihrer Vaterstadt
auf sich zog. Vor vielen andern bewarb sich
Signor Gasperino um ihre Gunst. Geburt,
Vermögen, Gestalt und Herz empfahlen ihn
kräftig genug; und eben konnt' er sich mit der
gegründetesten Hofnung ihres baldigen Ja-
worts schmeicheln, als er den unglücklichenEin-
fall hatte, auch seinen vertrautesten Freund,
Pisani, in diesem Hause aufzuführen. Pisani
war allerdings noch wohlgewachsner und rei-
zender, als Gasperino. Christine sah und sprach
ihn kaum, so fühlte sie Liebe gegen ihn;
durch Blicke, Worte, und bald drauf durch ein
zärtliches Briefchen gestand sie ihm ihre Em-
pfindung. Pisani ließ solche nicht unerwie-
dert. Ohne Bedenken opferte er seinen Freund

II.

Signor Thoniari Vituri, ein Mailaͤndiſcher
Edelmann zu Pavia, hatte eine einzige Toch-
ter, Chriſtine mit Namen; ein Maͤdchen von
ſo unvergleichlicher Schoͤnheit, daß ſie die Au-
gen aller jungen Maͤnner in ihrer Vaterſtadt
auf ſich zog. Vor vielen andern bewarb ſich
Signor Gaſperino um ihre Gunſt. Geburt,
Vermoͤgen, Geſtalt und Herz empfahlen ihn
kraͤftig genug; und eben konnt' er ſich mit der
gegruͤndeteſten Hofnung ihres baldigen Ja-
worts ſchmeicheln, als er den ungluͤcklichenEin-
fall hatte, auch ſeinen vertrauteſten Freund,
Piſani, in dieſem Hauſe aufzufuͤhren. Piſani
war allerdings noch wohlgewachſner und rei-
zender, als Gaſperino. Chriſtine ſah und ſprach
ihn kaum, ſo fuͤhlte ſie Liebe gegen ihn;
durch Blicke, Worte, und bald drauf durch ein
zaͤrtliches Briefchen geſtand ſie ihm ihre Em-
pfindung. Piſani ließ ſolche nicht unerwie-
dert. Ohne Bedenken opferte er ſeinen Freund

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0350" n="342"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">II</hi>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ignor Thoniari Vituri, ein Maila&#x0364;ndi&#x017F;cher<lb/>
Edelmann zu Pavia, hatte eine einzige Toch-<lb/>
ter, Chri&#x017F;tine mit Namen; ein Ma&#x0364;dchen von<lb/>
&#x017F;o unvergleichlicher Scho&#x0364;nheit, daß &#x017F;ie die Au-<lb/>
gen aller jungen Ma&#x0364;nner in ihrer Vater&#x017F;tadt<lb/>
auf &#x017F;ich zog. Vor vielen andern bewarb &#x017F;ich<lb/>
Signor Ga&#x017F;perino um ihre Gun&#x017F;t. Geburt,<lb/>
Vermo&#x0364;gen, Ge&#x017F;talt und Herz empfahlen ihn<lb/>
kra&#x0364;ftig genug; und eben konnt' er &#x017F;ich mit der<lb/>
gegru&#x0364;ndete&#x017F;ten Hofnung ihres baldigen Ja-<lb/>
worts &#x017F;chmeicheln, als er den unglu&#x0364;cklichenEin-<lb/>
fall hatte, auch &#x017F;einen vertraute&#x017F;ten Freund,<lb/>
Pi&#x017F;ani, in die&#x017F;em Hau&#x017F;e aufzufu&#x0364;hren. Pi&#x017F;ani<lb/>
war allerdings noch wohlgewach&#x017F;ner und rei-<lb/>
zender, als Ga&#x017F;perino. Chri&#x017F;tine &#x017F;ah und &#x017F;prach<lb/>
ihn kaum, &#x017F;o fu&#x0364;hlte &#x017F;ie Liebe gegen ihn;<lb/>
durch Blicke, Worte, und bald drauf durch ein<lb/>
za&#x0364;rtliches Briefchen ge&#x017F;tand &#x017F;ie ihm ihre Em-<lb/>
pfindung. Pi&#x017F;ani ließ &#x017F;olche nicht unerwie-<lb/>
dert. Ohne Bedenken opferte er &#x017F;einen Freund<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0350] II. Signor Thoniari Vituri, ein Mailaͤndiſcher Edelmann zu Pavia, hatte eine einzige Toch- ter, Chriſtine mit Namen; ein Maͤdchen von ſo unvergleichlicher Schoͤnheit, daß ſie die Au- gen aller jungen Maͤnner in ihrer Vaterſtadt auf ſich zog. Vor vielen andern bewarb ſich Signor Gaſperino um ihre Gunſt. Geburt, Vermoͤgen, Geſtalt und Herz empfahlen ihn kraͤftig genug; und eben konnt' er ſich mit der gegruͤndeteſten Hofnung ihres baldigen Ja- worts ſchmeicheln, als er den ungluͤcklichenEin- fall hatte, auch ſeinen vertrauteſten Freund, Piſani, in dieſem Hauſe aufzufuͤhren. Piſani war allerdings noch wohlgewachſner und rei- zender, als Gaſperino. Chriſtine ſah und ſprach ihn kaum, ſo fuͤhlte ſie Liebe gegen ihn; durch Blicke, Worte, und bald drauf durch ein zaͤrtliches Briefchen geſtand ſie ihm ihre Em- pfindung. Piſani ließ ſolche nicht unerwie- dert. Ohne Bedenken opferte er ſeinen Freund

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/350
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/350>, abgerufen am 30.07.2024.