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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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nenden Engel des Lichts. Wenn Jener einen
schreckte, so überredete dieser wenigstens viere.
Ob ein solches Verfahren noch dauert, weiß ich
nicht. Wahrscheinlich ist es seit K. Josephs II.
Zeiten ganz erloschen; auch bin ich weit davon
entfernt,dasselbe anpreisungswürdig zu finden.
Es war,aufs gelindeste gesprochen, immer eine
Art von Ueberlistung, und Ueberlistung
solte von jedem Gerichte, in jeder Sache, noch
so wichtig oder noch so geringe, auf ewig ent-
fernt bleiben. Aber wie weit würksamer Güte
als Strenge sei, ergiebt sich doch augenschein-
lich hieraus; und welchen mächtigen Eindruck
selbst eine kleine Milde auf verstockt schei-
nende Seelen machen könne, davon mag zum
Beschlus folgende Anekdote zeugen.

Vor ohngefähr siebzehn oder achtzehn
Jahren wurden in Prag einige Juden gefol-
tert, die des Straßenraubs fast ganz über-
wiesen waren, aber aufs hartnäckigste ihn ab-
läugneten. Selbst die Folter brachte sie nicht
zur Sprache. Vorzüglich überstand solche ein

nenden Engel des Lichts. Wenn Jener einen
ſchreckte, ſo uͤberredete dieſer wenigſtens viere.
Ob ein ſolches Verfahren noch dauert, weiß ich
nicht. Wahrſcheinlich iſt es ſeit K. Joſephs II.
Zeiten ganz erloſchen; auch bin ich weit davon
entfernt,daſſelbe anpreiſungswuͤrdig zu finden.
Es war,aufs gelindeſte geſprochen, immer eine
Art von Ueberliſtung, und Ueberliſtung
ſolte von jedem Gerichte, in jeder Sache, noch
ſo wichtig oder noch ſo geringe, auf ewig ent-
fernt bleiben. Aber wie weit wuͤrkſamer Guͤte
als Strenge ſei, ergiebt ſich doch augenſchein-
lich hieraus; und welchen maͤchtigen Eindruck
ſelbſt eine kleine Milde auf verſtockt ſchei-
nende Seelen machen koͤnne, davon mag zum
Beſchlus folgende Anekdote zeugen.

Vor ohngefaͤhr ſiebzehn oder achtzehn
Jahren wurden in Prag einige Juden gefol-
tert, die des Straßenraubs faſt ganz uͤber-
wieſen waren, aber aufs hartnaͤckigſte ihn ab-
laͤugneten. Selbſt die Folter brachte ſie nicht
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[326/0334] nenden Engel des Lichts. Wenn Jener einen ſchreckte, ſo uͤberredete dieſer wenigſtens viere. Ob ein ſolches Verfahren noch dauert, weiß ich nicht. Wahrſcheinlich iſt es ſeit K. Joſephs II. Zeiten ganz erloſchen; auch bin ich weit davon entfernt,daſſelbe anpreiſungswuͤrdig zu finden. Es war,aufs gelindeſte geſprochen, immer eine Art von Ueberliſtung, und Ueberliſtung ſolte von jedem Gerichte, in jeder Sache, noch ſo wichtig oder noch ſo geringe, auf ewig ent- fernt bleiben. Aber wie weit wuͤrkſamer Guͤte als Strenge ſei, ergiebt ſich doch augenſchein- lich hieraus; und welchen maͤchtigen Eindruck ſelbſt eine kleine Milde auf verſtockt ſchei- nende Seelen machen koͤnne, davon mag zum Beſchlus folgende Anekdote zeugen. Vor ohngefaͤhr ſiebzehn oder achtzehn Jahren wurden in Prag einige Juden gefol- tert, die des Straßenraubs faſt ganz uͤber- wieſen waren, aber aufs hartnaͤckigſte ihn ab- laͤugneten. Selbſt die Folter brachte ſie nicht zur Sprache. Vorzuͤglich uͤberſtand ſolche ein

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/334>, abgerufen am 23.11.2024.