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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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die ihm nöthig schienen, mit Besonnenheit. Er
war des andern Morgens,als er die Witwe wie-
der besuchte, freundlicher, ja fast zärtlicher,
als jemals. Er versprach ihr, ehe sie ihm noch
drum bat, heute um drei Uhr wiederzukom-
men, und dann auf einen Spaziergang sie zu
begleiten. Die Arme freute sich recht herzlich
drüber, und wußte nicht, daß in diesem Au-
genblick ihr Todesurtheil gesprochen werde.

Zwar versicherte R. später nachher unab-
lässig: Noch hab' er damals an keinen Mord
gedacht. Die Alte zu überraschen, zu binden,
und zu knebeln; dann, vielleicht vor ihren
Augen, jenen Schrank zu plündern, wegzu-
gehn und alle Thüren zu sperren, -- darinnen
habe sein ganzer Plan bestanden. Kraft genug,
sie zu überwältigen,Geschicklichkeit genug,alles
Getöse zu vermeiden, hab' er freilich sich zu-
getraut. Nur ein unglückliches Ohngefähr
habe ihm, kurz vorher, eh' er schon gehen
wollen, ein Rasirmesser unter die Hände ge-
führt, und blos auf den höchsten Nothfall,

blos

die ihm noͤthig ſchienen, mit Beſonnenheit. Er
war des andern Morgens,als er die Witwe wie-
der beſuchte, freundlicher, ja faſt zaͤrtlicher,
als jemals. Er verſprach ihr, ehe ſie ihm noch
drum bat, heute um drei Uhr wiederzukom-
men, und dann auf einen Spaziergang ſie zu
begleiten. Die Arme freute ſich recht herzlich
druͤber, und wußte nicht, daß in dieſem Au-
genblick ihr Todesurtheil geſprochen werde.

Zwar verſicherte R. ſpaͤter nachher unab-
laͤſſig: Noch hab' er damals an keinen Mord
gedacht. Die Alte zu uͤberraſchen, zu binden,
und zu knebeln; dann, vielleicht vor ihren
Augen, jenen Schrank zu pluͤndern, wegzu-
gehn und alle Thuͤren zu ſperren, — darinnen
habe ſein ganzer Plan beſtanden. Kraft genug,
ſie zu uͤberwaͤltigen,Geſchicklichkeit genug,alles
Getoͤſe zu vermeiden, hab' er freilich ſich zu-
getraut. Nur ein ungluͤckliches Ohngefaͤhr
habe ihm, kurz vorher, eh' er ſchon gehen
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fuͤhrt, und blos auf den hoͤchſten Nothfall,

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[272/0280] die ihm noͤthig ſchienen, mit Beſonnenheit. Er war des andern Morgens,als er die Witwe wie- der beſuchte, freundlicher, ja faſt zaͤrtlicher, als jemals. Er verſprach ihr, ehe ſie ihm noch drum bat, heute um drei Uhr wiederzukom- men, und dann auf einen Spaziergang ſie zu begleiten. Die Arme freute ſich recht herzlich druͤber, und wußte nicht, daß in dieſem Au- genblick ihr Todesurtheil geſprochen werde. Zwar verſicherte R. ſpaͤter nachher unab- laͤſſig: Noch hab' er damals an keinen Mord gedacht. Die Alte zu uͤberraſchen, zu binden, und zu knebeln; dann, vielleicht vor ihren Augen, jenen Schrank zu pluͤndern, wegzu- gehn und alle Thuͤren zu ſperren, — darinnen habe ſein ganzer Plan beſtanden. Kraft genug, ſie zu uͤberwaͤltigen,Geſchicklichkeit genug,alles Getoͤſe zu vermeiden, hab' er freilich ſich zu- getraut. Nur ein ungluͤckliches Ohngefaͤhr habe ihm, kurz vorher, eh' er ſchon gehen wollen, ein Raſirmeſſer unter die Haͤnde ge- fuͤhrt, und blos auf den hoͤchſten Nothfall, blos

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/280>, abgerufen am 12.05.2024.