Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

tragen, durch sein frommes Reden, durch wil-
lige Dienstleistungen und Kleinigkeiten mancher
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des
Aufsehers vom Zuchthause erworben. Daß
er zu entfliehen suchen solle, argwohnte kein
Mensch, denn man hielt ihn noch für alzu-
matt von seiner lezten Krankheit; nicht gerech-
net, daß es eine Thorheit gewesen wäre, wenn
er, der nicht viel zu befürchten hatte, durch
eine Entweichung sich alles hätte verschlim-
mern wollen. -- Mit wenigen Worten, man
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu
bemerken: wo des Nachts die Hausschlüssel
hingelegt wurden; wuste sie glücklich zu ent-
wenden; schlos auf; war aber nichts weni-
ger willens, als zu entfliehen; sondern sein
einziger Zweck blieb: Wiederholung seiner
Rache. Diesmal hatte er nicht so weit, wie
das erstemal. Nachdem er bewürkt, was er
suchte, war er richtig zurückgekehrt, und war
beim Eingange so unbemerkt wie beim Aus-
gange geblieben.

tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil-
lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des
Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß
er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein
Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu-
matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech-
net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn
er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch
eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim-
mern wollen. — Mit wenigen Worten, man
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu
bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel
hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent-
wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni-
ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein
einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner
Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie
das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er
ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war
beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus-
gange geblieben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0222" n="214"/>
tragen, durch &#x017F;ein frommes Reden, durch wil-<lb/>
lige Dien&#x017F;tlei&#x017F;tungen und Kleinigkeiten mancher<lb/>
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des<lb/>
Auf&#x017F;ehers vom Zuchthau&#x017F;e erworben. Daß<lb/>
er zu entfliehen &#x017F;uchen &#x017F;olle, argwohnte kein<lb/>
Men&#x017F;ch, denn man hielt ihn noch fu&#x0364;r alzu-<lb/>
matt von &#x017F;einer lezten Krankheit; nicht gerech-<lb/>
net, daß es eine Thorheit gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, wenn<lb/>
er, der nicht viel zu befu&#x0364;rchten hatte, durch<lb/>
eine Entweichung &#x017F;ich alles ha&#x0364;tte ver&#x017F;chlim-<lb/>
mern wollen. &#x2014; Mit wenigen Worten, man<lb/>
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu<lb/>
bemerken: wo des Nachts die Haus&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el<lb/>
hingelegt wurden; wu&#x017F;te &#x017F;ie glu&#x0364;cklich zu ent-<lb/>
wenden; &#x017F;chlos auf; war aber nichts weni-<lb/>
ger willens, als zu entfliehen; &#x017F;ondern &#x017F;ein<lb/>
einziger Zweck blieb: Wiederholung &#x017F;einer<lb/>
Rache. Diesmal hatte er nicht &#x017F;o weit, wie<lb/>
das er&#x017F;temal. Nachdem er bewu&#x0364;rkt, was er<lb/>
&#x017F;uchte, war er richtig zuru&#x0364;ckgekehrt, und war<lb/>
beim Eingange &#x017F;o unbemerkt wie beim Aus-<lb/>
gange geblieben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0222] tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil- lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher Art hatte er nach und nach das Zutrauen des Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu- matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech- net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim- mern wollen. — Mit wenigen Worten, man traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent- wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni- ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus- gange geblieben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/222
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/222>, abgerufen am 02.05.2024.