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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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und das ganze Geschäfte unserm Halbheiligen
unangenehm. Er brachte daher einen andern
Knecht dazu im Vorschlag; erhielt aber zur
Antwort: daß dieser ebenfalls schon seine be-
stimte Arbeit habe. Ein kleiner Wortwechsel
entstand nun zwischen den Brüdern. Der
Jüngere erklärte: daß er zwar reisen wolle,
daß er aber seinen Bruder und dessen Kinder
bedaure; "denn Gott werde es nicht unge-
"rächt lassen, daß man einen seiner Lieblinge
"absichtlich kränke." Der ältere behauptete,
wie billig: daß die jenem aufgetragne Arbeit
keine Kränkung wäre; lachte über die ihm an-
gedrohte Strafe; und erkühnte sich zu sagen:
daß ein Liebling Gottes auch arbeiten müsse.
Der träge Heuchler muste endlich nachgeben;
versprach mit Anfang nächster Woche zu rei-
sen; blieb aber immer bei der Besorgnis: daß
die Reue nur allzufrüh sich einstellen werde.

Er hatte Recht. Dieser kleine Zwist fiel
Freitags vor. Des Sonnabends drauf, als
nach Kurländischer Sitte der Hauswirth

N 4

und das ganze Geſchaͤfte unſerm Halbheiligen
unangenehm. Er brachte daher einen andern
Knecht dazu im Vorſchlag; erhielt aber zur
Antwort: daß dieſer ebenfalls ſchon ſeine be-
ſtimte Arbeit habe. Ein kleiner Wortwechſel
entſtand nun zwiſchen den Bruͤdern. Der
Juͤngere erklaͤrte: daß er zwar reiſen wolle,
daß er aber ſeinen Bruder und deſſen Kinder
bedaure; „denn Gott werde es nicht unge-
„raͤcht laſſen, daß man einen ſeiner Lieblinge
„abſichtlich kraͤnke.“ Der aͤltere behauptete,
wie billig: daß die jenem aufgetragne Arbeit
keine Kraͤnkung waͤre; lachte uͤber die ihm an-
gedrohte Strafe; und erkuͤhnte ſich zu ſagen:
daß ein Liebling Gottes auch arbeiten muͤſſe.
Der traͤge Heuchler muſte endlich nachgeben;
verſprach mit Anfang naͤchſter Woche zu rei-
ſen; blieb aber immer bei der Beſorgnis: daß
die Reue nur allzufruͤh ſich einſtellen werde.

Er hatte Recht. Dieſer kleine Zwiſt fiel
Freitags vor. Des Sonnabends drauf, als
nach Kurlaͤndiſcher Sitte der Hauswirth

N 4
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[199/0207] und das ganze Geſchaͤfte unſerm Halbheiligen unangenehm. Er brachte daher einen andern Knecht dazu im Vorſchlag; erhielt aber zur Antwort: daß dieſer ebenfalls ſchon ſeine be- ſtimte Arbeit habe. Ein kleiner Wortwechſel entſtand nun zwiſchen den Bruͤdern. Der Juͤngere erklaͤrte: daß er zwar reiſen wolle, daß er aber ſeinen Bruder und deſſen Kinder bedaure; „denn Gott werde es nicht unge- „raͤcht laſſen, daß man einen ſeiner Lieblinge „abſichtlich kraͤnke.“ Der aͤltere behauptete, wie billig: daß die jenem aufgetragne Arbeit keine Kraͤnkung waͤre; lachte uͤber die ihm an- gedrohte Strafe; und erkuͤhnte ſich zu ſagen: daß ein Liebling Gottes auch arbeiten muͤſſe. Der traͤge Heuchler muſte endlich nachgeben; verſprach mit Anfang naͤchſter Woche zu rei- ſen; blieb aber immer bei der Beſorgnis: daß die Reue nur allzufruͤh ſich einſtellen werde. Er hatte Recht. Dieſer kleine Zwiſt fiel Freitags vor. Des Sonnabends drauf, als nach Kurlaͤndiſcher Sitte der Hauswirth N 4

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/207>, abgerufen am 03.05.2024.