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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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ten seiner Frau in Gedanken eben den Schwur;
den er ihr selbst am Todbette gethan hatte.

Doch so, wie wieder einige Tage verflossen
waren, stiegen auch andre Gedanken und man-
cherlei Zweifel in ihm auf. -- "Wie dann,
"wenn es nur ein Mondschein, ein Licht im
"ersten Stocke oder wohl gar deine Einbil-
"dung gewesen wäre? Bist ein so alter Kerl
"-- so lange in diesem Hause -- so oft auf
"dem nemlichen Wege, und spürtest nie etwas
"unheimliches! Nur jezt -- Possen, ich ver-
"such es noch einmal! muß entweder hinein
"oder mir wenigstens das Ding, das mich
"scheucht, genauer besehen." Er ging; nach
Mitternacht; kein Mondschein war am Him-
mel, im ganzen Hause kein wachender Mensch,
und kein Licht zu spüren. Er samlete seine
ganze Herzhaftigkeit. Sie hielt aus, bis er
im Hof eintrat; aber sieh da, der Geist seiner
Frau stand wieder am vorigen Posten. Es
war ihre Gestalt, ihr Gesicht, ihre Größe;
alles vom größten bis zum kleinsten! Er be-

ten ſeiner Frau in Gedanken eben den Schwur;
den er ihr ſelbſt am Todbette gethan hatte.

Doch ſo, wie wieder einige Tage verfloſſen
waren, ſtiegen auch andre Gedanken und man-
cherlei Zweifel in ihm auf. — „Wie dann,
„wenn es nur ein Mondſchein, ein Licht im
„erſten Stocke oder wohl gar deine Einbil-
„dung geweſen waͤre? Biſt ein ſo alter Kerl
„— ſo lange in dieſem Hauſe — ſo oft auf
„dem nemlichen Wege, und ſpuͤrteſt nie etwas
„unheimliches! Nur jezt — Poſſen, ich ver-
„ſuch es noch einmal! muß entweder hinein
„oder mir wenigſtens das Ding, das mich
„ſcheucht, genauer beſehen.“ Er ging; nach
Mitternacht; kein Mondſchein war am Him-
mel, im ganzen Hauſe kein wachender Menſch,
und kein Licht zu ſpuͤren. Er ſamlete ſeine
ganze Herzhaftigkeit. Sie hielt aus, bis er
im Hof eintrat; aber ſieh da, der Geiſt ſeiner
Frau ſtand wieder am vorigen Poſten. Es
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[110/0118] ten ſeiner Frau in Gedanken eben den Schwur; den er ihr ſelbſt am Todbette gethan hatte. Doch ſo, wie wieder einige Tage verfloſſen waren, ſtiegen auch andre Gedanken und man- cherlei Zweifel in ihm auf. — „Wie dann, „wenn es nur ein Mondſchein, ein Licht im „erſten Stocke oder wohl gar deine Einbil- „dung geweſen waͤre? Biſt ein ſo alter Kerl „— ſo lange in dieſem Hauſe — ſo oft auf „dem nemlichen Wege, und ſpuͤrteſt nie etwas „unheimliches! Nur jezt — Poſſen, ich ver- „ſuch es noch einmal! muß entweder hinein „oder mir wenigſtens das Ding, das mich „ſcheucht, genauer beſehen.“ Er ging; nach Mitternacht; kein Mondſchein war am Him- mel, im ganzen Hauſe kein wachender Menſch, und kein Licht zu ſpuͤren. Er ſamlete ſeine ganze Herzhaftigkeit. Sie hielt aus, bis er im Hof eintrat; aber ſieh da, der Geiſt ſeiner Frau ſtand wieder am vorigen Poſten. Es war ihre Geſtalt, ihr Geſicht, ihre Groͤße; alles vom groͤßten bis zum kleinſten! Er be-

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/118>, abgerufen am 05.05.2024.