Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Dies Gesuch wurde ihm gewährt. Eine Stunde später klirrte die Thüre; Wendelin trat ein, und stumm fielen sich Beide in die Arme. Beide weinten. Da sank Wendelin ins Knie, umschlang seinen Herrn inbrünstig mit beiden Armen und bat ihn um Verzeihung, daß er durch seinen Befreiungsversuch sein Loos verschlimmert habe, wie er denn überhaupt, vom ersten Tage her, an seinem Verhängnisse Schuld trage. Der Müller, tief bewegt von so viel Liebe und Treue, bat ihn, zu schweigen. Er rief den Gefängnißwärter und trug ihm auf, eine Gerichtsperson zu holen, weil er sein Testament aufsetzen wolle. Wendelin ward nicht müde, seinen Herrn zu sehen, seine Hände zu fassen und zu drücken, ihn zu beklagen, ihn zu beweinen. Er war der festen Hoffnung, daß die Herren vom obersten Gerichtshofe, ja der Landesherr selber, ein Einsehen haben und noch in der letzten Stunde das Urtheil mildern würden. Daß er selbst seine That, wenn auch nicht mit dem Leben, doch mit vielen Jahren Kerker zu büßen haben werde, schien er vergessen zu haben und war nur lebendig für das fremde Leid. Reinbacher hörte ihn kaum, seine Seele war fern und schwärmte in vergangenen Jahren und anderen Orten, aber er betrachtete wehmüthig Wendelin's Gesicht. Armer Knabe! sagte er endlich, du sagtest einst: Dies Gesuch wurde ihm gewährt. Eine Stunde später klirrte die Thüre; Wendelin trat ein, und stumm fielen sich Beide in die Arme. Beide weinten. Da sank Wendelin ins Knie, umschlang seinen Herrn inbrünstig mit beiden Armen und bat ihn um Verzeihung, daß er durch seinen Befreiungsversuch sein Loos verschlimmert habe, wie er denn überhaupt, vom ersten Tage her, an seinem Verhängnisse Schuld trage. Der Müller, tief bewegt von so viel Liebe und Treue, bat ihn, zu schweigen. Er rief den Gefängnißwärter und trug ihm auf, eine Gerichtsperson zu holen, weil er sein Testament aufsetzen wolle. Wendelin ward nicht müde, seinen Herrn zu sehen, seine Hände zu fassen und zu drücken, ihn zu beklagen, ihn zu beweinen. Er war der festen Hoffnung, daß die Herren vom obersten Gerichtshofe, ja der Landesherr selber, ein Einsehen haben und noch in der letzten Stunde das Urtheil mildern würden. Daß er selbst seine That, wenn auch nicht mit dem Leben, doch mit vielen Jahren Kerker zu büßen haben werde, schien er vergessen zu haben und war nur lebendig für das fremde Leid. Reinbacher hörte ihn kaum, seine Seele war fern und schwärmte in vergangenen Jahren und anderen Orten, aber er betrachtete wehmüthig Wendelin's Gesicht. Armer Knabe! sagte er endlich, du sagtest einst: <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <pb facs="#f0097"/> <p>Dies Gesuch wurde ihm gewährt.</p><lb/> <p>Eine Stunde später klirrte die Thüre; Wendelin trat ein, und stumm fielen sich Beide in die Arme. Beide weinten. Da sank Wendelin ins Knie, umschlang seinen Herrn inbrünstig mit beiden Armen und bat ihn um Verzeihung, daß er durch seinen Befreiungsversuch sein Loos verschlimmert habe, wie er denn überhaupt, vom ersten Tage her, an seinem Verhängnisse Schuld trage.</p><lb/> <p>Der Müller, tief bewegt von so viel Liebe und Treue, bat ihn, zu schweigen. Er rief den Gefängnißwärter und trug ihm auf, eine Gerichtsperson zu holen, weil er sein Testament aufsetzen wolle.</p><lb/> <p>Wendelin ward nicht müde, seinen Herrn zu sehen, seine Hände zu fassen und zu drücken, ihn zu beklagen, ihn zu beweinen. Er war der festen Hoffnung, daß die Herren vom obersten Gerichtshofe, ja der Landesherr selber, ein Einsehen haben und noch in der letzten Stunde das Urtheil mildern würden. Daß er selbst seine That, wenn auch nicht mit dem Leben, doch mit vielen Jahren Kerker zu büßen haben werde, schien er vergessen zu haben und war nur lebendig für das fremde Leid.</p><lb/> <p>Reinbacher hörte ihn kaum, seine Seele war fern und schwärmte in vergangenen Jahren und anderen Orten, aber er betrachtete wehmüthig Wendelin's Gesicht.</p><lb/> <p>Armer Knabe! sagte er endlich, du sagtest einst:<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0097]
Dies Gesuch wurde ihm gewährt.
Eine Stunde später klirrte die Thüre; Wendelin trat ein, und stumm fielen sich Beide in die Arme. Beide weinten. Da sank Wendelin ins Knie, umschlang seinen Herrn inbrünstig mit beiden Armen und bat ihn um Verzeihung, daß er durch seinen Befreiungsversuch sein Loos verschlimmert habe, wie er denn überhaupt, vom ersten Tage her, an seinem Verhängnisse Schuld trage.
Der Müller, tief bewegt von so viel Liebe und Treue, bat ihn, zu schweigen. Er rief den Gefängnißwärter und trug ihm auf, eine Gerichtsperson zu holen, weil er sein Testament aufsetzen wolle.
Wendelin ward nicht müde, seinen Herrn zu sehen, seine Hände zu fassen und zu drücken, ihn zu beklagen, ihn zu beweinen. Er war der festen Hoffnung, daß die Herren vom obersten Gerichtshofe, ja der Landesherr selber, ein Einsehen haben und noch in der letzten Stunde das Urtheil mildern würden. Daß er selbst seine That, wenn auch nicht mit dem Leben, doch mit vielen Jahren Kerker zu büßen haben werde, schien er vergessen zu haben und war nur lebendig für das fremde Leid.
Reinbacher hörte ihn kaum, seine Seele war fern und schwärmte in vergangenen Jahren und anderen Orten, aber er betrachtete wehmüthig Wendelin's Gesicht.
Armer Knabe! sagte er endlich, du sagtest einst:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/97 |
Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/97>, abgerufen am 22.07.2024. |