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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wehrt war, mit seinem Herrn zu sprechen, war es ihm schon eine Beruhigung, den Schimmer seines Lämpchens durch das vergitterte Fenster herabstreifen zu sehen, und allerhand Gedanken und Pläne der Befreiung beschäftigten ihn fortwährend, ohne daß er es jedoch hierin zu irgend einem festen Entschlusse bringen konnte.

Nun sah er den Wagen, die Soldaten, sah die durch die Nacht geheimnißvoll umherirrenden Lichter, hörte leise gewechselte Worte, endlich Schritte und den Klang von Ketten, ein nächtiges, seltsames Treiben. Das ist er! Sie bringen ihn heimlich um! rief er, seiner Sinne vor Schrecken kaum mächtig, als er die stämmige Gestalt seines Herrn langsam die Treppe herabschreiten sah. Seine geängstigte Seele setzte sogleich das Schrecklichste voraus.

In der Gaststube des "silbernen Hirschen" waren noch alle Tische von den zurückgebliebenen Besuchern des Morgens abgehaltenen Marktes besetzt. Man hörte Lärm und Gelächter. Wendelin stürzte auf das Haus los, bleich, verstört, athemlos, riß die Thüre auf und rief mit dröhnender Stimme: Heraus, Leute, heraus! Man führt den Müller heimlich zum Tode! Kommt mir nach! mir nach!

Er verschwand sogleich wieder.

In wilder Bewegung erhob sich Alles. Jeder ergriff als Waffe, was er nur konnte. Das Wirthshaus war in einem Moment von allen Gästen gesäubert.

wehrt war, mit seinem Herrn zu sprechen, war es ihm schon eine Beruhigung, den Schimmer seines Lämpchens durch das vergitterte Fenster herabstreifen zu sehen, und allerhand Gedanken und Pläne der Befreiung beschäftigten ihn fortwährend, ohne daß er es jedoch hierin zu irgend einem festen Entschlusse bringen konnte.

Nun sah er den Wagen, die Soldaten, sah die durch die Nacht geheimnißvoll umherirrenden Lichter, hörte leise gewechselte Worte, endlich Schritte und den Klang von Ketten, ein nächtiges, seltsames Treiben. Das ist er! Sie bringen ihn heimlich um! rief er, seiner Sinne vor Schrecken kaum mächtig, als er die stämmige Gestalt seines Herrn langsam die Treppe herabschreiten sah. Seine geängstigte Seele setzte sogleich das Schrecklichste voraus.

In der Gaststube des „silbernen Hirschen“ waren noch alle Tische von den zurückgebliebenen Besuchern des Morgens abgehaltenen Marktes besetzt. Man hörte Lärm und Gelächter. Wendelin stürzte auf das Haus los, bleich, verstört, athemlos, riß die Thüre auf und rief mit dröhnender Stimme: Heraus, Leute, heraus! Man führt den Müller heimlich zum Tode! Kommt mir nach! mir nach!

Er verschwand sogleich wieder.

In wilder Bewegung erhob sich Alles. Jeder ergriff als Waffe, was er nur konnte. Das Wirthshaus war in einem Moment von allen Gästen gesäubert.

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[0061] wehrt war, mit seinem Herrn zu sprechen, war es ihm schon eine Beruhigung, den Schimmer seines Lämpchens durch das vergitterte Fenster herabstreifen zu sehen, und allerhand Gedanken und Pläne der Befreiung beschäftigten ihn fortwährend, ohne daß er es jedoch hierin zu irgend einem festen Entschlusse bringen konnte. Nun sah er den Wagen, die Soldaten, sah die durch die Nacht geheimnißvoll umherirrenden Lichter, hörte leise gewechselte Worte, endlich Schritte und den Klang von Ketten, ein nächtiges, seltsames Treiben. Das ist er! Sie bringen ihn heimlich um! rief er, seiner Sinne vor Schrecken kaum mächtig, als er die stämmige Gestalt seines Herrn langsam die Treppe herabschreiten sah. Seine geängstigte Seele setzte sogleich das Schrecklichste voraus. In der Gaststube des „silbernen Hirschen“ waren noch alle Tische von den zurückgebliebenen Besuchern des Morgens abgehaltenen Marktes besetzt. Man hörte Lärm und Gelächter. Wendelin stürzte auf das Haus los, bleich, verstört, athemlos, riß die Thüre auf und rief mit dröhnender Stimme: Heraus, Leute, heraus! Man führt den Müller heimlich zum Tode! Kommt mir nach! mir nach! Er verschwand sogleich wieder. In wilder Bewegung erhob sich Alles. Jeder ergriff als Waffe, was er nur konnte. Das Wirthshaus war in einem Moment von allen Gästen gesäubert.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:41:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:41:19Z)

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/61>, abgerufen am 16.04.2024.