Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wendelin, wenn es dir eine so große Freude macht, einen Menschen hängen zu sehen, so steige aus. Ich komme auch allein zum Anwalt. Im Hirsch finden wir uns. Der Bursche sah seinen Herrn groß und freudig an und händigte ihm rasch die Zügel ein. Mit einem Sprunge war er vom Bocke herab und war, während der Müller seinen Wagen in die Stadt lenkte, bereits in der Menge verschwunden. Der Advocat war zu Hause, aber die Nachrichten, die er dem Müller gab, taugten wenig. Es zeigte sich wieder, welche mächtigen Feinde dieser reiche und stolze Mann im Rathe der kurfürstlichen Regierung habe. Unmuthig kam Reinbacher nach langen Verhandlungen im Wirthshause zum silbernen Hirsch, dem Rathhause gegenüber, an, wo ihn Wendelin bereits erwartete. Die Wirthin, eine volle, noch gut aussehende Frau, begrüßte Reinbacher aufs Freundlichste und wies ihm vor einem gedeckten Tische den besten Platz an. Aber der Müller war düster und wortkarg. Wendelin, der den Kopf von Allem voll hatte, was er gesehen, wollte fortwährend eine Rede beginnen und hätte am liebsten Alles haarklein erzählt, aber er sah seinen Herrn in schlechter Laune und schwieg verlegen. Allmählich füllte sich die Stube mit Gästen. Der Morgen war nun doch einmal durch das Tagesereigniß unterbrochen, und die aufgeregten Geister forderten Wendelin, wenn es dir eine so große Freude macht, einen Menschen hängen zu sehen, so steige aus. Ich komme auch allein zum Anwalt. Im Hirsch finden wir uns. Der Bursche sah seinen Herrn groß und freudig an und händigte ihm rasch die Zügel ein. Mit einem Sprunge war er vom Bocke herab und war, während der Müller seinen Wagen in die Stadt lenkte, bereits in der Menge verschwunden. Der Advocat war zu Hause, aber die Nachrichten, die er dem Müller gab, taugten wenig. Es zeigte sich wieder, welche mächtigen Feinde dieser reiche und stolze Mann im Rathe der kurfürstlichen Regierung habe. Unmuthig kam Reinbacher nach langen Verhandlungen im Wirthshause zum silbernen Hirsch, dem Rathhause gegenüber, an, wo ihn Wendelin bereits erwartete. Die Wirthin, eine volle, noch gut aussehende Frau, begrüßte Reinbacher aufs Freundlichste und wies ihm vor einem gedeckten Tische den besten Platz an. Aber der Müller war düster und wortkarg. Wendelin, der den Kopf von Allem voll hatte, was er gesehen, wollte fortwährend eine Rede beginnen und hätte am liebsten Alles haarklein erzählt, aber er sah seinen Herrn in schlechter Laune und schwieg verlegen. Allmählich füllte sich die Stube mit Gästen. Der Morgen war nun doch einmal durch das Tagesereigniß unterbrochen, und die aufgeregten Geister forderten <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> Wendelin, wenn es dir eine so große Freude macht, einen Menschen hängen zu sehen, so steige aus. Ich komme auch allein zum Anwalt. Im Hirsch finden wir uns.</p><lb/> <p>Der Bursche sah seinen Herrn groß und freudig an und händigte ihm rasch die Zügel ein. Mit einem Sprunge war er vom Bocke herab und war, während der Müller seinen Wagen in die Stadt lenkte, bereits in der Menge verschwunden.</p><lb/> <p>Der Advocat war zu Hause, aber die Nachrichten, die er dem Müller gab, taugten wenig. Es zeigte sich wieder, welche mächtigen Feinde dieser reiche und stolze Mann im Rathe der kurfürstlichen Regierung habe.</p><lb/> <p>Unmuthig kam Reinbacher nach langen Verhandlungen im Wirthshause zum silbernen Hirsch, dem Rathhause gegenüber, an, wo ihn Wendelin bereits erwartete. Die Wirthin, eine volle, noch gut aussehende Frau, begrüßte Reinbacher aufs Freundlichste und wies ihm vor einem gedeckten Tische den besten Platz an. Aber der Müller war düster und wortkarg. Wendelin, der den Kopf von Allem voll hatte, was er gesehen, wollte fortwährend eine Rede beginnen und hätte am liebsten Alles haarklein erzählt, aber er sah seinen Herrn in schlechter Laune und schwieg verlegen.</p><lb/> <p>Allmählich füllte sich die Stube mit Gästen. Der Morgen war nun doch einmal durch das Tagesereigniß unterbrochen, und die aufgeregten Geister forderten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Wendelin, wenn es dir eine so große Freude macht, einen Menschen hängen zu sehen, so steige aus. Ich komme auch allein zum Anwalt. Im Hirsch finden wir uns.
Der Bursche sah seinen Herrn groß und freudig an und händigte ihm rasch die Zügel ein. Mit einem Sprunge war er vom Bocke herab und war, während der Müller seinen Wagen in die Stadt lenkte, bereits in der Menge verschwunden.
Der Advocat war zu Hause, aber die Nachrichten, die er dem Müller gab, taugten wenig. Es zeigte sich wieder, welche mächtigen Feinde dieser reiche und stolze Mann im Rathe der kurfürstlichen Regierung habe.
Unmuthig kam Reinbacher nach langen Verhandlungen im Wirthshause zum silbernen Hirsch, dem Rathhause gegenüber, an, wo ihn Wendelin bereits erwartete. Die Wirthin, eine volle, noch gut aussehende Frau, begrüßte Reinbacher aufs Freundlichste und wies ihm vor einem gedeckten Tische den besten Platz an. Aber der Müller war düster und wortkarg. Wendelin, der den Kopf von Allem voll hatte, was er gesehen, wollte fortwährend eine Rede beginnen und hätte am liebsten Alles haarklein erzählt, aber er sah seinen Herrn in schlechter Laune und schwieg verlegen.
Allmählich füllte sich die Stube mit Gästen. Der Morgen war nun doch einmal durch das Tagesereigniß unterbrochen, und die aufgeregten Geister forderten
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/10>, abgerufen am 17.02.2025. |