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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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fürchtet. Jedenfalls ist seine Furcht - die Brotfurcht
- begreiflicher als alle anderen Bedenken. Den vierten
im Bunde bezeichnet Frau Dohm als den "Ritter der Mater
dolorosa", der den Tempel bedroht sieht, einen imaginären
Tempel, in dem das Weib, seiner Ansicht nach, nichts
anderes zu tun hat, als durch rührende und anmutige
lebende Bilder diese prosaische Welt zu verklären.

Aber diese Ritter des Antifeminismus, die Frau Dohm
in ihrem prächtigen, kraftvollen Buche aufzählt, gehören
zu der Gruppe der Ungefährlichen; es sind meist Ritter
von sehr trauriger Gestalt - sie verführen und blenden
kaum irgend jemanden, der nicht von vorneherein ihrer
Gesinnung wäre. Gefährlich und verführerisch sind nur die
anderen - die Ästhetiker. Dem beängstigenden Problem
"Nietzsche und die Frauen" weicht Frau Dohm nicht aus:
scharf, ruhig und fest faßt sie den herrlichsten Feind ins
Auge, und sie findet die Formel, die die Verirrung des einsamen
Großen erklärt, die Begründung für seinen seltsamen
Aberglauben, seine naive Fetischliebe zum Haremsystem,
diesem Produkte der "ungeheuern Vernunft Asiens". Woher
kommt es, fragt sie sich, daß selbst vornehme, kühne und
tiefe Denker sich oft aller Logik, Wissenschaftlichkeit und
vor allem Gewissenhaftigkeit (den Tatsachen gegenüber)
bar erweisen? Daß sie dann mit Gefühlen, Instinkten, Intuitionen
und Wissenschaftlichkeit jonglieren? Nietzsche selbst
gibt ihr die Antwort: "Auch große Geister haben nur ihre
fünffingerbreite Erfahrung; gleich daneben hört ihr Nachdenken
auf und es beginnt ihr unendlich leerer Raum und
ihre Dummheit."

Aber noch verführerischer, noch blendender als der
Dichter - kommt der Philosoph. Mittels übersinnlicher
Spekulation konstruiert er seine Waffen, und er, der Metaphysiker,
wäre der einzig zu fürchtende Feind, weil er sich
in Regionen bewegt, in denen sich nicht hart und wahrnehmbar

fürchtet. Jedenfalls ist seine Furcht – die Brotfurcht
– begreiflicher als alle anderen Bedenken. Den vierten
im Bunde bezeichnet Frau Dohm als den »Ritter der Mater
dolorosa«, der den Tempel bedroht sieht, einen imaginären
Tempel, in dem das Weib, seiner Ansicht nach, nichts
anderes zu tun hat, als durch rührende und anmutige
lebende Bilder diese prosaische Welt zu verklären.

Aber diese Ritter des Antifeminismus, die Frau Dohm
in ihrem prächtigen, kraftvollen Buche aufzählt, gehören
zu der Gruppe der Ungefährlichen; es sind meist Ritter
von sehr trauriger Gestalt – sie verführen und blenden
kaum irgend jemanden, der nicht von vorneherein ihrer
Gesinnung wäre. Gefährlich und verführerisch sind nur die
anderen – die Ästhetiker. Dem beängstigenden Problem
»Nietzsche und die Frauen« weicht Frau Dohm nicht aus:
scharf, ruhig und fest faßt sie den herrlichsten Feind ins
Auge, und sie findet die Formel, die die Verirrung des einsamen
Großen erklärt, die Begründung für seinen seltsamen
Aberglauben, seine naive Fetischliebe zum Haremsystem,
diesem Produkte der »ungeheuern Vernunft Asiens«. Woher
kommt es, fragt sie sich, daß selbst vornehme, kühne und
tiefe Denker sich oft aller Logik, Wissenschaftlichkeit und
vor allem Gewissenhaftigkeit (den Tatsachen gegenüber)
bar erweisen? Daß sie dann mit Gefühlen, Instinkten, Intuitionen
und Wissenschaftlichkeit jonglieren? Nietzsche selbst
gibt ihr die Antwort: »Auch große Geister haben nur ihre
fünffingerbreite Erfahrung; gleich daneben hört ihr Nachdenken
auf und es beginnt ihr unendlich leerer Raum und
ihre Dummheit.«

Aber noch verführerischer, noch blendender als der
Dichter – kommt der Philosoph. Mittels übersinnlicher
Spekulation konstruiert er seine Waffen, und er, der Metaphysiker,
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in Regionen bewegt, in denen sich nicht hart und wahrnehmbar

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[2/0008] fürchtet. Jedenfalls ist seine Furcht – die Brotfurcht – begreiflicher als alle anderen Bedenken. Den vierten im Bunde bezeichnet Frau Dohm als den »Ritter der Mater dolorosa«, der den Tempel bedroht sieht, einen imaginären Tempel, in dem das Weib, seiner Ansicht nach, nichts anderes zu tun hat, als durch rührende und anmutige lebende Bilder diese prosaische Welt zu verklären. Aber diese Ritter des Antifeminismus, die Frau Dohm in ihrem prächtigen, kraftvollen Buche aufzählt, gehören zu der Gruppe der Ungefährlichen; es sind meist Ritter von sehr trauriger Gestalt – sie verführen und blenden kaum irgend jemanden, der nicht von vorneherein ihrer Gesinnung wäre. Gefährlich und verführerisch sind nur die anderen – die Ästhetiker. Dem beängstigenden Problem »Nietzsche und die Frauen« weicht Frau Dohm nicht aus: scharf, ruhig und fest faßt sie den herrlichsten Feind ins Auge, und sie findet die Formel, die die Verirrung des einsamen Großen erklärt, die Begründung für seinen seltsamen Aberglauben, seine naive Fetischliebe zum Haremsystem, diesem Produkte der »ungeheuern Vernunft Asiens«. Woher kommt es, fragt sie sich, daß selbst vornehme, kühne und tiefe Denker sich oft aller Logik, Wissenschaftlichkeit und vor allem Gewissenhaftigkeit (den Tatsachen gegenüber) bar erweisen? Daß sie dann mit Gefühlen, Instinkten, Intuitionen und Wissenschaftlichkeit jonglieren? Nietzsche selbst gibt ihr die Antwort: »Auch große Geister haben nur ihre fünffingerbreite Erfahrung; gleich daneben hört ihr Nachdenken auf und es beginnt ihr unendlich leerer Raum und ihre Dummheit.« Aber noch verführerischer, noch blendender als der Dichter – kommt der Philosoph. Mittels übersinnlicher Spekulation konstruiert er seine Waffen, und er, der Metaphysiker, wäre der einzig zu fürchtende Feind, weil er sich in Regionen bewegt, in denen sich nicht hart und wahrnehmbar

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/8>, abgerufen am 25.11.2024.