Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

Bild:
<< vorherige Seite

verirrten Weininger schließlich führten, geht nicht nur aus
seiner Behandlung der Probleme "Weib" oder "Juden" hervor,
sondern auch aus der in seinem Nachlaßwerk enthaltenen
"Tierpsychologie". Da wird der Hund "erkannt" als
die Idee des Verbrechers, das Pferd als die des Irrsinns,
Floh und Wanze als "Symbole für etwas, wovon Gott sich
abgekehrt hat" u. s. f. Aus denselben "inneren Gründen"
betrachtet er jede Krankheit als "Schuld" und findet die
Auffassung, welche die Kranken und Aussätzigen fragen läßt,
"was sie verbrochen hätten, daß Gott sie züchtige", sehr
tief. Die absonderliche "Zurück-Dreh-Tendenz" all seiner
Auffassungen offenbart sich in der Annahme, der Mord sei
eine "Selbstrechtfertigung" des Verbrechers, "er sucht sich
durch ihn zu beweisen, daß nichts ist"!!

Mit einer schier organischen Verkehrtheit legt er allen Erscheinungen
die verdrehtesten Ursachen unter und muß ihnen
daher auch natürlich die entgegengesetztesten Absichten zuschreiben
und die konfusesten Folgerungen aus ihnen ziehen:
"Man liebt seine physischen Eltern; darin liegt wohl ein Hinweis
darauf, daß man sie erwählt hat."!!! Oder: "Die Fixsterne
,bedeuten' (?) den Engel im Menschen. Darum orientiert
sich der Mensch nach ihnen; und darum! besitzen die Frauen
keinen Sinn für den gestirnten Himmel: weil ihnen der
Sinn für den Engel im Mann abgeht
."!!!

Diese Proben aus Weiningers Nachlaßwerk werden
manchen vielleicht als nicht unter den Titel dieser Schrift
gehörig erscheinen. Dennoch sind sie es, da sie unzweideutigen
Aufschluß geben über die Stellung, die eine urteilende
Intelligenz, welche sich in der Art Weiningers zum Problem
der "Frau und ihrer Frage" verhalten hat, charakteristischerweise
anderen Problemen gegenüber einnimmt. Die Annahme
liegt daher nicht fern, daß bei allem, was Weiningers große
Intelligenz und geistige Elastizität erfaßte und berührte, die
Sensitivität des Epileptikers das Verzerrende war, diese Sensitivität,

verirrten Weininger schließlich führten, geht nicht nur aus
seiner Behandlung der Probleme »Weib« oder »Juden« hervor,
sondern auch aus der in seinem Nachlaßwerk enthaltenen
»Tierpsychologie«. Da wird der Hund »erkannt« als
die Idee des Verbrechers, das Pferd als die des Irrsinns,
Floh und Wanze als »Symbole für etwas, wovon Gott sich
abgekehrt hat« u. s. f. Aus denselben »inneren Gründen«
betrachtet er jede Krankheit als »Schuld« und findet die
Auffassung, welche die Kranken und Aussätzigen fragen läßt,
»was sie verbrochen hätten, daß Gott sie züchtige«, sehr
tief. Die absonderliche »Zurück-Dreh-Tendenz« all seiner
Auffassungen offenbart sich in der Annahme, der Mord sei
eine »Selbstrechtfertigung« des Verbrechers, »er sucht sich
durch ihn zu beweisen, daß nichts ist«!!

Mit einer schier organischen Verkehrtheit legt er allen Erscheinungen
die verdrehtesten Ursachen unter und muß ihnen
daher auch natürlich die entgegengesetztesten Absichten zuschreiben
und die konfusesten Folgerungen aus ihnen ziehen:
»Man liebt seine physischen Eltern; darin liegt wohl ein Hinweis
darauf, daß man sie erwählt hat.«!!! Oder: »Die Fixsterne
‚bedeuten‘ (?) den Engel im Menschen. Darum orientiert
sich der Mensch nach ihnen; und darum! besitzen die Frauen
keinen Sinn für den gestirnten Himmel: weil ihnen der
Sinn für den Engel im Mann abgeht
.«!!!

Diese Proben aus Weiningers Nachlaßwerk werden
manchen vielleicht als nicht unter den Titel dieser Schrift
gehörig erscheinen. Dennoch sind sie es, da sie unzweideutigen
Aufschluß geben über die Stellung, die eine urteilende
Intelligenz, welche sich in der Art Weiningers zum Problem
der »Frau und ihrer Frage« verhalten hat, charakteristischerweise
anderen Problemen gegenüber einnimmt. Die Annahme
liegt daher nicht fern, daß bei allem, was Weiningers große
Intelligenz und geistige Elastizität erfaßte und berührte, die
Sensitivität des Epileptikers das Verzerrende war, diese Sensitivität,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="63"/>
verirrten Weininger schließlich führten, geht nicht nur aus<lb/>
seiner Behandlung der Probleme »Weib« oder »Juden« hervor,<lb/>
sondern auch aus der in seinem Nachlaßwerk enthaltenen<lb/>
»Tierpsychologie«. Da wird der Hund »erkannt« als<lb/>
die Idee des Verbrechers, das Pferd als die des Irrsinns,<lb/>
Floh und Wanze als »Symbole für etwas, wovon Gott sich<lb/>
abgekehrt hat« u. s. f. Aus denselben »inneren Gründen«<lb/>
betrachtet er jede Krankheit als »Schuld« und findet die<lb/>
Auffassung, welche die Kranken und Aussätzigen fragen läßt,<lb/>
»was sie <hi rendition="#g">verbrochen</hi> hätten, daß Gott sie züchtige«, sehr<lb/>
tief. Die absonderliche »Zurück-Dreh-Tendenz« all seiner<lb/>
Auffassungen offenbart sich in der Annahme, der Mord sei<lb/>
eine »Selbstrechtfertigung« des Verbrechers, »er sucht sich<lb/>
durch ihn zu beweisen, daß nichts ist«!!<lb/></p>
        <p>Mit einer schier organischen Verkehrtheit legt er allen Erscheinungen<lb/>
die verdrehtesten Ursachen unter und muß ihnen<lb/>
daher auch natürlich die entgegengesetztesten Absichten zuschreiben<lb/>
und die konfusesten Folgerungen aus ihnen ziehen:<lb/>
»Man liebt seine physischen Eltern; darin liegt wohl ein Hinweis<lb/>
darauf, daß man sie <hi rendition="#g">erwählt</hi> hat.«!!! Oder: »Die Fixsterne<lb/>
&#x201A;bedeuten&#x2018; (?) den Engel im Menschen. Darum orientiert<lb/>
sich der Mensch nach ihnen; und darum! besitzen die Frauen<lb/>
keinen Sinn für den gestirnten Himmel: <hi rendition="#g">weil ihnen der<lb/>
Sinn für den Engel im Mann abgeht</hi>.«!!!<lb/></p>
        <p>Diese Proben aus Weiningers Nachlaßwerk werden<lb/>
manchen vielleicht als nicht unter den Titel dieser Schrift<lb/>
gehörig erscheinen. Dennoch sind sie es, da sie unzweideutigen<lb/>
Aufschluß geben über die Stellung, die eine urteilende<lb/>
Intelligenz, welche sich in der Art Weiningers zum Problem<lb/>
der »Frau und ihrer Frage« verhalten hat, charakteristischerweise<lb/>
anderen Problemen gegenüber einnimmt. Die Annahme<lb/>
liegt daher nicht fern, daß bei allem, was Weiningers große<lb/>
Intelligenz und geistige Elastizität erfaßte und berührte, die<lb/>
Sensitivität des Epileptikers das Verzerrende war, diese Sensitivität,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0069] verirrten Weininger schließlich führten, geht nicht nur aus seiner Behandlung der Probleme »Weib« oder »Juden« hervor, sondern auch aus der in seinem Nachlaßwerk enthaltenen »Tierpsychologie«. Da wird der Hund »erkannt« als die Idee des Verbrechers, das Pferd als die des Irrsinns, Floh und Wanze als »Symbole für etwas, wovon Gott sich abgekehrt hat« u. s. f. Aus denselben »inneren Gründen« betrachtet er jede Krankheit als »Schuld« und findet die Auffassung, welche die Kranken und Aussätzigen fragen läßt, »was sie verbrochen hätten, daß Gott sie züchtige«, sehr tief. Die absonderliche »Zurück-Dreh-Tendenz« all seiner Auffassungen offenbart sich in der Annahme, der Mord sei eine »Selbstrechtfertigung« des Verbrechers, »er sucht sich durch ihn zu beweisen, daß nichts ist«!! Mit einer schier organischen Verkehrtheit legt er allen Erscheinungen die verdrehtesten Ursachen unter und muß ihnen daher auch natürlich die entgegengesetztesten Absichten zuschreiben und die konfusesten Folgerungen aus ihnen ziehen: »Man liebt seine physischen Eltern; darin liegt wohl ein Hinweis darauf, daß man sie erwählt hat.«!!! Oder: »Die Fixsterne ‚bedeuten‘ (?) den Engel im Menschen. Darum orientiert sich der Mensch nach ihnen; und darum! besitzen die Frauen keinen Sinn für den gestirnten Himmel: weil ihnen der Sinn für den Engel im Mann abgeht.«!!! Diese Proben aus Weiningers Nachlaßwerk werden manchen vielleicht als nicht unter den Titel dieser Schrift gehörig erscheinen. Dennoch sind sie es, da sie unzweideutigen Aufschluß geben über die Stellung, die eine urteilende Intelligenz, welche sich in der Art Weiningers zum Problem der »Frau und ihrer Frage« verhalten hat, charakteristischerweise anderen Problemen gegenüber einnimmt. Die Annahme liegt daher nicht fern, daß bei allem, was Weiningers große Intelligenz und geistige Elastizität erfaßte und berührte, die Sensitivität des Epileptikers das Verzerrende war, diese Sensitivität,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/69
Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/69>, abgerufen am 22.11.2024.