Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.durch das Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen sind, Nachdem uns endlich noch enthüllt wird, daß dem Recht auffällig macht sich das Bedürfnis bemerkbar, durch das Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen sind, Nachdem uns endlich noch enthüllt wird, daß dem Recht auffällig macht sich das Bedürfnis bemerkbar, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="12"/> durch das Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen sind,<lb/> sondern man sie einfach Befriedigung suchen lassen soll, wo<lb/> und wie sie sie finden, ist vollständig beizustimmen, –<lb/> natürlich nur soferne es sich um <hi rendition="#g">Erwachsene</hi> handelt und<lb/> nicht um die Verführung minderjähriger Kinder. Weininger<lb/> selbst glaubt nicht an Homosexualität durch Verführung<lb/> oder Gewohnheit, sondern nur durch angeborene Anlage wie<lb/> er überhaupt überall <hi rendition="#g">wurzelhafte</hi> Anlagen sieht, wo es sich<lb/> oft um sichtlich Erworbenes, Erzogenes handelt. Er begründet<lb/> diesen Unglauben an »Verführung« mit einem wahrhaft unglaublichen<lb/> Argument – nämlich: »Was wäre es dann mit<lb/> dem <hi rendition="#g">ersten</hi> Verführer? Würde dieser vom Gotte Hermaphroditos<lb/> unterwiesen?«<lb/></p> <p>Nachdem uns endlich noch enthüllt wird, daß dem<lb/> gewöhnlichen, sozusagen dem »normalen« Homosexuellen das<lb/> typische Bild des Weibes <hi rendition="#g">seiner ganzen Natur nach<lb/> ein Greuel ist</hi>, eine Enthüllung, die umso interessanter<lb/> ist, als sie den Schlüssel für so manche »wissenschaftlich<lb/> fundierte« Weiberverachtung enthalten dürfte – wird abschließend<lb/> von der ganzen eigenen Theorie ausgesagt –<lb/> »daß sie <hi rendition="#g">völlig widerspruchslos</hi> und in sich geschlossen<lb/> erscheint und eine <hi rendition="#g">völlig befriedigende</hi> Erklärung aller<lb/> Phänomene ermögliche«. Von der Bescheidenheit, ja Demut,<lb/> die dem Autor dieses Buches im persönlichen Verkehr eigen<lb/> gewesen sein soll, ist jedenfalls in dem Buche selbst nichts<lb/> zu merken. In vielen Fällen ist ein unsicheres, verschüchtertes<lb/> Auftreten – eben diese Bescheidenheit – auf<lb/> Mangel an <hi rendition="#g">physischem</hi> Selbstbewußtsein zurückzuführen<lb/> – und ein umso eifrigerer Grimm gegen eine bestimmte<lb/> Vorstellung stammt meist aus derselben Quelle.<lb/></p> <p>Recht auffällig macht sich das Bedürfnis bemerkbar,<lb/> an jeder Erscheinung, sei sie auch noch so einfach und<lb/> sinnfällig, solange herumzudeuteln bis sie kompliziert und verwickelt<lb/> erscheint – um dann eine umständliche Lösung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0018]
durch das Strafrecht zur Verantwortung zu ziehen sind,
sondern man sie einfach Befriedigung suchen lassen soll, wo
und wie sie sie finden, ist vollständig beizustimmen, –
natürlich nur soferne es sich um Erwachsene handelt und
nicht um die Verführung minderjähriger Kinder. Weininger
selbst glaubt nicht an Homosexualität durch Verführung
oder Gewohnheit, sondern nur durch angeborene Anlage wie
er überhaupt überall wurzelhafte Anlagen sieht, wo es sich
oft um sichtlich Erworbenes, Erzogenes handelt. Er begründet
diesen Unglauben an »Verführung« mit einem wahrhaft unglaublichen
Argument – nämlich: »Was wäre es dann mit
dem ersten Verführer? Würde dieser vom Gotte Hermaphroditos
unterwiesen?«
Nachdem uns endlich noch enthüllt wird, daß dem
gewöhnlichen, sozusagen dem »normalen« Homosexuellen das
typische Bild des Weibes seiner ganzen Natur nach
ein Greuel ist, eine Enthüllung, die umso interessanter
ist, als sie den Schlüssel für so manche »wissenschaftlich
fundierte« Weiberverachtung enthalten dürfte – wird abschließend
von der ganzen eigenen Theorie ausgesagt –
»daß sie völlig widerspruchslos und in sich geschlossen
erscheint und eine völlig befriedigende Erklärung aller
Phänomene ermögliche«. Von der Bescheidenheit, ja Demut,
die dem Autor dieses Buches im persönlichen Verkehr eigen
gewesen sein soll, ist jedenfalls in dem Buche selbst nichts
zu merken. In vielen Fällen ist ein unsicheres, verschüchtertes
Auftreten – eben diese Bescheidenheit – auf
Mangel an physischem Selbstbewußtsein zurückzuführen
– und ein umso eifrigerer Grimm gegen eine bestimmte
Vorstellung stammt meist aus derselben Quelle.
Recht auffällig macht sich das Bedürfnis bemerkbar,
an jeder Erscheinung, sei sie auch noch so einfach und
sinnfällig, solange herumzudeuteln bis sie kompliziert und verwickelt
erscheint – um dann eine umständliche Lösung
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