Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬
schen fürlesen, item den schönen Iocum parallelum Matth.
am 6ten, worauf die Magd den Abendseegen betete, und
wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als
ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe
Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg
schauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein
schon vor der Höhlen stand und das schöne Liedlein von
den Freuden des Paradieses recitirte, so der heilige Au¬
gustinus
gefertiget, und ich ihr gelernet. *) Sie schluchzete
für Jammer als sie die Worte sprach:

uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant
non sacietas fastidit, neque fames cruciat
inhiantes semper edunt, et edentes inhiant
flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,
Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,
virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt
pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,
pendent poma floridorum non lapsura nemorum
non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum **)

Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als
sie schwiege, fragte ich: "was machst du da mein Töch¬

*) Dies ist ein Irrthum. Das nachfolgende Lied ist von
dem Cardinal-Bischof von Ostia Peter Damianus (+ 23sten
Febr. 1072) nach Augustins Prosa überdichtet.
**) Wir versuchen hier eine Uebersetzung dieser schönen
Stelle:

den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬
ſchen fürleſen, item den ſchönen Iocum parallelum Matth.
am 6ten, worauf die Magd den Abendſeegen betete, und
wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als
ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe
Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg
ſchauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein
ſchon vor der Höhlen ſtand und das ſchöne Liedlein von
den Freuden des Paradieſes recitirte, ſo der heilige Au¬
gustinus
gefertiget, und ich ihr gelernet. *) Sie ſchluchzete
für Jammer als ſie die Worte ſprach:

uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant
non sacietas fastidit, neque fames cruciat
inhiantes semper edunt, et edentes inhiant
flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,
Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,
virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt
pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,
pendent poma floridorum non lapsura nemorum
non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum **)

Bei dieſen Worten wurde ich ſelbſten weich, und als
ſie ſchwiege, fragte ich: „was machſt du da mein Töch¬

*) Dies iſt ein Irrthum. Das nachfolgende Lied iſt von
dem Cardinal-Biſchof von Oſtia Peter Damianus († 23ſten
Febr. 1072) nach Auguſtins Proſa überdichtet.
**) Wir verſuchen hier eine Ueberſetzung dieſer ſchönen
Stelle:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="18"/>
den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬<lb/>
&#x017F;chen fürle&#x017F;en, <hi rendition="#aq">item</hi> den &#x017F;chönen <hi rendition="#aq">Iocum parallelum</hi> Matth.<lb/>
am 6ten, worauf die Magd den Abend&#x017F;eegen betete, und<lb/>
wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als<lb/>
ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe<lb/>
Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg<lb/>
&#x017F;chauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein<lb/>
&#x017F;chon vor der Höhlen &#x017F;tand und das &#x017F;chöne Liedlein von<lb/>
den Freuden des Paradie&#x017F;es recitirte, &#x017F;o der heilige <hi rendition="#aq">Au¬<lb/>
gustinus</hi> gefertiget, und ich ihr gelernet. <note place="foot" n="*)">Dies i&#x017F;t ein Irrthum. Das nachfolgende Lied i&#x017F;t von<lb/>
dem Cardinal-Bi&#x017F;chof von O&#x017F;tia Peter Damianus (&#x2020; 23&#x017F;ten<lb/>
Febr. 1072) nach Augu&#x017F;tins Pro&#x017F;a überdichtet.<lb/></note> Sie &#x017F;chluchzete<lb/>
für Jammer als &#x017F;ie die Worte &#x017F;prach:</p>
        <lg type="poem">
          <l> <hi rendition="#aq">uno pane vivunt dives utriusque patriae</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">avidi et semper pleni, quod habent, desiderant</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">non</hi> <hi rendition="#aq #g">sacietas</hi> <hi rendition="#aq">fastidit, neque fames cruciat</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">inhiantes semper edunt, et edentes inhiant</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">pendent poma floridorum non lapsura nemorum</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">non alternat luna vices, sol vel cursus syderum</hi> </l><lb/>
          <l> <hi rendition="#aq">agnus est foelicis urbis lumen inocciduum</hi> <note xml:id="note-0034" next="#note-0035" place="foot" n="**)">Wir ver&#x017F;uchen hier eine Ueber&#x017F;etzung die&#x017F;er &#x017F;chönen<lb/>
Stelle:</note>
          </l>
        </lg>
        <p>Bei die&#x017F;en Worten wurde ich &#x017F;elb&#x017F;ten weich, und als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chwiege, fragte ich: &#x201E;was mach&#x017F;t du da mein Töch¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0034] den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechi¬ ſchen fürleſen, item den ſchönen Iocum parallelum Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendſeegen betete, und wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg ſchauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein ſchon vor der Höhlen ſtand und das ſchöne Liedlein von den Freuden des Paradieſes recitirte, ſo der heilige Au¬ gustinus gefertiget, und ich ihr gelernet. *) Sie ſchluchzete für Jammer als ſie die Worte ſprach: uno pane vivunt dives utriusque patriae avidi et semper pleni, quod habent, desiderant non sacietas fastidit, neque fames cruciat inhiantes semper edunt, et edentes inhiant flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum, Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum, virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt pigmentorum spirat odor liquor et aromatum, pendent poma floridorum non lapsura nemorum non alternat luna vices, sol vel cursus syderum agnus est foelicis urbis lumen inocciduum **) Bei dieſen Worten wurde ich ſelbſten weich, und als ſie ſchwiege, fragte ich: „was machſt du da mein Töch¬ *) Dies iſt ein Irrthum. Das nachfolgende Lied iſt von dem Cardinal-Biſchof von Oſtia Peter Damianus († 23ſten Febr. 1072) nach Auguſtins Proſa überdichtet. **) Wir verſuchen hier eine Ueberſetzung dieſer ſchönen Stelle:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/34
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/34>, abgerufen am 23.11.2024.