Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

auf der Junker zur Antwort gab: "ich habe mehr Ur¬
sache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, angese¬
hen Sie unschuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe
schuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit
Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich
heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum ersten
Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich
schon zu vergehen, und als es sich zum dritten Male ver¬
nehmen ließe, wäre ich wohl unsinnig worden in meinem
Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht so gefü¬
get, daß er fast in selbigem Augenblick meinem wunder¬
lichen Vater sein Leben genommen, umb Ihr unschuldig Le¬
ben durch mich retten zu lassen. Darumb habe ich auch
dem lieben Gotteshause einen neuen Thurm angelobet, und
was sich sonsten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte
mir auf Erden geschehen mügen, denn Ihr Tod liebe Jung¬
fer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!"

Aber mein Töchterlein weinete und seufzete nur bei
diesen Worten, und wenn er sie ansahe, sahe sie zit¬
ternde auf ihren Schooß nieder, so daß ich gleich argu¬
mentirete, mein Jammer sei annoch nicht zu Ende, son¬
dern sölle nur ein ander Thränenfaß angestochen wer¬
den, wie denn auch geschahe. Hiezu kam, daß der Esel
von custos, nachdem er den Lobgesang beendet und wir
annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden
Gesang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, näm¬
lich dieses: Nun lasset uns den Leib begraben. (Gott
sei Dank, hat solches aber bis dato noch nichts Böses

auf der Junker zur Antwort gab: „ich habe mehr Ur¬
ſache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, angeſe¬
hen Sie unſchuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe
ſchuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit
Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich
heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum erſten
Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich
ſchon zu vergehen, und als es ſich zum dritten Male ver¬
nehmen ließe, wäre ich wohl unſinnig worden in meinem
Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht ſo gefü¬
get, daß er faſt in ſelbigem Augenblick meinem wunder¬
lichen Vater ſein Leben genommen, umb Ihr unſchuldig Le¬
ben durch mich retten zu laſſen. Darumb habe ich auch
dem lieben Gotteshauſe einen neuen Thurm angelobet, und
was ſich ſonſten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte
mir auf Erden geſchehen mügen, denn Ihr Tod liebe Jung¬
fer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!"

Aber mein Töchterlein weinete und ſeufzete nur bei
dieſen Worten, und wenn er ſie anſahe, ſahe ſie zit¬
ternde auf ihren Schooß nieder, ſo daß ich gleich argu¬
mentirete, mein Jammer ſei annoch nicht zu Ende, ſon¬
dern ſölle nur ein ander Thränenfaß angeſtochen wer¬
den, wie denn auch geſchahe. Hiezu kam, daß der Eſel
von custos, nachdem er den Lobgeſang beendet und wir
annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden
Geſang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, näm¬
lich dieſes: Nun laſſet uns den Leib begraben. (Gott
ſei Dank, hat ſolches aber bis dato noch nichts Böſes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="272"/>
auf der Junker zur Antwort gab: &#x201E;ich habe mehr Ur¬<lb/>
&#x017F;ache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, ange&#x017F;<lb/>
hen Sie un&#x017F;chuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe<lb/>
&#x017F;chuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit<lb/>
Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich<lb/>
heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum er&#x017F;ten<lb/>
Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich<lb/>
&#x017F;chon zu vergehen, und als es &#x017F;ich zum dritten Male ver¬<lb/>
nehmen ließe, wäre ich wohl un&#x017F;innig worden in meinem<lb/>
Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht &#x017F;o gefü¬<lb/>
get, daß er fa&#x017F;t in &#x017F;elbigem Augenblick meinem wunder¬<lb/>
lichen Vater &#x017F;ein Leben genommen, umb Ihr un&#x017F;chuldig Le¬<lb/>
ben durch mich retten zu la&#x017F;&#x017F;en. Darumb habe ich auch<lb/>
dem lieben Gotteshau&#x017F;e einen neuen Thurm angelobet, und<lb/>
was &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;ten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte<lb/>
mir auf Erden ge&#x017F;chehen mügen, denn Ihr Tod liebe Jung¬<lb/>
fer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!"</p><lb/>
        <p>Aber mein Töchterlein weinete und &#x017F;eufzete nur bei<lb/>
die&#x017F;en Worten, und wenn er &#x017F;ie an&#x017F;ahe, &#x017F;ahe &#x017F;ie zit¬<lb/>
ternde auf ihren Schooß nieder, &#x017F;o daß ich gleich argu¬<lb/>
mentirete, mein Jammer &#x017F;ei annoch nicht zu Ende, &#x017F;on¬<lb/>
dern &#x017F;ölle nur ein ander Thränenfaß ange&#x017F;tochen wer¬<lb/>
den, wie denn auch ge&#x017F;chahe. Hiezu kam, daß der E&#x017F;el<lb/>
von <hi rendition="#aq">custos</hi>, nachdem er den Lobge&#x017F;ang beendet und wir<lb/>
annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden<lb/>
Ge&#x017F;ang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, näm¬<lb/>
lich die&#x017F;es: Nun la&#x017F;&#x017F;et uns den Leib begraben. (Gott<lb/>
&#x017F;ei Dank, hat &#x017F;olches aber bis dato noch nichts Bö&#x017F;es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0288] auf der Junker zur Antwort gab: „ich habe mehr Ur¬ ſache Gotte zu danken, als Sie liebe Jungfer, angeſe¬ hen Sie unſchuldig in ihrem Kerker gelitten, ich aber habe ſchuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit Ihr Ungelücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich heute Morgen das arme Sünderglöcklein zum erſten Male in meim Verließ klingen hörete, vermeinete ich ſchon zu vergehen, und als es ſich zum dritten Male ver¬ nehmen ließe, wäre ich wohl unſinnig worden in meinem Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht ſo gefü¬ get, daß er faſt in ſelbigem Augenblick meinem wunder¬ lichen Vater ſein Leben genommen, umb Ihr unſchuldig Le¬ ben durch mich retten zu laſſen. Darumb habe ich auch dem lieben Gotteshauſe einen neuen Thurm angelobet, und was ſich ſonſten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte mir auf Erden geſchehen mügen, denn Ihr Tod liebe Jung¬ fer, und nichts Süßeres, denn ihr Leben!" Aber mein Töchterlein weinete und ſeufzete nur bei dieſen Worten, und wenn er ſie anſahe, ſahe ſie zit¬ ternde auf ihren Schooß nieder, ſo daß ich gleich argu¬ mentirete, mein Jammer ſei annoch nicht zu Ende, ſon¬ dern ſölle nur ein ander Thränenfaß angeſtochen wer¬ den, wie denn auch geſchahe. Hiezu kam, daß der Eſel von custos, nachdem er den Lobgeſang beendet und wir annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden Geſang anhube, welcher aber ein Sterbenslied war, näm¬ lich dieſes: Nun laſſet uns den Leib begraben. (Gott ſei Dank, hat ſolches aber bis dato noch nichts Böſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/288
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/288>, abgerufen am 24.11.2024.