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Mehring, Franz: Kunst und Proletariat. Stuttgart, 1896.

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Die Neue Zeit.
Zukunft in einem wundersam rosigen Schimmer. Das hat selbstverständlich mit
irgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in
der nüchternsten Weise die Chancen des Kampfes abschätzen: ein revolutionärer
Kämpfer ist er doch nur, weil er die felsenfeste Ueberzeugung hat, daß er eine
Welt umwälzen kann. In diesem Sinne ist jeder klassenbewußte Arbeiter ein
Optimist: er sieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er schöpft diese Hoff¬
nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt.

Dagegen ist die moderne Kunst tief pessimistisch. Sie kennt keinen Aus¬
weg aus dem Elend, das sie mit Vorliebe schildert. Sie entspringt aus bürger¬
lichen Kreisen und ist der Reflex eines unaufhaltsamen Verfalls, der sich in ihr
getreu genug widerspiegelt. Sie ist in ihrer Weise, und soweit sie nicht bloße
Modenarrheit ist, ehrlich und wahr; sie steht hoch über die Lindau und Marlitt,
aber sie ist durchaus pessimistisch in dem Sinne, daß sie im Elend der Gegen¬
wart nur das Elend sieht. Was ihr vollständig fehlt, ist jenes freudige Kampf¬
element, das dem klassenbewußten Proletariat das Leben des Lebens ist. Wo
es einmal auftaucht oder aufzutauchen scheint, wie in Hauptmanns "Webern",
da wird es sofort aufs Feierlichste verleugnet. Erst vor acht Tagen wieder hat
Herr Hauptmann durch seinen Anwalt Grelling, wie früher schon oft, dem Ober¬
verwaltungsgericht die Versicherung abgeben lassen, er habe mit seinen "Webern"
nur eine sentimentale Mitleidstragödie dichten wollen, und in seinem "Florian
Geyer" hat er, um von vornherein alle unliebsamen Mißverständnisse auszu¬
schließen, die aufständischen Bauern, die in ihrer Weise denselben Kampf kämpften,
wie das moderne Proletariat, als eine Rotte hoffnungsloser Trottel geschildert.
Wir führen hier Hauptmann an, weil er auf dem Parteitag als der größte Ver¬
treter der modernen Kunst genannt worden ist. Wäre dem so, was wir an sich
nicht bestreiten wollen, so wäre damit auch gesagt, daß die moderne Kunst keine
große Kunst ist. Denn eine große Kunst hat noch nie, so lange die Welt steht,
vor irdischen Tribunalen auf mildernde Umstände für ihr Dasein plädirt.

Ebenso wenig hat sich jemals, so lange die Welt steht, eine revolutionäre
Klasse für eine Kunst begeistert, die ihr Kleid mit advokatorischer Bürste von
jedem revolutionären Fäserchen reinigt. Das giebt es einfach nicht. Die
Aristarche der modernen Kunst haben gemeint, die Arbeiter wollten wohl Marx
und Lassalle dramatisirt haben, indessen braucht das moderne Proletariat glück¬
licherweise nicht erst von den Herren Brahm und Schlenther eine zweifelhafte
Aesthetik zu lernen. Wie wenig seine Abneigung gegen die moderne Kunst mit
einer unkünstlerischen Tendenz zu thun hat, beweist seine Begeisterung für die
Klassiker, in denen es keine Spur seines Klassenbewußtseins, aber wohl jenes
freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunst vermißt. In der
Freien Volksbühne wurde einmal ein Drama eines jungen Anfängers aufgeführt,
das den proletarischen Klassenkampf zu gestalten versuchte, aber künstlerisch zu
wünschen übrig ließ; es wurde eben nur aufgeführt, um -- was auch zu den
Aufgaben dieses Arbeitertheaters gehörte -- ein hoffnungsvolles Talent zu fördern,
dem die bürgerlichen Bühnen verschlossen waren. Da zeigte sich aber sofort,
daß die Arbeiter weit entfernt davon sind, über dem guten Willen die Kunst
zu vernachlässigen: das Stück brachte es nicht über den verdienten Achtungserfolg.

Ein noch viel drastischeres Beispiel läßt sich aus den Verhandlungen des
Gothaer Parteitags anziehen. Es wurde dort gesagt, Hans Lands Roman "Der
neue Gott", den die "Neue Welt" veröffentlicht hat, sei von den Arbeitern als
Verhöhnung ihres Klassenkampfes empfunden worden. Darauf erwiderte der
Redakteur, er habe im Gegentheil lange geschwankt, ob er den Roman in die

Die Neue Zeit.
Zukunft in einem wunderſam roſigen Schimmer. Das hat ſelbſtverſtändlich mit
irgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in
der nüchternſten Weiſe die Chancen des Kampfes abſchätzen: ein revolutionärer
Kämpfer iſt er doch nur, weil er die felſenfeſte Ueberzeugung hat, daß er eine
Welt umwälzen kann. In dieſem Sinne iſt jeder klaſſenbewußte Arbeiter ein
Optimiſt: er ſieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er ſchöpft dieſe Hoff¬
nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt.

Dagegen iſt die moderne Kunſt tief peſſimiſtiſch. Sie kennt keinen Aus¬
weg aus dem Elend, das ſie mit Vorliebe ſchildert. Sie entſpringt aus bürger¬
lichen Kreiſen und iſt der Reflex eines unaufhaltſamen Verfalls, der ſich in ihr
getreu genug widerſpiegelt. Sie iſt in ihrer Weiſe, und ſoweit ſie nicht bloße
Modenarrheit iſt, ehrlich und wahr; ſie ſteht hoch über die Lindau und Marlitt,
aber ſie iſt durchaus peſſimiſtiſch in dem Sinne, daß ſie im Elend der Gegen¬
wart nur das Elend ſieht. Was ihr vollſtändig fehlt, iſt jenes freudige Kampf¬
element, das dem klaſſenbewußten Proletariat das Leben des Lebens iſt. Wo
es einmal auftaucht oder aufzutauchen ſcheint, wie in Hauptmanns „Webern“,
da wird es ſofort aufs Feierlichſte verleugnet. Erſt vor acht Tagen wieder hat
Herr Hauptmann durch ſeinen Anwalt Grelling, wie früher ſchon oft, dem Ober¬
verwaltungsgericht die Verſicherung abgeben laſſen, er habe mit ſeinen „Webern“
nur eine ſentimentale Mitleidstragödie dichten wollen, und in ſeinem „Florian
Geyer“ hat er, um von vornherein alle unliebſamen Mißverſtändniſſe auszu¬
ſchließen, die aufſtändiſchen Bauern, die in ihrer Weiſe denſelben Kampf kämpften,
wie das moderne Proletariat, als eine Rotte hoffnungsloſer Trottel geſchildert.
Wir führen hier Hauptmann an, weil er auf dem Parteitag als der größte Ver¬
treter der modernen Kunſt genannt worden iſt. Wäre dem ſo, was wir an ſich
nicht beſtreiten wollen, ſo wäre damit auch geſagt, daß die moderne Kunſt keine
große Kunſt iſt. Denn eine große Kunſt hat noch nie, ſo lange die Welt ſteht,
vor irdiſchen Tribunalen auf mildernde Umſtände für ihr Daſein plädirt.

Ebenſo wenig hat ſich jemals, ſo lange die Welt ſteht, eine revolutionäre
Klaſſe für eine Kunſt begeiſtert, die ihr Kleid mit advokatoriſcher Bürſte von
jedem revolutionären Fäſerchen reinigt. Das giebt es einfach nicht. Die
Ariſtarche der modernen Kunſt haben gemeint, die Arbeiter wollten wohl Marx
und Laſſalle dramatiſirt haben, indeſſen braucht das moderne Proletariat glück¬
licherweiſe nicht erſt von den Herren Brahm und Schlenther eine zweifelhafte
Aeſthetik zu lernen. Wie wenig ſeine Abneigung gegen die moderne Kunſt mit
einer unkünſtleriſchen Tendenz zu thun hat, beweiſt ſeine Begeiſterung für die
Klaſſiker, in denen es keine Spur ſeines Klaſſenbewußtſeins, aber wohl jenes
freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunſt vermißt. In der
Freien Volksbühne wurde einmal ein Drama eines jungen Anfängers aufgeführt,
das den proletariſchen Klaſſenkampf zu geſtalten verſuchte, aber künſtleriſch zu
wünſchen übrig ließ; es wurde eben nur aufgeführt, um — was auch zu den
Aufgaben dieſes Arbeitertheaters gehörte — ein hoffnungsvolles Talent zu fördern,
dem die bürgerlichen Bühnen verſchloſſen waren. Da zeigte ſich aber ſofort,
daß die Arbeiter weit entfernt davon ſind, über dem guten Willen die Kunſt
zu vernachläſſigen: das Stück brachte es nicht über den verdienten Achtungserfolg.

Ein noch viel draſtiſcheres Beiſpiel läßt ſich aus den Verhandlungen des
Gothaer Parteitags anziehen. Es wurde dort geſagt, Hans Lands Roman „Der
neue Gott“, den die „Neue Welt“ veröffentlicht hat, ſei von den Arbeitern als
Verhöhnung ihres Klaſſenkampfes empfunden worden. Darauf erwiderte der
Redakteur, er habe im Gegentheil lange geſchwankt, ob er den Roman in die

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[130/0016] Die Neue Zeit. Zukunft in einem wunderſam roſigen Schimmer. Das hat ſelbſtverſtändlich mit irgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in der nüchternſten Weiſe die Chancen des Kampfes abſchätzen: ein revolutionärer Kämpfer iſt er doch nur, weil er die felſenfeſte Ueberzeugung hat, daß er eine Welt umwälzen kann. In dieſem Sinne iſt jeder klaſſenbewußte Arbeiter ein Optimiſt: er ſieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er ſchöpft dieſe Hoff¬ nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt. Dagegen iſt die moderne Kunſt tief peſſimiſtiſch. Sie kennt keinen Aus¬ weg aus dem Elend, das ſie mit Vorliebe ſchildert. Sie entſpringt aus bürger¬ lichen Kreiſen und iſt der Reflex eines unaufhaltſamen Verfalls, der ſich in ihr getreu genug widerſpiegelt. Sie iſt in ihrer Weiſe, und ſoweit ſie nicht bloße Modenarrheit iſt, ehrlich und wahr; ſie ſteht hoch über die Lindau und Marlitt, aber ſie iſt durchaus peſſimiſtiſch in dem Sinne, daß ſie im Elend der Gegen¬ wart nur das Elend ſieht. Was ihr vollſtändig fehlt, iſt jenes freudige Kampf¬ element, das dem klaſſenbewußten Proletariat das Leben des Lebens iſt. Wo es einmal auftaucht oder aufzutauchen ſcheint, wie in Hauptmanns „Webern“, da wird es ſofort aufs Feierlichſte verleugnet. Erſt vor acht Tagen wieder hat Herr Hauptmann durch ſeinen Anwalt Grelling, wie früher ſchon oft, dem Ober¬ verwaltungsgericht die Verſicherung abgeben laſſen, er habe mit ſeinen „Webern“ nur eine ſentimentale Mitleidstragödie dichten wollen, und in ſeinem „Florian Geyer“ hat er, um von vornherein alle unliebſamen Mißverſtändniſſe auszu¬ ſchließen, die aufſtändiſchen Bauern, die in ihrer Weiſe denſelben Kampf kämpften, wie das moderne Proletariat, als eine Rotte hoffnungsloſer Trottel geſchildert. Wir führen hier Hauptmann an, weil er auf dem Parteitag als der größte Ver¬ treter der modernen Kunſt genannt worden iſt. Wäre dem ſo, was wir an ſich nicht beſtreiten wollen, ſo wäre damit auch geſagt, daß die moderne Kunſt keine große Kunſt iſt. Denn eine große Kunſt hat noch nie, ſo lange die Welt ſteht, vor irdiſchen Tribunalen auf mildernde Umſtände für ihr Daſein plädirt. Ebenſo wenig hat ſich jemals, ſo lange die Welt ſteht, eine revolutionäre Klaſſe für eine Kunſt begeiſtert, die ihr Kleid mit advokatoriſcher Bürſte von jedem revolutionären Fäſerchen reinigt. Das giebt es einfach nicht. Die Ariſtarche der modernen Kunſt haben gemeint, die Arbeiter wollten wohl Marx und Laſſalle dramatiſirt haben, indeſſen braucht das moderne Proletariat glück¬ licherweiſe nicht erſt von den Herren Brahm und Schlenther eine zweifelhafte Aeſthetik zu lernen. Wie wenig ſeine Abneigung gegen die moderne Kunſt mit einer unkünſtleriſchen Tendenz zu thun hat, beweiſt ſeine Begeiſterung für die Klaſſiker, in denen es keine Spur ſeines Klaſſenbewußtſeins, aber wohl jenes freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunſt vermißt. In der Freien Volksbühne wurde einmal ein Drama eines jungen Anfängers aufgeführt, das den proletariſchen Klaſſenkampf zu geſtalten verſuchte, aber künſtleriſch zu wünſchen übrig ließ; es wurde eben nur aufgeführt, um — was auch zu den Aufgaben dieſes Arbeitertheaters gehörte — ein hoffnungsvolles Talent zu fördern, dem die bürgerlichen Bühnen verſchloſſen waren. Da zeigte ſich aber ſofort, daß die Arbeiter weit entfernt davon ſind, über dem guten Willen die Kunſt zu vernachläſſigen: das Stück brachte es nicht über den verdienten Achtungserfolg. Ein noch viel draſtiſcheres Beiſpiel läßt ſich aus den Verhandlungen des Gothaer Parteitags anziehen. Es wurde dort geſagt, Hans Lands Roman „Der neue Gott“, den die „Neue Welt“ veröffentlicht hat, ſei von den Arbeitern als Verhöhnung ihres Klaſſenkampfes empfunden worden. Darauf erwiderte der Redakteur, er habe im Gegentheil lange geſchwankt, ob er den Roman in die

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Zitationshilfe: Mehring, Franz: Kunst und Proletariat. Stuttgart, 1896, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mehring_kunst_1896/16>, abgerufen am 23.11.2024.