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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.
Gerichtsgebäude der Fall, das doch zweifellos nicht öffentliches Eigen-
tum ist. Nach weltlichem Maßstabe betrachtet, würde die Kirche wie
dieses dem öffentlichem Zwecke nur mittelbar dienen, indem sie den
gottesdienstlichen Verrichtungen, die die Hauptsache sind, Obdach
gewährt. Allein hier wird eben die kirchliche Anschauungsweise
von der Besonderheit der res sacra wirksam, die der Staat soweit
gelten läßt.

Die geweihte Sache soll ja kein bloßes Mittel des Gottesdienstes
sein; sie hat nach kirchlicher Lehre selbst eine heiligende Kraft, im
Kirchengebäude zumal, dem Gotteshause, verkörpert sich schon ein
Stück Gottesdienst. Ins Weltliche übersetzt, giebt das in der That
die Rechtsidee der öffentlichen Sache wieder. Daß diese Auffassung
für den evangelischen Standpunkt nicht zutrifft, ist kein Hindernis;
die katholischen Ideen haben in diesen Dingen unverkennbar die
Führung26. --

Mit dieser Aufzählung ist der Kreis der öffentlichen Sachen nicht
geschlossen. Es können unter Umständen noch mancherlei Arten von
Anstalten und Einrichtungen auftauchen, an welchen im geltenden
Recht die Voraussetzungen öffentlicher Sachen anerkannt werden.
So die öffentlichen Abzugskanäle, auch wenn sie nicht schon als Stück
der öffentlichen Straße sich darstellen27. Ferner sehen wir Gemeinde-
brunnen28, wohl mit unter der Nachwirkung der alten Allmendnatur, in
dieser Weise behandelt. In demselben Gedankengange wie die Festungs-
werke werden auch Schutzdeiche und Überschwemmungsdämme zu
den öffentlichen Sachen gerechnet29.

Im allgemeinen muß man vorsichtig sein mit der weiteren Aus-
dehnung. Namentlich darf man nicht, um neue Anwendungsfälle des
Begriffes der öffentlichen Sache zu gewinnen, den Begriff des Gemein-
gebrauchs verunstalten und einen solchen überall finden wollen, wo
Sachen den vielen Einzelnen oder auch einer Verwaltungsthätigkeit
irgendwie nützlich werden. Es ist kein Gemeingebrauch, wenn Kunst-

26 Die res sacrae und sanctae des kirchlichen Rechts haben in unserem
weltlichen Recht als allgemeines Merkmal nur den bevorzugten strafrechtlichen
Schutz gegen Verletzung (Meurer, Heilige Sachen I S. 160 ff.); das genügt natür-
lich nicht, um die rechtliche Eigentümlichkeit gerade der Kirchengebäude zu kenn-
zeichnen; bei diesen ist es mehr. -- Ausführlich behandelt die Frage Wappäus
a. a. O. S. 49 ff. Vgl. auch Hinschius, Kirchenrecht IV S. 141 ff.
27 R.G. 10. Jan. 1883 (Samml. VIII, S. 152).
28 Wappäus a. a. O. S. 107. Bayr. Ob. Gerichtshof v. 23. März 1863 er-
klärt einen Gemeindebrunnen, so lange er dem öffentlichen Bedürfnis der Gemeinde
dient, für eine dem Privatrechtsverkehr entzogene Sache.
29 Jhering, Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt. S. 44.

Das öffentliche Sachenrecht.
Gerichtsgebäude der Fall, das doch zweifellos nicht öffentliches Eigen-
tum ist. Nach weltlichem Maßstabe betrachtet, würde die Kirche wie
dieses dem öffentlichem Zwecke nur mittelbar dienen, indem sie den
gottesdienstlichen Verrichtungen, die die Hauptsache sind, Obdach
gewährt. Allein hier wird eben die kirchliche Anschauungsweise
von der Besonderheit der res sacra wirksam, die der Staat soweit
gelten läßt.

Die geweihte Sache soll ja kein bloßes Mittel des Gottesdienstes
sein; sie hat nach kirchlicher Lehre selbst eine heiligende Kraft, im
Kirchengebäude zumal, dem Gotteshause, verkörpert sich schon ein
Stück Gottesdienst. Ins Weltliche übersetzt, giebt das in der That
die Rechtsidee der öffentlichen Sache wieder. Daß diese Auffassung
für den evangelischen Standpunkt nicht zutrifft, ist kein Hindernis;
die katholischen Ideen haben in diesen Dingen unverkennbar die
Führung26. —

Mit dieser Aufzählung ist der Kreis der öffentlichen Sachen nicht
geschlossen. Es können unter Umständen noch mancherlei Arten von
Anstalten und Einrichtungen auftauchen, an welchen im geltenden
Recht die Voraussetzungen öffentlicher Sachen anerkannt werden.
So die öffentlichen Abzugskanäle, auch wenn sie nicht schon als Stück
der öffentlichen Straße sich darstellen27. Ferner sehen wir Gemeinde-
brunnen28, wohl mit unter der Nachwirkung der alten Allmendnatur, in
dieser Weise behandelt. In demselben Gedankengange wie die Festungs-
werke werden auch Schutzdeiche und Überschwemmungsdämme zu
den öffentlichen Sachen gerechnet29.

Im allgemeinen muß man vorsichtig sein mit der weiteren Aus-
dehnung. Namentlich darf man nicht, um neue Anwendungsfälle des
Begriffes der öffentlichen Sache zu gewinnen, den Begriff des Gemein-
gebrauchs verunstalten und einen solchen überall finden wollen, wo
Sachen den vielen Einzelnen oder auch einer Verwaltungsthätigkeit
irgendwie nützlich werden. Es ist kein Gemeingebrauch, wenn Kunst-

26 Die res sacrae und sanctae des kirchlichen Rechts haben in unserem
weltlichen Recht als allgemeines Merkmal nur den bevorzugten strafrechtlichen
Schutz gegen Verletzung (Meurer, Heilige Sachen I S. 160 ff.); das genügt natür-
lich nicht, um die rechtliche Eigentümlichkeit gerade der Kirchengebäude zu kenn-
zeichnen; bei diesen ist es mehr. — Ausführlich behandelt die Frage Wappäus
a. a. O. S. 49 ff. Vgl. auch Hinschius, Kirchenrecht IV S. 141 ff.
27 R.G. 10. Jan. 1883 (Samml. VIII, S. 152).
28 Wappäus a. a. O. S. 107. Bayr. Ob. Gerichtshof v. 23. März 1863 er-
klärt einen Gemeindebrunnen, so lange er dem öffentlichen Bedürfnis der Gemeinde
dient, für eine dem Privatrechtsverkehr entzogene Sache.
29 Jhering, Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt. S. 44.
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[80/0092] Das öffentliche Sachenrecht. Gerichtsgebäude der Fall, das doch zweifellos nicht öffentliches Eigen- tum ist. Nach weltlichem Maßstabe betrachtet, würde die Kirche wie dieses dem öffentlichem Zwecke nur mittelbar dienen, indem sie den gottesdienstlichen Verrichtungen, die die Hauptsache sind, Obdach gewährt. Allein hier wird eben die kirchliche Anschauungsweise von der Besonderheit der res sacra wirksam, die der Staat soweit gelten läßt. Die geweihte Sache soll ja kein bloßes Mittel des Gottesdienstes sein; sie hat nach kirchlicher Lehre selbst eine heiligende Kraft, im Kirchengebäude zumal, dem Gotteshause, verkörpert sich schon ein Stück Gottesdienst. Ins Weltliche übersetzt, giebt das in der That die Rechtsidee der öffentlichen Sache wieder. Daß diese Auffassung für den evangelischen Standpunkt nicht zutrifft, ist kein Hindernis; die katholischen Ideen haben in diesen Dingen unverkennbar die Führung 26. — Mit dieser Aufzählung ist der Kreis der öffentlichen Sachen nicht geschlossen. Es können unter Umständen noch mancherlei Arten von Anstalten und Einrichtungen auftauchen, an welchen im geltenden Recht die Voraussetzungen öffentlicher Sachen anerkannt werden. So die öffentlichen Abzugskanäle, auch wenn sie nicht schon als Stück der öffentlichen Straße sich darstellen 27. Ferner sehen wir Gemeinde- brunnen 28, wohl mit unter der Nachwirkung der alten Allmendnatur, in dieser Weise behandelt. In demselben Gedankengange wie die Festungs- werke werden auch Schutzdeiche und Überschwemmungsdämme zu den öffentlichen Sachen gerechnet 29. Im allgemeinen muß man vorsichtig sein mit der weiteren Aus- dehnung. Namentlich darf man nicht, um neue Anwendungsfälle des Begriffes der öffentlichen Sache zu gewinnen, den Begriff des Gemein- gebrauchs verunstalten und einen solchen überall finden wollen, wo Sachen den vielen Einzelnen oder auch einer Verwaltungsthätigkeit irgendwie nützlich werden. Es ist kein Gemeingebrauch, wenn Kunst- 26 Die res sacrae und sanctae des kirchlichen Rechts haben in unserem weltlichen Recht als allgemeines Merkmal nur den bevorzugten strafrechtlichen Schutz gegen Verletzung (Meurer, Heilige Sachen I S. 160 ff.); das genügt natür- lich nicht, um die rechtliche Eigentümlichkeit gerade der Kirchengebäude zu kenn- zeichnen; bei diesen ist es mehr. — Ausführlich behandelt die Frage Wappäus a. a. O. S. 49 ff. Vgl. auch Hinschius, Kirchenrecht IV S. 141 ff. 27 R.G. 10. Jan. 1883 (Samml. VIII, S. 152). 28 Wappäus a. a. O. S. 107. Bayr. Ob. Gerichtshof v. 23. März 1863 er- klärt einen Gemeindebrunnen, so lange er dem öffentlichen Bedürfnis der Gemeinde dient, für eine dem Privatrechtsverkehr entzogene Sache. 29 Jhering, Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt. S. 44.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/92>, abgerufen am 22.11.2024.