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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.
in Bezug auf erleichterte Formen des Abschlusses und rechtstilgende
Wirkungen gegen Dritte35.

2. Statt durch Vertrag kann das Enteignungsverfahren auch ab-
geschnitten werden durch einseitigen Verzicht, Rücktritt. Ein solcher
Rücktritt ist bloß denkbar bei dem Unternehmer; denn der Eigen-
tümer erduldet nur die Enteignung, der Unternehmer setzt sie in Be-
wegung, betreibt sie; er allein kann auch nicht mehr wollen.

Für die Möglichkeit eines Rücktrittes des Unternehmers ist die
entscheidende Zeitgrenze gegeben in der Perfektion der Enteignung
(oben I n. 5). Sobald in Kraft des Enteignungsausspruches das Eigen-
tum übergegangen ist, kann von einem einfachen Rücktritte nicht
mehr die Rede sein; hier handelt es sich dann um eine Wiederauf-
hebung dieses Erfolges, um einen Rückerwerb des Eigentums durch
den Enteigneten und das fällt unter ganz andere Gesichtspunkte
(unten n. 3)36.

Der Rücktritt von der Enteignung vollzieht sich entweder durch
ausdrückliche Erklärung; das wird namentlich da geschehen,
wo das ganze Unternehmen aufgegeben wird, oder wenigstens ein bis-
her dafür in Aussicht genommenes Grundstück wegen Veränderung
des Planes nicht mehr erforderlich erscheint. Oder der Rücktritt wird
ausgesprochen in dem thatsächlichen Nichtweiterbetreiben
der Enteignung. Wann das vorliegt, namentlich wie lange die Säum-
nis gedauert haben muß, das würde Thatfrage sein. Das Gesetz giebt
aber Fristen, welche dem Unternehmer für die Vornahme seiner
Akte gesteckt sind, oder gestattet der Behörde solche zu stecken,
und knüpft an die Nichteinhaltung Nachteile des Verzugs, ins-
besondere auch die Annahme des Verzichtes auf die durchzuführende

35 R.G. 23. Mai 1881 (Samml. V S. 246) will den § 46 des Preuß. Ent-
eignungsges. mit der Wirkung des Freiwerdens des Grundstückes von allen ding-
lichen Rechten nur gelten lassen von diesem Falle des Abtretungsvertrages mit
vorbehaltenem Entschädigungsverfahren, dagegen nicht von der Vereinbarung über
Abtretung und Entschädigung zugleich, also von dem vollen Kaufvertrag. Dabei
dürfte aber doch zu viel an dem Buchstaben des Gesetzes gehangen sein. Wie
denn? Wenn die Parteien etwa zunächst sich nur geeinigt haben über Abtretung
mit Vorbehalt des Entschädigungsverfahrens, werden ja doch die dinglichen Rechte
Dritter getilgt. Wenn sie dann nachher auch noch über die Entschädigung sich
einigen, leben diese Rechte sicherlich nicht wieder auf. Warum soll es anders
sein, wenn sie sich sogleich über beides einigen?
36 Seydel, Bayr. St.R. III S. 635: "Bis zur Durchführung der Enteignung
(= bewirkter Eigentumsübergang) kann der Enteigner seinen Anspruch zurück-
nehmen. Die durchgeführte Enteignung kann er nicht rückgängig machen."

Das öffentliche Sachenrecht.
in Bezug auf erleichterte Formen des Abschlusses und rechtstilgende
Wirkungen gegen Dritte35.

2. Statt durch Vertrag kann das Enteignungsverfahren auch ab-
geschnitten werden durch einseitigen Verzicht, Rücktritt. Ein solcher
Rücktritt ist bloß denkbar bei dem Unternehmer; denn der Eigen-
tümer erduldet nur die Enteignung, der Unternehmer setzt sie in Be-
wegung, betreibt sie; er allein kann auch nicht mehr wollen.

Für die Möglichkeit eines Rücktrittes des Unternehmers ist die
entscheidende Zeitgrenze gegeben in der Perfektion der Enteignung
(oben I n. 5). Sobald in Kraft des Enteignungsausspruches das Eigen-
tum übergegangen ist, kann von einem einfachen Rücktritte nicht
mehr die Rede sein; hier handelt es sich dann um eine Wiederauf-
hebung dieses Erfolges, um einen Rückerwerb des Eigentums durch
den Enteigneten und das fällt unter ganz andere Gesichtspunkte
(unten n. 3)36.

Der Rücktritt von der Enteignung vollzieht sich entweder durch
ausdrückliche Erklärung; das wird namentlich da geschehen,
wo das ganze Unternehmen aufgegeben wird, oder wenigstens ein bis-
her dafür in Aussicht genommenes Grundstück wegen Veränderung
des Planes nicht mehr erforderlich erscheint. Oder der Rücktritt wird
ausgesprochen in dem thatsächlichen Nichtweiterbetreiben
der Enteignung. Wann das vorliegt, namentlich wie lange die Säum-
nis gedauert haben muß, das würde Thatfrage sein. Das Gesetz giebt
aber Fristen, welche dem Unternehmer für die Vornahme seiner
Akte gesteckt sind, oder gestattet der Behörde solche zu stecken,
und knüpft an die Nichteinhaltung Nachteile des Verzugs, ins-
besondere auch die Annahme des Verzichtes auf die durchzuführende

35 R.G. 23. Mai 1881 (Samml. V S. 246) will den § 46 des Preuß. Ent-
eignungsges. mit der Wirkung des Freiwerdens des Grundstückes von allen ding-
lichen Rechten nur gelten lassen von diesem Falle des Abtretungsvertrages mit
vorbehaltenem Entschädigungsverfahren, dagegen nicht von der Vereinbarung über
Abtretung und Entschädigung zugleich, also von dem vollen Kaufvertrag. Dabei
dürfte aber doch zu viel an dem Buchstaben des Gesetzes gehangen sein. Wie
denn? Wenn die Parteien etwa zunächst sich nur geeinigt haben über Abtretung
mit Vorbehalt des Entschädigungsverfahrens, werden ja doch die dinglichen Rechte
Dritter getilgt. Wenn sie dann nachher auch noch über die Entschädigung sich
einigen, leben diese Rechte sicherlich nicht wieder auf. Warum soll es anders
sein, wenn sie sich sogleich über beides einigen?
36 Seydel, Bayr. St.R. III S. 635: „Bis zur Durchführung der Enteignung
(= bewirkter Eigentumsübergang) kann der Enteigner seinen Anspruch zurück-
nehmen. Die durchgeführte Enteignung kann er nicht rückgängig machen.“
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[52/0064] Das öffentliche Sachenrecht. in Bezug auf erleichterte Formen des Abschlusses und rechtstilgende Wirkungen gegen Dritte 35. 2. Statt durch Vertrag kann das Enteignungsverfahren auch ab- geschnitten werden durch einseitigen Verzicht, Rücktritt. Ein solcher Rücktritt ist bloß denkbar bei dem Unternehmer; denn der Eigen- tümer erduldet nur die Enteignung, der Unternehmer setzt sie in Be- wegung, betreibt sie; er allein kann auch nicht mehr wollen. Für die Möglichkeit eines Rücktrittes des Unternehmers ist die entscheidende Zeitgrenze gegeben in der Perfektion der Enteignung (oben I n. 5). Sobald in Kraft des Enteignungsausspruches das Eigen- tum übergegangen ist, kann von einem einfachen Rücktritte nicht mehr die Rede sein; hier handelt es sich dann um eine Wiederauf- hebung dieses Erfolges, um einen Rückerwerb des Eigentums durch den Enteigneten und das fällt unter ganz andere Gesichtspunkte (unten n. 3) 36. Der Rücktritt von der Enteignung vollzieht sich entweder durch ausdrückliche Erklärung; das wird namentlich da geschehen, wo das ganze Unternehmen aufgegeben wird, oder wenigstens ein bis- her dafür in Aussicht genommenes Grundstück wegen Veränderung des Planes nicht mehr erforderlich erscheint. Oder der Rücktritt wird ausgesprochen in dem thatsächlichen Nichtweiterbetreiben der Enteignung. Wann das vorliegt, namentlich wie lange die Säum- nis gedauert haben muß, das würde Thatfrage sein. Das Gesetz giebt aber Fristen, welche dem Unternehmer für die Vornahme seiner Akte gesteckt sind, oder gestattet der Behörde solche zu stecken, und knüpft an die Nichteinhaltung Nachteile des Verzugs, ins- besondere auch die Annahme des Verzichtes auf die durchzuführende 35 R.G. 23. Mai 1881 (Samml. V S. 246) will den § 46 des Preuß. Ent- eignungsges. mit der Wirkung des Freiwerdens des Grundstückes von allen ding- lichen Rechten nur gelten lassen von diesem Falle des Abtretungsvertrages mit vorbehaltenem Entschädigungsverfahren, dagegen nicht von der Vereinbarung über Abtretung und Entschädigung zugleich, also von dem vollen Kaufvertrag. Dabei dürfte aber doch zu viel an dem Buchstaben des Gesetzes gehangen sein. Wie denn? Wenn die Parteien etwa zunächst sich nur geeinigt haben über Abtretung mit Vorbehalt des Entschädigungsverfahrens, werden ja doch die dinglichen Rechte Dritter getilgt. Wenn sie dann nachher auch noch über die Entschädigung sich einigen, leben diese Rechte sicherlich nicht wieder auf. Warum soll es anders sein, wenn sie sich sogleich über beides einigen? 36 Seydel, Bayr. St.R. III S. 635: „Bis zur Durchführung der Enteignung (= bewirkter Eigentumsübergang) kann der Enteigner seinen Anspruch zurück- nehmen. Die durchgeführte Enteignung kann er nicht rückgängig machen.“

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/64>, abgerufen am 27.04.2024.