Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Recht der juristischen Personen.
tretung berufen sein, in Beschlüssen von Gemeindeversamm-
lungen
oder, was gleichsteht, in allgemeinen Wahlen zur Be-
stellung von Gemeindebeamten.

Sie können in der Form der Wahl ihre Vertretungsmacht auf
abgeordnete Vertreter übertragen, wie bei der Genossenschaft.

Die abgeordneten Vertreter werden dann zugleich als ihre
Vertreter bezeichnet oder als Gemeindevertreter im eigentlichen Sinn,
was als kurzer Ausdruck zu verstehen ist für Gemeindeangehörigen-
oder Gemeindebürger-Vertreter in demselben Sinn, wie man von Ver-
tretung der Genossenschaftsmitglieder spricht12. So bilden sich zur
Überwachung und Beschränkung der laufenden Verwaltung und zur
Erledigung vorbehaltener wichtiger Geschäfte: Stadtverordnete, Ge-
meinderäte, Gemeindebevollmächtigte, Bürgerausschüsse u. s. w., deren
Mitglieder überall nicht Beamte sind, sondern Vertreter kraft ver-
stärkten Gemeindebürgerrechts, oder da dieses selbst nur eine bevor-
zugte Art von Gemeindeangehörigkeit ist, kraft verstärkter Gemeinde-
angehörigkeit13.

12 Vgl. oben Note 5. Der Ausdruck Gemeindevertretung ist für diese
Kollegien allgemein üblich, um sie im Gegensatz zum Gemeindevorstand zu be-
zeichnen: Bayr. Gem.O. Art. 70; Jolly in Wörterbuch I S. 518 ff.; Loening,
V.R. S. 169 und Note. Der Letztere hebt mit Recht hervor, daß diese Ausdrucks-
weise juristisch ungenau ist. Sie enthält, wie uns scheint, das Gemisch von zwei
Vorstellungen zugleich: der Gemeinderat ist für die Gesamtheit der Gemeinde-
angehörigen, für die Gemeinde in diesem Sinne, der Vertreter, wie die ab-
geordneten Vertreter der Genossenschaftsmitglieder es sind für diese, also nicht
juristisch, sondern politisch; zugleich vertritt er die Gemeinde als Selbstverwaltungs-
körper gegenüber dem Vorstand, insofern er diesen überwacht und beschränkt. Die
letztere Ausdrucksweise giebt auch Inv. u. Alt.Vers.Ges. § 46 Abs. 3.
13 Die oben Note 6 berührte Frage, ob abgeordnete Vertreter eines Selbst-
verwaltungskörpers öffentliche Beamte sind, ist gerade bezüglich dieser Gemeinde-
vertretungen von besonderer Wichtigkeit geworden. Man hat sie meist mit
richtigem Gefühl verneint. Aber das Gefühl giebt keine sichere Abgrenzung und
mit der juristischen Begründung sieht es sehr mangelhaft aus. Man hängt sich an
Merkmale, die für sich nicht entscheidend sind, wie z. B. an die Art der zu
übenden Thätigkeit, insofern eine bloße Überwachung, ein Zustimmungsrecht
gegenüber den Handlungen anderer Vertreter nicht genügen sollte, um die Beamten-
eigenschaft zu verleihen. Als ob es nicht auch echte Staatsbeamte mit solchen
Geschäftskreisen gäbe! Oder es wird betont, daß es sich nicht um Staats-
angelegenheiten handle. Als ob Angelegenheiten von Selbstverwaltungskörpern
nicht auch öffentliche Angelegenheiten wären! So z. B. ein in späteren Ent-
scheidungen vielfach angerufenes Erkenntnis des Sächs. O.A.G. v. 11. Febr. 1876
(Annalen d. O.A.G. II. Folge Bd. IV S. 221): Gemeinderatsmitglieder sind keine
Beamte; denn der Gemeinderat ist so ausschließlich zur Verwaltung der Gemeinde-
angelegenheiten bestellt, daß nicht die Rede davon sein kann, "als sei er ein

Das Recht der juristischen Personen.
tretung berufen sein, in Beschlüssen von Gemeindeversamm-
lungen
oder, was gleichsteht, in allgemeinen Wahlen zur Be-
stellung von Gemeindebeamten.

Sie können in der Form der Wahl ihre Vertretungsmacht auf
abgeordnete Vertreter übertragen, wie bei der Genossenschaft.

Die abgeordneten Vertreter werden dann zugleich als ihre
Vertreter bezeichnet oder als Gemeindevertreter im eigentlichen Sinn,
was als kurzer Ausdruck zu verstehen ist für Gemeindeangehörigen-
oder Gemeindebürger-Vertreter in demselben Sinn, wie man von Ver-
tretung der Genossenschaftsmitglieder spricht12. So bilden sich zur
Überwachung und Beschränkung der laufenden Verwaltung und zur
Erledigung vorbehaltener wichtiger Geschäfte: Stadtverordnete, Ge-
meinderäte, Gemeindebevollmächtigte, Bürgerausschüsse u. s. w., deren
Mitglieder überall nicht Beamte sind, sondern Vertreter kraft ver-
stärkten Gemeindebürgerrechts, oder da dieses selbst nur eine bevor-
zugte Art von Gemeindeangehörigkeit ist, kraft verstärkter Gemeinde-
angehörigkeit13.

12 Vgl. oben Note 5. Der Ausdruck Gemeindevertretung ist für diese
Kollegien allgemein üblich, um sie im Gegensatz zum Gemeindevorstand zu be-
zeichnen: Bayr. Gem.O. Art. 70; Jolly in Wörterbuch I S. 518 ff.; Loening,
V.R. S. 169 und Note. Der Letztere hebt mit Recht hervor, daß diese Ausdrucks-
weise juristisch ungenau ist. Sie enthält, wie uns scheint, das Gemisch von zwei
Vorstellungen zugleich: der Gemeinderat ist für die Gesamtheit der Gemeinde-
angehörigen, für die Gemeinde in diesem Sinne, der Vertreter, wie die ab-
geordneten Vertreter der Genossenschaftsmitglieder es sind für diese, also nicht
juristisch, sondern politisch; zugleich vertritt er die Gemeinde als Selbstverwaltungs-
körper gegenüber dem Vorstand, insofern er diesen überwacht und beschränkt. Die
letztere Ausdrucksweise giebt auch Inv. u. Alt.Vers.Ges. § 46 Abs. 3.
13 Die oben Note 6 berührte Frage, ob abgeordnete Vertreter eines Selbst-
verwaltungskörpers öffentliche Beamte sind, ist gerade bezüglich dieser Gemeinde-
vertretungen von besonderer Wichtigkeit geworden. Man hat sie meist mit
richtigem Gefühl verneint. Aber das Gefühl giebt keine sichere Abgrenzung und
mit der juristischen Begründung sieht es sehr mangelhaft aus. Man hängt sich an
Merkmale, die für sich nicht entscheidend sind, wie z. B. an die Art der zu
übenden Thätigkeit, insofern eine bloße Überwachung, ein Zustimmungsrecht
gegenüber den Handlungen anderer Vertreter nicht genügen sollte, um die Beamten-
eigenschaft zu verleihen. Als ob es nicht auch echte Staatsbeamte mit solchen
Geschäftskreisen gäbe! Oder es wird betont, daß es sich nicht um Staats-
angelegenheiten handle. Als ob Angelegenheiten von Selbstverwaltungskörpern
nicht auch öffentliche Angelegenheiten wären! So z. B. ein in späteren Ent-
scheidungen vielfach angerufenes Erkenntnis des Sächs. O.A.G. v. 11. Febr. 1876
(Annalen d. O.A.G. II. Folge Bd. IV S. 221): Gemeinderatsmitglieder sind keine
Beamte; denn der Gemeinderat ist so ausschließlich zur Verwaltung der Gemeinde-
angelegenheiten bestellt, daß nicht die Rede davon sein kann, „als sei er ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0414" n="402"/><fw place="top" type="header">Das Recht der juristischen Personen.</fw><lb/>
tretung berufen sein, in Beschlüssen von <hi rendition="#g">Gemeindeversamm-<lb/>
lungen</hi> oder, was gleichsteht, in <hi rendition="#g">allgemeinen Wahlen</hi> zur Be-<lb/>
stellung von Gemeindebeamten.</p><lb/>
              <p>Sie können in der Form der Wahl ihre Vertretungsmacht auf<lb/>
abgeordnete Vertreter <hi rendition="#g">übertragen,</hi> wie bei der Genossenschaft.</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">abgeordneten Vertreter</hi> werden dann zugleich als ihre<lb/>
Vertreter bezeichnet oder als Gemeindevertreter im eigentlichen Sinn,<lb/>
was als kurzer Ausdruck zu verstehen ist für Gemeindeangehörigen-<lb/>
oder Gemeindebürger-Vertreter in demselben Sinn, wie man von Ver-<lb/>
tretung der Genossenschaftsmitglieder spricht<note place="foot" n="12">Vgl. oben Note 5. Der Ausdruck Gemeindevertretung ist für diese<lb/>
Kollegien allgemein üblich, um sie im Gegensatz zum Gemeindevorstand zu be-<lb/>
zeichnen: Bayr. Gem.O. Art. 70; <hi rendition="#g">Jolly</hi> in Wörterbuch I S. 518 ff.; <hi rendition="#g">Loening,</hi><lb/>
V.R. S. 169 und Note. Der Letztere hebt mit Recht hervor, daß diese Ausdrucks-<lb/>
weise juristisch ungenau ist. Sie enthält, wie uns scheint, das Gemisch von zwei<lb/>
Vorstellungen zugleich: der Gemeinderat ist für die Gesamtheit der Gemeinde-<lb/>
angehörigen, für die Gemeinde in diesem Sinne, der Vertreter, wie die ab-<lb/>
geordneten Vertreter der Genossenschaftsmitglieder es sind für diese, also nicht<lb/>
juristisch, sondern politisch; zugleich vertritt er die Gemeinde als Selbstverwaltungs-<lb/>
körper gegenüber dem Vorstand, insofern er diesen überwacht und beschränkt. Die<lb/>
letztere Ausdrucksweise giebt auch Inv. u. Alt.Vers.Ges. § 46 Abs. 3.</note>. So bilden sich zur<lb/>
Überwachung und Beschränkung der laufenden Verwaltung und zur<lb/>
Erledigung vorbehaltener wichtiger Geschäfte: Stadtverordnete, Ge-<lb/>
meinderäte, Gemeindebevollmächtigte, Bürgerausschüsse u. s. w., deren<lb/>
Mitglieder überall nicht Beamte sind, sondern Vertreter kraft ver-<lb/>
stärkten Gemeindebürgerrechts, oder da dieses selbst nur eine bevor-<lb/>
zugte Art von Gemeindeangehörigkeit ist, kraft verstärkter Gemeinde-<lb/>
angehörigkeit<note xml:id="seg2pn_120_1" next="#seg2pn_120_2" place="foot" n="13">Die oben Note 6 berührte Frage, ob abgeordnete Vertreter eines Selbst-<lb/>
verwaltungskörpers öffentliche Beamte sind, ist gerade bezüglich dieser Gemeinde-<lb/>
vertretungen von besonderer Wichtigkeit geworden. Man hat sie meist mit<lb/>
richtigem Gefühl verneint. Aber das Gefühl giebt keine sichere Abgrenzung und<lb/>
mit der juristischen Begründung sieht es sehr mangelhaft aus. Man hängt sich an<lb/>
Merkmale, die für sich nicht entscheidend sind, wie z. B. an die Art der zu<lb/>
übenden Thätigkeit, insofern eine bloße Überwachung, ein Zustimmungsrecht<lb/>
gegenüber den Handlungen anderer Vertreter nicht genügen sollte, um die Beamten-<lb/>
eigenschaft zu verleihen. Als ob es nicht auch echte Staatsbeamte mit solchen<lb/>
Geschäftskreisen gäbe! Oder es wird betont, daß es sich nicht um Staats-<lb/>
angelegenheiten handle. Als ob Angelegenheiten von Selbstverwaltungskörpern<lb/>
nicht auch öffentliche Angelegenheiten wären! So z. B. ein in späteren Ent-<lb/>
scheidungen vielfach angerufenes Erkenntnis des Sächs. O.A.G. v. 11. Febr. 1876<lb/>
(Annalen d. O.A.G. II. Folge Bd. IV S. 221): Gemeinderatsmitglieder sind keine<lb/>
Beamte; denn der Gemeinderat ist so ausschließlich zur Verwaltung der Gemeinde-<lb/>
angelegenheiten bestellt, daß nicht die Rede davon sein kann, &#x201E;als sei er ein</note>.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0414] Das Recht der juristischen Personen. tretung berufen sein, in Beschlüssen von Gemeindeversamm- lungen oder, was gleichsteht, in allgemeinen Wahlen zur Be- stellung von Gemeindebeamten. Sie können in der Form der Wahl ihre Vertretungsmacht auf abgeordnete Vertreter übertragen, wie bei der Genossenschaft. Die abgeordneten Vertreter werden dann zugleich als ihre Vertreter bezeichnet oder als Gemeindevertreter im eigentlichen Sinn, was als kurzer Ausdruck zu verstehen ist für Gemeindeangehörigen- oder Gemeindebürger-Vertreter in demselben Sinn, wie man von Ver- tretung der Genossenschaftsmitglieder spricht 12. So bilden sich zur Überwachung und Beschränkung der laufenden Verwaltung und zur Erledigung vorbehaltener wichtiger Geschäfte: Stadtverordnete, Ge- meinderäte, Gemeindebevollmächtigte, Bürgerausschüsse u. s. w., deren Mitglieder überall nicht Beamte sind, sondern Vertreter kraft ver- stärkten Gemeindebürgerrechts, oder da dieses selbst nur eine bevor- zugte Art von Gemeindeangehörigkeit ist, kraft verstärkter Gemeinde- angehörigkeit 13. 12 Vgl. oben Note 5. Der Ausdruck Gemeindevertretung ist für diese Kollegien allgemein üblich, um sie im Gegensatz zum Gemeindevorstand zu be- zeichnen: Bayr. Gem.O. Art. 70; Jolly in Wörterbuch I S. 518 ff.; Loening, V.R. S. 169 und Note. Der Letztere hebt mit Recht hervor, daß diese Ausdrucks- weise juristisch ungenau ist. Sie enthält, wie uns scheint, das Gemisch von zwei Vorstellungen zugleich: der Gemeinderat ist für die Gesamtheit der Gemeinde- angehörigen, für die Gemeinde in diesem Sinne, der Vertreter, wie die ab- geordneten Vertreter der Genossenschaftsmitglieder es sind für diese, also nicht juristisch, sondern politisch; zugleich vertritt er die Gemeinde als Selbstverwaltungs- körper gegenüber dem Vorstand, insofern er diesen überwacht und beschränkt. Die letztere Ausdrucksweise giebt auch Inv. u. Alt.Vers.Ges. § 46 Abs. 3. 13 Die oben Note 6 berührte Frage, ob abgeordnete Vertreter eines Selbst- verwaltungskörpers öffentliche Beamte sind, ist gerade bezüglich dieser Gemeinde- vertretungen von besonderer Wichtigkeit geworden. Man hat sie meist mit richtigem Gefühl verneint. Aber das Gefühl giebt keine sichere Abgrenzung und mit der juristischen Begründung sieht es sehr mangelhaft aus. Man hängt sich an Merkmale, die für sich nicht entscheidend sind, wie z. B. an die Art der zu übenden Thätigkeit, insofern eine bloße Überwachung, ein Zustimmungsrecht gegenüber den Handlungen anderer Vertreter nicht genügen sollte, um die Beamten- eigenschaft zu verleihen. Als ob es nicht auch echte Staatsbeamte mit solchen Geschäftskreisen gäbe! Oder es wird betont, daß es sich nicht um Staats- angelegenheiten handle. Als ob Angelegenheiten von Selbstverwaltungskörpern nicht auch öffentliche Angelegenheiten wären! So z. B. ein in späteren Ent- scheidungen vielfach angerufenes Erkenntnis des Sächs. O.A.G. v. 11. Febr. 1876 (Annalen d. O.A.G. II. Folge Bd. IV S. 221): Gemeinderatsmitglieder sind keine Beamte; denn der Gemeinderat ist so ausschließlich zur Verwaltung der Gemeinde- angelegenheiten bestellt, daß nicht die Rede davon sein kann, „als sei er ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/414
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/414>, abgerufen am 25.11.2024.