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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 53. Öffentlichrechtliche Entschädigung.
zicht auf die Frage: woher? begnügt mit der Versicherung: der Staat
schulde in diesen Fällen Entschädigung "nach einem allgemeinen
Rechtsgrundsatze" oder nach "unzweifelhaftem Rechtssatze"6.

Das kann alles nur einen Sinn haben, insofern damit ein Ge-
wohnheitsrecht
bezeugt wird, womit man ja sonst sehr rasch bei
der Hand zu sein pflegt. Hier handelt es sich aber unsres Erachtens
wirklich einmal um ein solches.

Das Gewohnheitsrecht ist allerdings, wie wir wissen, regelmäßig
keine Rechtsquelle für unser heutiges Verwaltungsrecht (Bd. I § 10 n. 4).
Allein hier liegt die Sache anders. Der Satz, daß der Staat Ent-
schädigung schulde für die besonderen Opfer, die er auferlegt, ist
altes Recht. Vermittelt durch die einleuchtende Forderung der
Gerechtigkeit ward er aufgenommen in die gemeinsame Rechtsüber-
zeugung und Rechtsübung, sobald der Staat anfing, lebhafter sich zu
regen und häufiger solche Opfer zuzumuten. Das römische Recht gab
kein Vorbild; ein deutsches Gewohnheitsrecht bildete sich aus, zunächst
für die schwersten Fälle, vor allem für die Ausübung des jus eminens,
allmählich von selbst verallgemeinert. Ob der Rechtssatz civilrecht-
licher oder öffentlichtrechtlicher Natur sei, war bei dem ursprünglichen
Stande der Ungetrenntheit beider Rechtsmassen gleichgültig. Der
Polizeistaat, der die Scheidung vollzieht, mußte die Aufstellung einer
civilrechtlichen Zahlungspflicht des Fiskus darin sehen. So haben wir
ihn überkommen. Er hat nichts, was den Grundsätzen der Verfassung
und des Rechtsstaates widerspricht. Es besteht deshalb auch kein
Grund, weshalb er aufgehoben sein sollte. Nur steht es uns selbst-
verständlich frei, ihn von dem Standpunkte des neueren Rechtes aus
auf seine wahre Natur zu prüfen und ihn demgemäß loszulösen vom
Civilrecht, zu dem er nicht gehört und nicht paßt.

möglicherweise ganz gesetzmäßig ist, hindert nicht, die Entschädigungspflicht auf
Rechtsverletzung zu gründen: das Expropriationsrecht beruht allerdings auf Gesetz,
aber ist seiner Natur nach ein "gesetzliches Unrecht"; so Schwab in Arch. f. civ.
Pr. 30 S. 177 Note 186.
6 So Juristenfakultät zu Jena in der Entscheidung eines Hamburger Falles
v. 14. Juni 1874 (Reger III S. 98): "ein gewisser und unzweifelhafter Rechtssatz
der Gegenwart"; O.Tr. 28. Nov. 1859 (Str. 35 S. 315): "nach den Grundsätzen des
gemeinen Rechts"; O.A.G. Darmstadt (Seuff. Arch. VII S. 219): "aus staatsrecht-
lichen Gesichtspunkten"; R.G. 13. Jan. 1883 (Samml. 12 S. 3): nach gemeinem
Rechte findet "ohne weiteres ein privatrechtlicher Anspruch gegen den Staat auf
volle Entschädigung statt". Privatrechtlich ist der Anspruch natürlich wieder bloß
gemacht, um die Gerichtszuständigkeit festzuhalten, wozu es gar nicht nötig wäre;
vgl. unten III n. 3.

§ 53. Öffentlichrechtliche Entschädigung.
zicht auf die Frage: woher? begnügt mit der Versicherung: der Staat
schulde in diesen Fällen Entschädigung „nach einem allgemeinen
Rechtsgrundsatze“ oder nach „unzweifelhaftem Rechtssatze“6.

Das kann alles nur einen Sinn haben, insofern damit ein Ge-
wohnheitsrecht
bezeugt wird, womit man ja sonst sehr rasch bei
der Hand zu sein pflegt. Hier handelt es sich aber unsres Erachtens
wirklich einmal um ein solches.

Das Gewohnheitsrecht ist allerdings, wie wir wissen, regelmäßig
keine Rechtsquelle für unser heutiges Verwaltungsrecht (Bd. I § 10 n. 4).
Allein hier liegt die Sache anders. Der Satz, daß der Staat Ent-
schädigung schulde für die besonderen Opfer, die er auferlegt, ist
altes Recht. Vermittelt durch die einleuchtende Forderung der
Gerechtigkeit ward er aufgenommen in die gemeinsame Rechtsüber-
zeugung und Rechtsübung, sobald der Staat anfing, lebhafter sich zu
regen und häufiger solche Opfer zuzumuten. Das römische Recht gab
kein Vorbild; ein deutsches Gewohnheitsrecht bildete sich aus, zunächst
für die schwersten Fälle, vor allem für die Ausübung des jus eminens,
allmählich von selbst verallgemeinert. Ob der Rechtssatz civilrecht-
licher oder öffentlichtrechtlicher Natur sei, war bei dem ursprünglichen
Stande der Ungetrenntheit beider Rechtsmassen gleichgültig. Der
Polizeistaat, der die Scheidung vollzieht, mußte die Aufstellung einer
civilrechtlichen Zahlungspflicht des Fiskus darin sehen. So haben wir
ihn überkommen. Er hat nichts, was den Grundsätzen der Verfassung
und des Rechtsstaates widerspricht. Es besteht deshalb auch kein
Grund, weshalb er aufgehoben sein sollte. Nur steht es uns selbst-
verständlich frei, ihn von dem Standpunkte des neueren Rechtes aus
auf seine wahre Natur zu prüfen und ihn demgemäß loszulösen vom
Civilrecht, zu dem er nicht gehört und nicht paßt.

möglicherweise ganz gesetzmäßig ist, hindert nicht, die Entschädigungspflicht auf
Rechtsverletzung zu gründen: das Expropriationsrecht beruht allerdings auf Gesetz,
aber ist seiner Natur nach ein „gesetzliches Unrecht“; so Schwab in Arch. f. civ.
Pr. 30 S. 177 Note 186.
6 So Juristenfakultät zu Jena in der Entscheidung eines Hamburger Falles
v. 14. Juni 1874 (Reger III S. 98): „ein gewisser und unzweifelhafter Rechtssatz
der Gegenwart“; O.Tr. 28. Nov. 1859 (Str. 35 S. 315): „nach den Grundsätzen des
gemeinen Rechts“; O.A.G. Darmstadt (Seuff. Arch. VII S. 219): „aus staatsrecht-
lichen Gesichtspunkten“; R.G. 13. Jan. 1883 (Samml. 12 S. 3): nach gemeinem
Rechte findet „ohne weiteres ein privatrechtlicher Anspruch gegen den Staat auf
volle Entschädigung statt“. Privatrechtlich ist der Anspruch natürlich wieder bloß
gemacht, um die Gerichtszuständigkeit festzuhalten, wozu es gar nicht nötig wäre;
vgl. unten III n. 3.
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[349/0361] § 53. Öffentlichrechtliche Entschädigung. zicht auf die Frage: woher? begnügt mit der Versicherung: der Staat schulde in diesen Fällen Entschädigung „nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatze“ oder nach „unzweifelhaftem Rechtssatze“ 6. Das kann alles nur einen Sinn haben, insofern damit ein Ge- wohnheitsrecht bezeugt wird, womit man ja sonst sehr rasch bei der Hand zu sein pflegt. Hier handelt es sich aber unsres Erachtens wirklich einmal um ein solches. Das Gewohnheitsrecht ist allerdings, wie wir wissen, regelmäßig keine Rechtsquelle für unser heutiges Verwaltungsrecht (Bd. I § 10 n. 4). Allein hier liegt die Sache anders. Der Satz, daß der Staat Ent- schädigung schulde für die besonderen Opfer, die er auferlegt, ist altes Recht. Vermittelt durch die einleuchtende Forderung der Gerechtigkeit ward er aufgenommen in die gemeinsame Rechtsüber- zeugung und Rechtsübung, sobald der Staat anfing, lebhafter sich zu regen und häufiger solche Opfer zuzumuten. Das römische Recht gab kein Vorbild; ein deutsches Gewohnheitsrecht bildete sich aus, zunächst für die schwersten Fälle, vor allem für die Ausübung des jus eminens, allmählich von selbst verallgemeinert. Ob der Rechtssatz civilrecht- licher oder öffentlichtrechtlicher Natur sei, war bei dem ursprünglichen Stande der Ungetrenntheit beider Rechtsmassen gleichgültig. Der Polizeistaat, der die Scheidung vollzieht, mußte die Aufstellung einer civilrechtlichen Zahlungspflicht des Fiskus darin sehen. So haben wir ihn überkommen. Er hat nichts, was den Grundsätzen der Verfassung und des Rechtsstaates widerspricht. Es besteht deshalb auch kein Grund, weshalb er aufgehoben sein sollte. Nur steht es uns selbst- verständlich frei, ihn von dem Standpunkte des neueren Rechtes aus auf seine wahre Natur zu prüfen und ihn demgemäß loszulösen vom Civilrecht, zu dem er nicht gehört und nicht paßt. 5 6 So Juristenfakultät zu Jena in der Entscheidung eines Hamburger Falles v. 14. Juni 1874 (Reger III S. 98): „ein gewisser und unzweifelhafter Rechtssatz der Gegenwart“; O.Tr. 28. Nov. 1859 (Str. 35 S. 315): „nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts“; O.A.G. Darmstadt (Seuff. Arch. VII S. 219): „aus staatsrecht- lichen Gesichtspunkten“; R.G. 13. Jan. 1883 (Samml. 12 S. 3): nach gemeinem Rechte findet „ohne weiteres ein privatrechtlicher Anspruch gegen den Staat auf volle Entschädigung statt“. Privatrechtlich ist der Anspruch natürlich wieder bloß gemacht, um die Gerichtszuständigkeit festzuhalten, wozu es gar nicht nötig wäre; vgl. unten III n. 3. 5 möglicherweise ganz gesetzmäßig ist, hindert nicht, die Entschädigungspflicht auf Rechtsverletzung zu gründen: das Expropriationsrecht beruht allerdings auf Gesetz, aber ist seiner Natur nach ein „gesetzliches Unrecht“; so Schwab in Arch. f. civ. Pr. 30 S. 177 Note 186.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/361>, abgerufen am 25.11.2024.