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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Recht der besonderen Schuldverhältnisse.

Thatsächlich hat sich das nie so durchführen lassen; es wäre
auch die verkehrte Welt und eine völlige Verkennung der Kraft des
Dienstbefehls: in diesem soll doch gerade dem Untergebenen maß-
gebend erklärt werden, was er rechtmäßig und gesetzmäßig kraft
seiner Dienstpflicht zu thun hat; darauf muß er bauen können, da-
nach muß er sich aber auch richten, sonst hat die Dienstbefehlsgewalt
keinen Wert11.

In naturgemäßem Rückschlage gegen diese Übertreibungen will
die jetzt herrschende Meinung dem Untergebenen ein Prüfungsrecht
nur gestatten bezüglich der Frage der allgemeinen Zuständigkeit.
Darin wären die bereits oben n. 1 aufgestellten Voraussetzungen des
Vorhandenseins eines wirksamen Dienstbefehls begriffen. Es ist aber
noch etwas weiteres damit gemeint, was darüber hinausgeht. Der
Untergebene soll nicht bloß die Zuständigkeit seines Vorgesetzten
prüfen ihm selbst gegenüber, die Zuständigkeit zum Dienstbefehl,
sondern es ist vor allem gemeint die Zuständigkeit nach außen,
den anderen Unterthanen gegenüber, auf welche der Vorgesetzte durch
das Mittel des Untergebenen einwirken will12. Es ist also die alte
Lehre, wenn auch sehr abgeschwächt: der Untergebene ist auch hier-
nach zum Hüter der Rechtsordnung gegenüber seinem Vorgesetzten
berufen, indem er bei Verletzung derselben den Gehorsam verweigern

eines Gesetzes widersprechen". Denn es kommt auch hier wieder nur darauf an:
wer entscheidet, was der klare Wortlaut des Gesetzes besage, der Dienstbefehl
oder die Meinung des Untergebenen?
11 Perthes a. a. O. bemerkt darum selbst: die Vorgesetzten brauchten sich
aber durchaus nicht jede Gehorsamsverweigerung wegen ungesetzlicher Anordnung
gefallen zu lassen, sonst "würde Regierung unmöglich sein". Die Lösung des
Widerspruches, in welchen er dadurch gerät, erhofft er nur vom "guten Geiste des
Beamtenstandes".
12 Laband, St.R. I S. 443 ff. (3. Aufl. S. 422 ff.); Seydel, Bayr. St.R.
III S. 391; Zorn, St.R. I S. 237. Weil man wesentlich diese äußere Seite im
Auge hat, verlangt man "Zuständigkeit der vorgesetzten Behörde in territorialer
und sachlicher Beziehung", wo doch der Dienstbefehl nur eine persönliche Be-
ziehung hat, "Zuständigkeit oder Befugnis des Untergebenen", die Anordnung zu
vollziehen, während es sich für uns möglicherweise nur um Geschäfte des inneren
Dienstes handelt (oben Note 7), spricht man von einer "Vollstreckung" des Befehls,
womit doch nicht die Gehorsamsleistung gegen den Dienstbefehl gemeint sein kann.
Auch daß man als besonderen Gegenstand des Prüfungsrechtes des Untergebenen
die Einhaltung der vorschriftsmäßigen Formen für die "ihm erteilten Vorschriften"
aufführt, erklärt sich nur daraus, daß man stillschweigend an die Stelle des Dienst-
befehls die zu vollstreckende Anordnung schiebt. Sonst könnte man als Beispiel
nicht die Beobachtung der Formen der Urteilsausfertigung einführen (Laband,
St.R. 3. Aufl. I S. 421 Note 2). Vgl. über ähnliche Verwechslungen bei der Frage
der "rechtmäßigen Amtshandlung" Bd. I § 25 Note 9.
Recht der besonderen Schuldverhältnisse.

Thatsächlich hat sich das nie so durchführen lassen; es wäre
auch die verkehrte Welt und eine völlige Verkennung der Kraft des
Dienstbefehls: in diesem soll doch gerade dem Untergebenen maß-
gebend erklärt werden, was er rechtmäßig und gesetzmäßig kraft
seiner Dienstpflicht zu thun hat; darauf muß er bauen können, da-
nach muß er sich aber auch richten, sonst hat die Dienstbefehlsgewalt
keinen Wert11.

In naturgemäßem Rückschlage gegen diese Übertreibungen will
die jetzt herrschende Meinung dem Untergebenen ein Prüfungsrecht
nur gestatten bezüglich der Frage der allgemeinen Zuständigkeit.
Darin wären die bereits oben n. 1 aufgestellten Voraussetzungen des
Vorhandenseins eines wirksamen Dienstbefehls begriffen. Es ist aber
noch etwas weiteres damit gemeint, was darüber hinausgeht. Der
Untergebene soll nicht bloß die Zuständigkeit seines Vorgesetzten
prüfen ihm selbst gegenüber, die Zuständigkeit zum Dienstbefehl,
sondern es ist vor allem gemeint die Zuständigkeit nach außen,
den anderen Unterthanen gegenüber, auf welche der Vorgesetzte durch
das Mittel des Untergebenen einwirken will12. Es ist also die alte
Lehre, wenn auch sehr abgeschwächt: der Untergebene ist auch hier-
nach zum Hüter der Rechtsordnung gegenüber seinem Vorgesetzten
berufen, indem er bei Verletzung derselben den Gehorsam verweigern

eines Gesetzes widersprechen“. Denn es kommt auch hier wieder nur darauf an:
wer entscheidet, was der klare Wortlaut des Gesetzes besage, der Dienstbefehl
oder die Meinung des Untergebenen?
11 Perthes a. a. O. bemerkt darum selbst: die Vorgesetzten brauchten sich
aber durchaus nicht jede Gehorsamsverweigerung wegen ungesetzlicher Anordnung
gefallen zu lassen, sonst „würde Regierung unmöglich sein“. Die Lösung des
Widerspruches, in welchen er dadurch gerät, erhofft er nur vom „guten Geiste des
Beamtenstandes“.
12 Laband, St.R. I S. 443 ff. (3. Aufl. S. 422 ff.); Seydel, Bayr. St.R.
III S. 391; Zorn, St.R. I S. 237. Weil man wesentlich diese äußere Seite im
Auge hat, verlangt man „Zuständigkeit der vorgesetzten Behörde in territorialer
und sachlicher Beziehung“, wo doch der Dienstbefehl nur eine persönliche Be-
ziehung hat, „Zuständigkeit oder Befugnis des Untergebenen“, die Anordnung zu
vollziehen, während es sich für uns möglicherweise nur um Geschäfte des inneren
Dienstes handelt (oben Note 7), spricht man von einer „Vollstreckung“ des Befehls,
womit doch nicht die Gehorsamsleistung gegen den Dienstbefehl gemeint sein kann.
Auch daß man als besonderen Gegenstand des Prüfungsrechtes des Untergebenen
die Einhaltung der vorschriftsmäßigen Formen für die „ihm erteilten Vorschriften“
aufführt, erklärt sich nur daraus, daß man stillschweigend an die Stelle des Dienst-
befehls die zu vollstreckende Anordnung schiebt. Sonst könnte man als Beispiel
nicht die Beobachtung der Formen der Urteilsausfertigung einführen (Laband,
St.R. 3. Aufl. I S. 421 Note 2). Vgl. über ähnliche Verwechslungen bei der Frage
der „rechtmäßigen Amtshandlung“ Bd. I § 25 Note 9.
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[238/0250] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. Thatsächlich hat sich das nie so durchführen lassen; es wäre auch die verkehrte Welt und eine völlige Verkennung der Kraft des Dienstbefehls: in diesem soll doch gerade dem Untergebenen maß- gebend erklärt werden, was er rechtmäßig und gesetzmäßig kraft seiner Dienstpflicht zu thun hat; darauf muß er bauen können, da- nach muß er sich aber auch richten, sonst hat die Dienstbefehlsgewalt keinen Wert 11. In naturgemäßem Rückschlage gegen diese Übertreibungen will die jetzt herrschende Meinung dem Untergebenen ein Prüfungsrecht nur gestatten bezüglich der Frage der allgemeinen Zuständigkeit. Darin wären die bereits oben n. 1 aufgestellten Voraussetzungen des Vorhandenseins eines wirksamen Dienstbefehls begriffen. Es ist aber noch etwas weiteres damit gemeint, was darüber hinausgeht. Der Untergebene soll nicht bloß die Zuständigkeit seines Vorgesetzten prüfen ihm selbst gegenüber, die Zuständigkeit zum Dienstbefehl, sondern es ist vor allem gemeint die Zuständigkeit nach außen, den anderen Unterthanen gegenüber, auf welche der Vorgesetzte durch das Mittel des Untergebenen einwirken will 12. Es ist also die alte Lehre, wenn auch sehr abgeschwächt: der Untergebene ist auch hier- nach zum Hüter der Rechtsordnung gegenüber seinem Vorgesetzten berufen, indem er bei Verletzung derselben den Gehorsam verweigern 10 11 Perthes a. a. O. bemerkt darum selbst: die Vorgesetzten brauchten sich aber durchaus nicht jede Gehorsamsverweigerung wegen ungesetzlicher Anordnung gefallen zu lassen, sonst „würde Regierung unmöglich sein“. Die Lösung des Widerspruches, in welchen er dadurch gerät, erhofft er nur vom „guten Geiste des Beamtenstandes“. 12 Laband, St.R. I S. 443 ff. (3. Aufl. S. 422 ff.); Seydel, Bayr. St.R. III S. 391; Zorn, St.R. I S. 237. Weil man wesentlich diese äußere Seite im Auge hat, verlangt man „Zuständigkeit der vorgesetzten Behörde in territorialer und sachlicher Beziehung“, wo doch der Dienstbefehl nur eine persönliche Be- ziehung hat, „Zuständigkeit oder Befugnis des Untergebenen“, die Anordnung zu vollziehen, während es sich für uns möglicherweise nur um Geschäfte des inneren Dienstes handelt (oben Note 7), spricht man von einer „Vollstreckung“ des Befehls, womit doch nicht die Gehorsamsleistung gegen den Dienstbefehl gemeint sein kann. Auch daß man als besonderen Gegenstand des Prüfungsrechtes des Untergebenen die Einhaltung der vorschriftsmäßigen Formen für die „ihm erteilten Vorschriften“ aufführt, erklärt sich nur daraus, daß man stillschweigend an die Stelle des Dienst- befehls die zu vollstreckende Anordnung schiebt. Sonst könnte man als Beispiel nicht die Beobachtung der Formen der Urteilsausfertigung einführen (Laband, St.R. 3. Aufl. I S. 421 Note 2). Vgl. über ähnliche Verwechslungen bei der Frage der „rechtmäßigen Amtshandlung“ Bd. I § 25 Note 9. 10 eines Gesetzes widersprechen“. Denn es kommt auch hier wieder nur darauf an: wer entscheidet, was der klare Wortlaut des Gesetzes besage, der Dienstbefehl oder die Meinung des Untergebenen?

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/250>, abgerufen am 23.11.2024.