Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.Das öffentliche Sachenrecht. Der Hausbesitzer nimmt seinen Zugang von der Straße und Dazu kommen thatsächliche Einwirkungen in das Gebiet der 12 Für diese Fälle wird häufig eine besondere Art Servitut angenommen, auch wo man sonst den Gemeingebrauch nicht als eine solche auffaßt; das hängt damit zusammen, daß hier eine Entschädigung bei Änderung der Straßen gewährt werden soll, für die man eine rechtliche Grundlage sucht. Das Nähere unten IV n. 2. -- Bekker, Pand. S. 341 ff., unterscheidet: Rechte, die ohne weiteres aus dem Gemeingebrauche hervorgehen und deshalb allen zukommen, und Vorzugs- rechte, "die den Gemeingebrauch nur zur Voraussetzung haben, übrigens besonders erworben werden müssen und also auch nur denen zukommen, die sie erworben haben." Diese Vorzugsrechte teilt er aber dann (S. 343) wieder ein in "Anlieger- rechte"; das sind wesentlich die oben genannten; und "besonders erworbene Be- rechtigungen von Anliegern und Nichtanliegern", wobei vor allem die Konzession in Betracht kommt. Die Anliegerrechte sind also keine besonders erworbenen Rechte, also nach der ersten Einteilung doch wohl einfach Rechte des Gemein- gebrauchs. Bekker nennt sie selbst "eine Reihe von Vorteilen, Nutzungen aus dem Gemeingebrauch"; er bezeichnet sie bloß deshalb als Vorzugsrechte, weil sie "dem Nichteigentümer niemals ebenso zukommen können .... Unter anderm die Möglichkeit u. s. w." Also sind es eben doch bloß thatsächliche Vorzüge, keine Vorzugsrechte. Das ist ja klar, daß, wer nicht Hausbesitzer ist, auch keine Fenster auf die Straße haben kann. Ganz ebenso kann, wer keinen Wagen hat, nicht auf der Straße fahren, und wer kein Pferd hat, nicht darauf reiten. Oder haben die Wagenbesitzer auch "Vorzugsrechte"? Das Richtige wird also sein, zu sagen, daß alle diese Leute Vorteile aus dem Bestand der Straße ziehen, die andere nicht daraus ziehen, weil ihnen die thatsächlichen Voraussetzungen fehlen. Das Recht ist überall gleichmäßig kein anderes als das des Gemeingebrauchs. 13 Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand. a. a. O. S. 111, berichtet über einen
Streitfall, welchen die Stadt Marburg gehabt hat. Ein Anlieger will die Stockwerke seines Gebäudes über die Straße vorspringen lassen. Die Gemeinde als Eigen- tümerin der Straße ist dagegen. Die staatliche Polizeibehörde erlaubt es. Sie beruft sich darauf, daß der Straßeneigentümer ja auch Fahnen, Marquisen, aus- wärts schlagende Fenster dulden müsse, "soweit damit keine Mißstände verknüpft seien". Das letztere bezieht sich auf die Polizei der öffentlichen Sachen, welche die Grenzen des Gemeingebrauchs überwacht. Der beabsichtigte Vorbau selbst war freilich nicht damit zu vergleichen und entschieden keine Ausübung des Ge- meingebrauchs; vgl. unten § 39 Note 9. Das öffentliche Sachenrecht. Der Hausbesitzer nimmt seinen Zugang von der Straße und Dazu kommen thatsächliche Einwirkungen in das Gebiet der 12 Für diese Fälle wird häufig eine besondere Art Servitut angenommen, auch wo man sonst den Gemeingebrauch nicht als eine solche auffaßt; das hängt damit zusammen, daß hier eine Entschädigung bei Änderung der Straßen gewährt werden soll, für die man eine rechtliche Grundlage sucht. Das Nähere unten IV n. 2. — Bekker, Pand. S. 341 ff., unterscheidet: Rechte, die ohne weiteres aus dem Gemeingebrauche hervorgehen und deshalb allen zukommen, und Vorzugs- rechte, „die den Gemeingebrauch nur zur Voraussetzung haben, übrigens besonders erworben werden müssen und also auch nur denen zukommen, die sie erworben haben.“ Diese Vorzugsrechte teilt er aber dann (S. 343) wieder ein in „Anlieger- rechte“; das sind wesentlich die oben genannten; und „besonders erworbene Be- rechtigungen von Anliegern und Nichtanliegern“, wobei vor allem die Konzession in Betracht kommt. Die Anliegerrechte sind also keine besonders erworbenen Rechte, also nach der ersten Einteilung doch wohl einfach Rechte des Gemein- gebrauchs. Bekker nennt sie selbst „eine Reihe von Vorteilen, Nutzungen aus dem Gemeingebrauch“; er bezeichnet sie bloß deshalb als Vorzugsrechte, weil sie „dem Nichteigentümer niemals ebenso zukommen können .... Unter anderm die Möglichkeit u. s. w.“ Also sind es eben doch bloß thatsächliche Vorzüge, keine Vorzugsrechte. Das ist ja klar, daß, wer nicht Hausbesitzer ist, auch keine Fenster auf die Straße haben kann. Ganz ebenso kann, wer keinen Wagen hat, nicht auf der Straße fahren, und wer kein Pferd hat, nicht darauf reiten. Oder haben die Wagenbesitzer auch „Vorzugsrechte“? Das Richtige wird also sein, zu sagen, daß alle diese Leute Vorteile aus dem Bestand der Straße ziehen, die andere nicht daraus ziehen, weil ihnen die thatsächlichen Voraussetzungen fehlen. Das Recht ist überall gleichmäßig kein anderes als das des Gemeingebrauchs. 13 Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand. a. a. O. S. 111, berichtet über einen
Streitfall, welchen die Stadt Marburg gehabt hat. Ein Anlieger will die Stockwerke seines Gebäudes über die Straße vorspringen lassen. Die Gemeinde als Eigen- tümerin der Straße ist dagegen. Die staatliche Polizeibehörde erlaubt es. Sie beruft sich darauf, daß der Straßeneigentümer ja auch Fahnen, Marquisen, aus- wärts schlagende Fenster dulden müsse, „soweit damit keine Mißstände verknüpft seien“. Das letztere bezieht sich auf die Polizei der öffentlichen Sachen, welche die Grenzen des Gemeingebrauchs überwacht. Der beabsichtigte Vorbau selbst war freilich nicht damit zu vergleichen und entschieden keine Ausübung des Ge- meingebrauchs; vgl. unten § 39 Note 9. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0132" n="120"/> <fw place="top" type="header">Das öffentliche Sachenrecht.</fw><lb/> <p>Der Hausbesitzer nimmt seinen Zugang von der Straße und<lb/> bringt Thüren dazu an; er bezieht von dort her Licht und Luft und<lb/> öffnet dahin seine Fenster; er richtet seinen Wasserablauf dahin; alles<lb/> ohne besondere Erlaubnis, auf Grund des Rechts des Gemeingebrauchs,<lb/> weil es die öffentliche Straße ist<note place="foot" n="12">Für diese Fälle wird häufig eine besondere Art Servitut angenommen,<lb/> auch wo man sonst den Gemeingebrauch nicht als eine solche auffaßt; das hängt<lb/> damit zusammen, daß hier eine Entschädigung bei Änderung der Straßen gewährt<lb/> werden soll, für die man eine rechtliche Grundlage sucht. Das Nähere unten IV<lb/> n. 2. — <hi rendition="#g">Bekker,</hi> Pand. S. 341 ff., unterscheidet: Rechte, die ohne weiteres aus<lb/> dem Gemeingebrauche hervorgehen und deshalb allen zukommen, und Vorzugs-<lb/> rechte, „die den Gemeingebrauch nur zur Voraussetzung haben, übrigens besonders<lb/> erworben werden müssen und also auch nur denen zukommen, die sie erworben<lb/> haben.“ Diese Vorzugsrechte teilt er aber dann (S. 343) wieder ein in „Anlieger-<lb/> rechte“; das sind wesentlich die oben genannten; und „besonders erworbene Be-<lb/> rechtigungen von Anliegern und Nichtanliegern“, wobei vor allem die Konzession<lb/> in Betracht kommt. Die Anliegerrechte sind also keine besonders erworbenen<lb/> Rechte, also nach der ersten Einteilung doch wohl einfach Rechte des Gemein-<lb/> gebrauchs. Bekker nennt sie selbst „eine Reihe von Vorteilen, Nutzungen aus<lb/> dem Gemeingebrauch“; er bezeichnet sie bloß deshalb als Vorzugsrechte, weil sie<lb/> „dem Nichteigentümer niemals ebenso zukommen können .... Unter anderm die<lb/><hi rendition="#g">Möglichkeit</hi> u. s. w.“ Also sind es eben doch bloß thatsächliche Vorzüge,<lb/> keine Vorzugsrechte. Das ist ja klar, daß, wer nicht Hausbesitzer ist, auch keine<lb/> Fenster auf die Straße haben kann. Ganz ebenso kann, wer keinen Wagen hat,<lb/> nicht auf der Straße fahren, und wer kein Pferd hat, nicht darauf reiten. Oder<lb/> haben die Wagenbesitzer auch „Vorzugsrechte“? Das Richtige wird also sein, zu<lb/> sagen, daß alle diese Leute Vorteile aus dem Bestand der Straße ziehen, die<lb/> andere nicht daraus ziehen, weil ihnen die thatsächlichen Voraussetzungen fehlen.<lb/> Das Recht ist überall gleichmäßig kein anderes als das des Gemeingebrauchs.</note>.</p><lb/> <p>Dazu kommen thatsächliche Einwirkungen in das Gebiet der<lb/> Straße hinein, welche von den Häusern aus geschehen: Blumenbretter,<lb/> Fahnen, Vogelkäfige werden in ihren Luftraum hinausgehängt, Fenster-<lb/> laden, Vorhänge bewegen sich darüber hinein, — alles unerlaubt<lb/> gegenüber einem Privatgrundstück, Gemeingebrauch gegenüber der<lb/> Straße<note place="foot" n="13"><hi rendition="#g">Ubbelohde,</hi> Forts. v. Glücks Pand. a. a. O. S. 111, berichtet über einen<lb/> Streitfall, welchen die Stadt Marburg gehabt hat. Ein Anlieger will die Stockwerke<lb/> seines Gebäudes über die Straße vorspringen lassen. Die Gemeinde als Eigen-<lb/> tümerin der Straße ist dagegen. Die staatliche Polizeibehörde erlaubt es. Sie<lb/> beruft sich darauf, daß der Straßeneigentümer ja auch Fahnen, Marquisen, aus-<lb/> wärts schlagende Fenster dulden müsse, „soweit damit keine Mißstände verknüpft<lb/> seien“. Das letztere bezieht sich auf die Polizei der öffentlichen Sachen, welche<lb/> die Grenzen des Gemeingebrauchs überwacht. Der beabsichtigte Vorbau selbst<lb/> war freilich nicht damit zu vergleichen und entschieden keine Ausübung des Ge-<lb/> meingebrauchs; vgl. unten § 39 Note 9.</note>.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0132]
Das öffentliche Sachenrecht.
Der Hausbesitzer nimmt seinen Zugang von der Straße und
bringt Thüren dazu an; er bezieht von dort her Licht und Luft und
öffnet dahin seine Fenster; er richtet seinen Wasserablauf dahin; alles
ohne besondere Erlaubnis, auf Grund des Rechts des Gemeingebrauchs,
weil es die öffentliche Straße ist 12.
Dazu kommen thatsächliche Einwirkungen in das Gebiet der
Straße hinein, welche von den Häusern aus geschehen: Blumenbretter,
Fahnen, Vogelkäfige werden in ihren Luftraum hinausgehängt, Fenster-
laden, Vorhänge bewegen sich darüber hinein, — alles unerlaubt
gegenüber einem Privatgrundstück, Gemeingebrauch gegenüber der
Straße 13.
12 Für diese Fälle wird häufig eine besondere Art Servitut angenommen,
auch wo man sonst den Gemeingebrauch nicht als eine solche auffaßt; das hängt
damit zusammen, daß hier eine Entschädigung bei Änderung der Straßen gewährt
werden soll, für die man eine rechtliche Grundlage sucht. Das Nähere unten IV
n. 2. — Bekker, Pand. S. 341 ff., unterscheidet: Rechte, die ohne weiteres aus
dem Gemeingebrauche hervorgehen und deshalb allen zukommen, und Vorzugs-
rechte, „die den Gemeingebrauch nur zur Voraussetzung haben, übrigens besonders
erworben werden müssen und also auch nur denen zukommen, die sie erworben
haben.“ Diese Vorzugsrechte teilt er aber dann (S. 343) wieder ein in „Anlieger-
rechte“; das sind wesentlich die oben genannten; und „besonders erworbene Be-
rechtigungen von Anliegern und Nichtanliegern“, wobei vor allem die Konzession
in Betracht kommt. Die Anliegerrechte sind also keine besonders erworbenen
Rechte, also nach der ersten Einteilung doch wohl einfach Rechte des Gemein-
gebrauchs. Bekker nennt sie selbst „eine Reihe von Vorteilen, Nutzungen aus
dem Gemeingebrauch“; er bezeichnet sie bloß deshalb als Vorzugsrechte, weil sie
„dem Nichteigentümer niemals ebenso zukommen können .... Unter anderm die
Möglichkeit u. s. w.“ Also sind es eben doch bloß thatsächliche Vorzüge,
keine Vorzugsrechte. Das ist ja klar, daß, wer nicht Hausbesitzer ist, auch keine
Fenster auf die Straße haben kann. Ganz ebenso kann, wer keinen Wagen hat,
nicht auf der Straße fahren, und wer kein Pferd hat, nicht darauf reiten. Oder
haben die Wagenbesitzer auch „Vorzugsrechte“? Das Richtige wird also sein, zu
sagen, daß alle diese Leute Vorteile aus dem Bestand der Straße ziehen, die
andere nicht daraus ziehen, weil ihnen die thatsächlichen Voraussetzungen fehlen.
Das Recht ist überall gleichmäßig kein anderes als das des Gemeingebrauchs.
13 Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand. a. a. O. S. 111, berichtet über einen
Streitfall, welchen die Stadt Marburg gehabt hat. Ein Anlieger will die Stockwerke
seines Gebäudes über die Straße vorspringen lassen. Die Gemeinde als Eigen-
tümerin der Straße ist dagegen. Die staatliche Polizeibehörde erlaubt es. Sie
beruft sich darauf, daß der Straßeneigentümer ja auch Fahnen, Marquisen, aus-
wärts schlagende Fenster dulden müsse, „soweit damit keine Mißstände verknüpft
seien“. Das letztere bezieht sich auf die Polizei der öffentlichen Sachen, welche
die Grenzen des Gemeingebrauchs überwacht. Der beabsichtigte Vorbau selbst
war freilich nicht damit zu vergleichen und entschieden keine Ausübung des Ge-
meingebrauchs; vgl. unten § 39 Note 9.
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