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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 37. Der Gemeingebrauch.
Neuere Gesetze, wie z. B. das bayrische Wasserbenutzungsgesetz v.
24. Mai 1852, art. 9, behandeln den Gemeingebrauch in der deutlichen
Absicht, nur seinen Inhalt genauer festzustellen; daß dieses Recht
überhaupt bestehe, also außerhalb einer gesetzlichen Gewährung ent-
stehe, ist schon vorausgesetzt.

Man könnte also die Gewährung vielleicht verknüpfen wollen mit
der Indienststellung der einzelnen öffentlichen Sache: die
Widmung enthielte zugleich die Rechtsbegründung. Allein bei manchen
Arten von öffentlichen Sachen, die dem Gemeingebrauch unterliegen,
kommt eine Herrichtung und Widmung überhaupt nicht vor. Und
wo sie vorkommt, ist sie nichts anderes als eine thatsächliche Ver-
wendung, die der Herr der Sache von ihr macht (oben S. 86). Ein
Akt von rechterzeugender Kraft liegt darin nicht vor. Freilich gewährt
der Staat dadurch den Einzelnen etwas; er giebt ihnen thatsächliche
Möglichkeiten, und sofern das Recht des Gemeingebrauchs besteht,
schafft er jetzt die Voraussetzungen dafür, damit dieses Recht einen
neuen Gegenstand erfasse; aber das Recht selbst begründet er nicht
dadurch.

Die Idee einer staatlichen Rechtsgewährung muß man also ganz
aus dem Spiele lassen. Das Recht des Gemeingebrauchs besteht ohne
eine solche von selbst3.

Deshalb hat man es mit gutem Grunde für angemessener gehalten,
noch weiter zurückzugehen. Wenn der Gemeingebrauch wirklich ein
Recht vorstellen soll, findet er seinen Zusammenhang viel eher im
alten genossenschaftlichen Rechte; da ist er ein gegebenes, dem
Einzelnen eigenes Recht, nicht verliehen, sondern mitgebracht -- ein
droit preexistant, nach der französischen Einteilung, im Gegensatz zu
einem droit acquis. Die Formel, die man dafür giebt, ist also die:
das Recht des Gemeingebrauchs ist begründet durch die Mitglied-
schaft
in der Gesamtheit, mag diese nun Genossenschaft oder
Gemeinde oder Staat sein4.

3 Die innere Unwahrheit der Idee einer Begründung des Gemeingebrauchs
auf staatliche Gewährung erweist sich am deutlichsten daraus, daß ihre Anhänger
von einer Gewährung sprechen, die der Staat machen muß. So Mauren-
brecher,
D. Pr.R. § 156: "öffentliche Sachen sind Staatseigentum, aber den Ge-
brauch muß der Staat den Unterthanen überlassen." Dieses Muß würde sich selbst
erst wieder aus einem vorher bestehenden Rechte erklären lassen.
4 Dernburg, Preuß. Pr.R. I S. 597: "die Benützung der Gemeindewege ist
ein Recht der Gemeindemitgliedschaft"; Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand.
Buch 43 u. 44, IV, 1 S. 38, 46: die Benützung der öffentlichen Sachen des Staates
steht den Einzelnen zu "nicht kraft eines persönlichen Privatrechts, sondern kraft
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 8

§ 37. Der Gemeingebrauch.
Neuere Gesetze, wie z. B. das bayrische Wasserbenutzungsgesetz v.
24. Mai 1852, art. 9, behandeln den Gemeingebrauch in der deutlichen
Absicht, nur seinen Inhalt genauer festzustellen; daß dieses Recht
überhaupt bestehe, also außerhalb einer gesetzlichen Gewährung ent-
stehe, ist schon vorausgesetzt.

Man könnte also die Gewährung vielleicht verknüpfen wollen mit
der Indienststellung der einzelnen öffentlichen Sache: die
Widmung enthielte zugleich die Rechtsbegründung. Allein bei manchen
Arten von öffentlichen Sachen, die dem Gemeingebrauch unterliegen,
kommt eine Herrichtung und Widmung überhaupt nicht vor. Und
wo sie vorkommt, ist sie nichts anderes als eine thatsächliche Ver-
wendung, die der Herr der Sache von ihr macht (oben S. 86). Ein
Akt von rechterzeugender Kraft liegt darin nicht vor. Freilich gewährt
der Staat dadurch den Einzelnen etwas; er giebt ihnen thatsächliche
Möglichkeiten, und sofern das Recht des Gemeingebrauchs besteht,
schafft er jetzt die Voraussetzungen dafür, damit dieses Recht einen
neuen Gegenstand erfasse; aber das Recht selbst begründet er nicht
dadurch.

Die Idee einer staatlichen Rechtsgewährung muß man also ganz
aus dem Spiele lassen. Das Recht des Gemeingebrauchs besteht ohne
eine solche von selbst3.

Deshalb hat man es mit gutem Grunde für angemessener gehalten,
noch weiter zurückzugehen. Wenn der Gemeingebrauch wirklich ein
Recht vorstellen soll, findet er seinen Zusammenhang viel eher im
alten genossenschaftlichen Rechte; da ist er ein gegebenes, dem
Einzelnen eigenes Recht, nicht verliehen, sondern mitgebracht — ein
droit préexistant, nach der französischen Einteilung, im Gegensatz zu
einem droit acquis. Die Formel, die man dafür giebt, ist also die:
das Recht des Gemeingebrauchs ist begründet durch die Mitglied-
schaft
in der Gesamtheit, mag diese nun Genossenschaft oder
Gemeinde oder Staat sein4.

3 Die innere Unwahrheit der Idee einer Begründung des Gemeingebrauchs
auf staatliche Gewährung erweist sich am deutlichsten daraus, daß ihre Anhänger
von einer Gewährung sprechen, die der Staat machen muß. So Mauren-
brecher,
D. Pr.R. § 156: „öffentliche Sachen sind Staatseigentum, aber den Ge-
brauch muß der Staat den Unterthanen überlassen.“ Dieses Muß würde sich selbst
erst wieder aus einem vorher bestehenden Rechte erklären lassen.
4 Dernburg, Preuß. Pr.R. I S. 597: „die Benützung der Gemeindewege ist
ein Recht der Gemeindemitgliedschaft“; Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand.
Buch 43 u. 44, IV, 1 S. 38, 46: die Benützung der öffentlichen Sachen des Staates
steht den Einzelnen zu „nicht kraft eines persönlichen Privatrechts, sondern kraft
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 8
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[113/0125] § 37. Der Gemeingebrauch. Neuere Gesetze, wie z. B. das bayrische Wasserbenutzungsgesetz v. 24. Mai 1852, art. 9, behandeln den Gemeingebrauch in der deutlichen Absicht, nur seinen Inhalt genauer festzustellen; daß dieses Recht überhaupt bestehe, also außerhalb einer gesetzlichen Gewährung ent- stehe, ist schon vorausgesetzt. Man könnte also die Gewährung vielleicht verknüpfen wollen mit der Indienststellung der einzelnen öffentlichen Sache: die Widmung enthielte zugleich die Rechtsbegründung. Allein bei manchen Arten von öffentlichen Sachen, die dem Gemeingebrauch unterliegen, kommt eine Herrichtung und Widmung überhaupt nicht vor. Und wo sie vorkommt, ist sie nichts anderes als eine thatsächliche Ver- wendung, die der Herr der Sache von ihr macht (oben S. 86). Ein Akt von rechterzeugender Kraft liegt darin nicht vor. Freilich gewährt der Staat dadurch den Einzelnen etwas; er giebt ihnen thatsächliche Möglichkeiten, und sofern das Recht des Gemeingebrauchs besteht, schafft er jetzt die Voraussetzungen dafür, damit dieses Recht einen neuen Gegenstand erfasse; aber das Recht selbst begründet er nicht dadurch. Die Idee einer staatlichen Rechtsgewährung muß man also ganz aus dem Spiele lassen. Das Recht des Gemeingebrauchs besteht ohne eine solche von selbst 3. Deshalb hat man es mit gutem Grunde für angemessener gehalten, noch weiter zurückzugehen. Wenn der Gemeingebrauch wirklich ein Recht vorstellen soll, findet er seinen Zusammenhang viel eher im alten genossenschaftlichen Rechte; da ist er ein gegebenes, dem Einzelnen eigenes Recht, nicht verliehen, sondern mitgebracht — ein droit préexistant, nach der französischen Einteilung, im Gegensatz zu einem droit acquis. Die Formel, die man dafür giebt, ist also die: das Recht des Gemeingebrauchs ist begründet durch die Mitglied- schaft in der Gesamtheit, mag diese nun Genossenschaft oder Gemeinde oder Staat sein 4. 3 Die innere Unwahrheit der Idee einer Begründung des Gemeingebrauchs auf staatliche Gewährung erweist sich am deutlichsten daraus, daß ihre Anhänger von einer Gewährung sprechen, die der Staat machen muß. So Mauren- brecher, D. Pr.R. § 156: „öffentliche Sachen sind Staatseigentum, aber den Ge- brauch muß der Staat den Unterthanen überlassen.“ Dieses Muß würde sich selbst erst wieder aus einem vorher bestehenden Rechte erklären lassen. 4 Dernburg, Preuß. Pr.R. I S. 597: „die Benützung der Gemeindewege ist ein Recht der Gemeindemitgliedschaft“; Ubbelohde, Forts. v. Glücks Pand. Buch 43 u. 44, IV, 1 S. 38, 46: die Benützung der öffentlichen Sachen des Staates steht den Einzelnen zu „nicht kraft eines persönlichen Privatrechts, sondern kraft Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 8

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/125>, abgerufen am 24.11.2024.