Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.

Wie kommt es, dass der Staat in solcher Weise gebunden wird
und zwar rechtlich gebunden wird? Denn die Nichtbeachtung ist
Unrecht und Rechtswidrigkeit.

Es ist nicht einfach eine dienstliche Verpflichtung
der handelnden Beamten; sonst müssten sie im Dienstwege davon
entbunden werden können, es kann aber im Namen des Staates
rechtlich nicht anders gehandelt werden als gemäss dieser Ge-
bundenheiten.

Es handelt sich nicht, wie man gerne sagt, um eine Funktion
der Staatsgewalt, um eine Art von Thätigkeit, die sie wählt und die
eben darauf gerichtet ist, so gebunden zu handeln; es müsste dann
immer freistehn, nicht in diese Funktion zu treten. Die rechtliche
Notwendigkeit bleibt unerklärt.

Es wäre natürlich am einfachsten, wenn man sagen könnte: ein
Rechtssatz bestimmt, dass es so sein muss. Aber wo ist der Rechtssatz?
Wenn man genauere Auskunft begehrt, wird man sicher zur Antwort
bekommen: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das be-
deutet.

Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, dass
diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand.

Warum es aber selbstverständlich ist, das erklärt sich einzig aus
der grossen Thatsache, die unserm ganzen Staatsrechte zu Grunde liegt,
aus der Trennung der Gewalten. Von vornherein ist es nicht selbstver-
ständlich, dass die Staatsgewalt den Unterthanen gegenüber in recht-
licher Gebundenheit erscheine. Aber dazu ist die grundlegende
Scheidung gemacht. Die gesetzgebende Gewalt bleibt rechtlich nicht
bindbar. Im Gegensatz zu ihr ist die vollziehende Gewalt ausge-
schieden, um rechtlich bindbar zu sein. Das ist die besondere Eigen-
schaft, mit der sie ihrerseits ausgerüstet gedacht ist. Die vollziehende
Gewalt ist die nicht in Form des Gesetzes erscheinende,
ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt
. Und
zwar bindbar nicht in unbestimmter Weise, sondern in jenen dem
Vorbilde der Justiz nachgebildeten Formen und Voraussetzungen.
Diese bestimmte Bindbarkeit ist ein kategorischer Bestandteil des Be-
griffes: die ausserhalb der Form des Gesetzes erscheinende Staats-
gewalt besteht für uns nur so und wir lassen sie nur so wirken, ohne
uns mehr bewusst zu werden, dass wir damit etwas besonderes an
ihr vorausgesetzt haben16.

16 L. v. Stein hatte in Verw.Lehre I, 1 (1. Aufl.) S. 9 eine Begriffsbestimmung
der vollziehenden Gewalt gegeben dahin, dass sie ist "nur der Organismus der
§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.

Wie kommt es, daſs der Staat in solcher Weise gebunden wird
und zwar rechtlich gebunden wird? Denn die Nichtbeachtung ist
Unrecht und Rechtswidrigkeit.

Es ist nicht einfach eine dienstliche Verpflichtung
der handelnden Beamten; sonst müſsten sie im Dienstwege davon
entbunden werden können, es kann aber im Namen des Staates
rechtlich nicht anders gehandelt werden als gemäſs dieser Ge-
bundenheiten.

Es handelt sich nicht, wie man gerne sagt, um eine Funktion
der Staatsgewalt, um eine Art von Thätigkeit, die sie wählt und die
eben darauf gerichtet ist, so gebunden zu handeln; es müſste dann
immer freistehn, nicht in diese Funktion zu treten. Die rechtliche
Notwendigkeit bleibt unerklärt.

Es wäre natürlich am einfachsten, wenn man sagen könnte: ein
Rechtssatz bestimmt, daſs es so sein muſs. Aber wo ist der Rechtssatz?
Wenn man genauere Auskunft begehrt, wird man sicher zur Antwort
bekommen: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das be-
deutet.

Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, daſs
diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand.

Warum es aber selbstverständlich ist, das erklärt sich einzig aus
der groſsen Thatsache, die unserm ganzen Staatsrechte zu Grunde liegt,
aus der Trennung der Gewalten. Von vornherein ist es nicht selbstver-
ständlich, daſs die Staatsgewalt den Unterthanen gegenüber in recht-
licher Gebundenheit erscheine. Aber dazu ist die grundlegende
Scheidung gemacht. Die gesetzgebende Gewalt bleibt rechtlich nicht
bindbar. Im Gegensatz zu ihr ist die vollziehende Gewalt ausge-
schieden, um rechtlich bindbar zu sein. Das ist die besondere Eigen-
schaft, mit der sie ihrerseits ausgerüstet gedacht ist. Die vollziehende
Gewalt ist die nicht in Form des Gesetzes erscheinende,
ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt
. Und
zwar bindbar nicht in unbestimmter Weise, sondern in jenen dem
Vorbilde der Justiz nachgebildeten Formen und Voraussetzungen.
Diese bestimmte Bindbarkeit ist ein kategorischer Bestandteil des Be-
griffes: die auſserhalb der Form des Gesetzes erscheinende Staats-
gewalt besteht für uns nur so und wir lassen sie nur so wirken, ohne
uns mehr bewuſst zu werden, daſs wir damit etwas besonderes an
ihr vorausgesetzt haben16.

16 L. v. Stein hatte in Verw.Lehre I, 1 (1. Aufl.) S. 9 eine Begriffsbestimmung
der vollziehenden Gewalt gegeben dahin, daſs sie ist „nur der Organismus der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0099" n="79"/>
            <fw place="top" type="header">§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.</fw><lb/>
            <p>Wie kommt es, da&#x017F;s der Staat in solcher Weise gebunden wird<lb/>
und zwar rechtlich gebunden wird? Denn die Nichtbeachtung ist<lb/>
Unrecht und Rechtswidrigkeit.</p><lb/>
            <p>Es ist nicht einfach eine <hi rendition="#g">dienstliche Verpflichtung</hi><lb/>
der handelnden Beamten; sonst mü&#x017F;sten sie im Dienstwege davon<lb/>
entbunden werden können, es kann aber im Namen des Staates<lb/>
rechtlich nicht anders gehandelt werden als gemä&#x017F;s dieser Ge-<lb/>
bundenheiten.</p><lb/>
            <p>Es handelt sich nicht, wie man gerne sagt, um eine <hi rendition="#g">Funktion</hi><lb/>
der Staatsgewalt, um eine Art von Thätigkeit, die sie wählt und die<lb/>
eben darauf gerichtet ist, so gebunden zu handeln; es mü&#x017F;ste dann<lb/>
immer freistehn, nicht in diese Funktion zu treten. Die rechtliche<lb/>
Notwendigkeit bleibt unerklärt.</p><lb/>
            <p>Es wäre natürlich am einfachsten, wenn man sagen könnte: ein<lb/>
Rechtssatz bestimmt, da&#x017F;s es so sein mu&#x017F;s. Aber wo ist der Rechtssatz?<lb/>
Wenn man genauere Auskunft begehrt, wird man sicher zur Antwort<lb/>
bekommen: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das be-<lb/>
deutet.</p><lb/>
            <p>Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, da&#x017F;s<lb/>
diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand.</p><lb/>
            <p>Warum es aber selbstverständlich ist, das erklärt sich einzig aus<lb/>
der gro&#x017F;sen Thatsache, die unserm ganzen Staatsrechte zu Grunde liegt,<lb/>
aus der Trennung der Gewalten. Von vornherein ist es nicht selbstver-<lb/>
ständlich, da&#x017F;s die Staatsgewalt den Unterthanen gegenüber in recht-<lb/>
licher Gebundenheit erscheine. Aber dazu ist die grundlegende<lb/>
Scheidung gemacht. Die gesetzgebende Gewalt bleibt rechtlich nicht<lb/>
bindbar. Im Gegensatz zu ihr ist die vollziehende Gewalt ausge-<lb/>
schieden, um rechtlich bindbar zu sein. Das ist die besondere Eigen-<lb/>
schaft, mit der sie ihrerseits ausgerüstet gedacht ist. Die vollziehende<lb/>
Gewalt ist <hi rendition="#g">die nicht in Form des Gesetzes erscheinende,<lb/>
ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt</hi>. Und<lb/>
zwar bindbar nicht in unbestimmter Weise, sondern in jenen dem<lb/>
Vorbilde der Justiz nachgebildeten Formen und Voraussetzungen.<lb/>
Diese bestimmte Bindbarkeit ist ein kategorischer Bestandteil des Be-<lb/>
griffes: die au&#x017F;serhalb der Form des Gesetzes erscheinende Staats-<lb/>
gewalt besteht für uns nur so und wir lassen sie nur so wirken, ohne<lb/>
uns mehr bewu&#x017F;st zu werden, da&#x017F;s wir damit etwas besonderes an<lb/>
ihr vorausgesetzt haben<note xml:id="seg2pn_14_1" next="#seg2pn_14_2" place="foot" n="16">L. v. <hi rendition="#g">Stein</hi> hatte in Verw.Lehre I, 1 (1. Aufl.) S. 9 eine Begriffsbestimmung<lb/>
der vollziehenden Gewalt gegeben dahin, da&#x017F;s sie ist &#x201E;nur der Organismus der</note>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0099] § 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt. Wie kommt es, daſs der Staat in solcher Weise gebunden wird und zwar rechtlich gebunden wird? Denn die Nichtbeachtung ist Unrecht und Rechtswidrigkeit. Es ist nicht einfach eine dienstliche Verpflichtung der handelnden Beamten; sonst müſsten sie im Dienstwege davon entbunden werden können, es kann aber im Namen des Staates rechtlich nicht anders gehandelt werden als gemäſs dieser Ge- bundenheiten. Es handelt sich nicht, wie man gerne sagt, um eine Funktion der Staatsgewalt, um eine Art von Thätigkeit, die sie wählt und die eben darauf gerichtet ist, so gebunden zu handeln; es müſste dann immer freistehn, nicht in diese Funktion zu treten. Die rechtliche Notwendigkeit bleibt unerklärt. Es wäre natürlich am einfachsten, wenn man sagen könnte: ein Rechtssatz bestimmt, daſs es so sein muſs. Aber wo ist der Rechtssatz? Wenn man genauere Auskunft begehrt, wird man sicher zur Antwort bekommen: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das be- deutet. Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, daſs diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand. Warum es aber selbstverständlich ist, das erklärt sich einzig aus der groſsen Thatsache, die unserm ganzen Staatsrechte zu Grunde liegt, aus der Trennung der Gewalten. Von vornherein ist es nicht selbstver- ständlich, daſs die Staatsgewalt den Unterthanen gegenüber in recht- licher Gebundenheit erscheine. Aber dazu ist die grundlegende Scheidung gemacht. Die gesetzgebende Gewalt bleibt rechtlich nicht bindbar. Im Gegensatz zu ihr ist die vollziehende Gewalt ausge- schieden, um rechtlich bindbar zu sein. Das ist die besondere Eigen- schaft, mit der sie ihrerseits ausgerüstet gedacht ist. Die vollziehende Gewalt ist die nicht in Form des Gesetzes erscheinende, ihrer Natur nach rechtlich bindbare Staatsgewalt. Und zwar bindbar nicht in unbestimmter Weise, sondern in jenen dem Vorbilde der Justiz nachgebildeten Formen und Voraussetzungen. Diese bestimmte Bindbarkeit ist ein kategorischer Bestandteil des Be- griffes: die auſserhalb der Form des Gesetzes erscheinende Staats- gewalt besteht für uns nur so und wir lassen sie nur so wirken, ohne uns mehr bewuſst zu werden, daſs wir damit etwas besonderes an ihr vorausgesetzt haben 16. 16 L. v. Stein hatte in Verw.Lehre I, 1 (1. Aufl.) S. 9 eine Begriffsbestimmung der vollziehenden Gewalt gegeben dahin, daſs sie ist „nur der Organismus der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/99
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/99>, abgerufen am 06.05.2024.