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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.

Gesetzgebende und vollziehende Gewalt sind jedenfalls dieselben
geblieben, auch wenn ihre Ausgangspunkte jetzt weniger wie ein Gegen-
satz von Personen, denn wie verschiedenartige Entstehungs-
formen des Staatswillens
sich geben. Es sind lebendige
Kräfte,
die, je nach seiner Entstehungsform anders geartet, durch
diesen Willen in Bewegung gesetzt werden.

Worum es sich also handelt, das ist die genauere Fesstellung
der besonderen Eigenschaften, die jeder der beiden Kräfte
zukommen.

I. Gesetz im Verfassungsstaat ist ein Akt der gesetzgebenden
Gewalt, genauer gesagt: die Erscheinung des mit der gesetzgebenden
Gewalt ausgestatteten staatlichen Willens.

Dieser Akt kennzeichnet sich demnach:

1. durch seine Entstehungsart: den Weg der Gesetzgebung,
auf welchem durch die gesetzgebenden Faktoren, Fürst und Volks-
vertretung, in verfassungsmässiger Weise der verfassungmässig mit der
gesetzgebenden Gewalt ausgestattete Wille erzeugt wird.

2. durch seine Wirkungsfähigkeit: die Kraft des Gesetzes,
welche Kraft nichts anderes ist als öffentliche Gewalt mit den bei der
Teilung der Gewalten der gesetzgebenden Gewalt zugewiesenen Be-
sonderheiten.

An jener Entstehungsart der staatlichen Willensäusserung hängt
diese Kraft; nicht hängt daran eine bestimmte Art von Wirkung.
Denn inwieweit das Gesetz von seiner Wirkungsfähigkeit im Einzel-
fall auch wirklich Gebrauch gemacht hat, ist eine Frage seines
Willensinhaltes5.

steht eben ein Höherer drüber, der das Verhältnis sichert und aufrecht erhält. An
der Spitze des Staates giebt es das nicht. Die Form des Gesetzes kann sich nur
sichern durch ihre eigene Schwere, durch einen andern Willen, der in seinem
Willen mit geäussert und der mit verletzt ist, wenn jener nicht geachtet wird.
Darin liegt die Weisheit der Einrichtung.
5 Hier geraten wir mitten in den bekannten Streit über das Gesetz im
formellen und materiellen Sinne. Das verfassungsmässige Gesetz ist ja allerdings
bestimmt, Rechtssätze zu liefern; darum hat es die Fähigkeit dazu erhalten, aber
damit ist nicht gesagt, dass es nun nichts anderes thun kann, als Rechtssätze
machen. Es bedeutet die Erscheinung einer bestimmten Gewalt, nicht eine bestimmte
Funktion. Wer das verwechselt, kommt gegenüber der Wirklichkeit unserer Ge-
setze gar bald ins Gedränge. Entweder muss man dann die mancherlei gesetzlichen
Willensäusserungen, die keine Rechtssätze sind, für unbeachtliche Thorheiten des
Gesetzgebers erklären (so Haenel, Ges. in form. und mat. Sinne S. 171, 172), oder
man opfert den Rechtssatzbegriff und erklärt alles für einen Rechtssatz, was die
Laune des Gesetzgebers zu äussern beliebt, Genehmigung des Verkaufs eines
§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.

Gesetzgebende und vollziehende Gewalt sind jedenfalls dieselben
geblieben, auch wenn ihre Ausgangspunkte jetzt weniger wie ein Gegen-
satz von Personen, denn wie verschiedenartige Entstehungs-
formen des Staatswillens
sich geben. Es sind lebendige
Kräfte,
die, je nach seiner Entstehungsform anders geartet, durch
diesen Willen in Bewegung gesetzt werden.

Worum es sich also handelt, das ist die genauere Fesstellung
der besonderen Eigenschaften, die jeder der beiden Kräfte
zukommen.

I. Gesetz im Verfassungsstaat ist ein Akt der gesetzgebenden
Gewalt, genauer gesagt: die Erscheinung des mit der gesetzgebenden
Gewalt ausgestatteten staatlichen Willens.

Dieser Akt kennzeichnet sich demnach:

1. durch seine Entstehungsart: den Weg der Gesetzgebung,
auf welchem durch die gesetzgebenden Faktoren, Fürst und Volks-
vertretung, in verfassungsmäſsiger Weise der verfassungmäſsig mit der
gesetzgebenden Gewalt ausgestattete Wille erzeugt wird.

2. durch seine Wirkungsfähigkeit: die Kraft des Gesetzes,
welche Kraft nichts anderes ist als öffentliche Gewalt mit den bei der
Teilung der Gewalten der gesetzgebenden Gewalt zugewiesenen Be-
sonderheiten.

An jener Entstehungsart der staatlichen Willensäuſserung hängt
diese Kraft; nicht hängt daran eine bestimmte Art von Wirkung.
Denn inwieweit das Gesetz von seiner Wirkungsfähigkeit im Einzel-
fall auch wirklich Gebrauch gemacht hat, ist eine Frage seines
Willensinhaltes5.

steht eben ein Höherer drüber, der das Verhältnis sichert und aufrecht erhält. An
der Spitze des Staates giebt es das nicht. Die Form des Gesetzes kann sich nur
sichern durch ihre eigene Schwere, durch einen andern Willen, der in seinem
Willen mit geäuſsert und der mit verletzt ist, wenn jener nicht geachtet wird.
Darin liegt die Weisheit der Einrichtung.
5 Hier geraten wir mitten in den bekannten Streit über das Gesetz im
formellen und materiellen Sinne. Das verfassungsmäſsige Gesetz ist ja allerdings
bestimmt, Rechtssätze zu liefern; darum hat es die Fähigkeit dazu erhalten, aber
damit ist nicht gesagt, daſs es nun nichts anderes thun kann, als Rechtssätze
machen. Es bedeutet die Erscheinung einer bestimmten Gewalt, nicht eine bestimmte
Funktion. Wer das verwechselt, kommt gegenüber der Wirklichkeit unserer Ge-
setze gar bald ins Gedränge. Entweder muſs man dann die mancherlei gesetzlichen
Willensäuſserungen, die keine Rechtssätze sind, für unbeachtliche Thorheiten des
Gesetzgebers erklären (so Haenel, Ges. in form. und mat. Sinne S. 171, 172), oder
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Laune des Gesetzgebers zu äuſsern beliebt, Genehmigung des Verkaufs eines
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[71/0091] § 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt sind jedenfalls dieselben geblieben, auch wenn ihre Ausgangspunkte jetzt weniger wie ein Gegen- satz von Personen, denn wie verschiedenartige Entstehungs- formen des Staatswillens sich geben. Es sind lebendige Kräfte, die, je nach seiner Entstehungsform anders geartet, durch diesen Willen in Bewegung gesetzt werden. Worum es sich also handelt, das ist die genauere Fesstellung der besonderen Eigenschaften, die jeder der beiden Kräfte zukommen. I. Gesetz im Verfassungsstaat ist ein Akt der gesetzgebenden Gewalt, genauer gesagt: die Erscheinung des mit der gesetzgebenden Gewalt ausgestatteten staatlichen Willens. Dieser Akt kennzeichnet sich demnach: 1. durch seine Entstehungsart: den Weg der Gesetzgebung, auf welchem durch die gesetzgebenden Faktoren, Fürst und Volks- vertretung, in verfassungsmäſsiger Weise der verfassungmäſsig mit der gesetzgebenden Gewalt ausgestattete Wille erzeugt wird. 2. durch seine Wirkungsfähigkeit: die Kraft des Gesetzes, welche Kraft nichts anderes ist als öffentliche Gewalt mit den bei der Teilung der Gewalten der gesetzgebenden Gewalt zugewiesenen Be- sonderheiten. An jener Entstehungsart der staatlichen Willensäuſserung hängt diese Kraft; nicht hängt daran eine bestimmte Art von Wirkung. Denn inwieweit das Gesetz von seiner Wirkungsfähigkeit im Einzel- fall auch wirklich Gebrauch gemacht hat, ist eine Frage seines Willensinhaltes 5. 4 5 Hier geraten wir mitten in den bekannten Streit über das Gesetz im formellen und materiellen Sinne. Das verfassungsmäſsige Gesetz ist ja allerdings bestimmt, Rechtssätze zu liefern; darum hat es die Fähigkeit dazu erhalten, aber damit ist nicht gesagt, daſs es nun nichts anderes thun kann, als Rechtssätze machen. Es bedeutet die Erscheinung einer bestimmten Gewalt, nicht eine bestimmte Funktion. Wer das verwechselt, kommt gegenüber der Wirklichkeit unserer Ge- setze gar bald ins Gedränge. Entweder muſs man dann die mancherlei gesetzlichen Willensäuſserungen, die keine Rechtssätze sind, für unbeachtliche Thorheiten des Gesetzgebers erklären (so Haenel, Ges. in form. und mat. Sinne S. 171, 172), oder man opfert den Rechtssatzbegriff und erklärt alles für einen Rechtssatz, was die Laune des Gesetzgebers zu äuſsern beliebt, Genehmigung des Verkaufs eines 4 steht eben ein Höherer drüber, der das Verhältnis sichert und aufrecht erhält. An der Spitze des Staates giebt es das nicht. Die Form des Gesetzes kann sich nur sichern durch ihre eigene Schwere, durch einen andern Willen, der in seinem Willen mit geäuſsert und der mit verletzt ist, wenn jener nicht geachtet wird. Darin liegt die Weisheit der Einrichtung.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/91>, abgerufen am 25.11.2024.