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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
etwas bestimmtes darunter zu denken, -- ganz genau, welche recht-
liche Bedeutung das hat. Es genügt auch, dass sie sagen, dass "das
Gesetz" unter Mitwirkung einer näher geordneten Volksvertretung
zustande kommt; dann wissen wir, dass dieses Gesetz mit der be-
kannten Kraft der gesetzgebenden Gewalt wirkt, alles übrige mit der
der vollziehenden. So selbstverständlich ist das jetzt alles.

Damit eine Trennung dieser Gewalten bestehe, ist erforderlich,
dass der menschliche Wille, welcher die eine davon trägt, nicht zu-
gleich
auch der Träger der andern sei. Die Schriftsteller des
vorigen Jahrhunderts hatten sich das so ausgedacht, dass die Ge-
walten zwischen sich gegenüber stehenden Rechtssubjekten glattweg ge-
teilt werden müssten, so dass jedem die seinige ganz und selbständig
zukomme. In diesem Sinne hat denn auch die erste französische
Verfassung einfach die gesetzgebende Gewalt der Volksvertretung, die
vollziehende dem König überwiesen.

Für die Wahrung des Grundsatzes ist aber eine so plumpe Aus-
einanderhaltung durchaus nicht nötig. Spätere Verfassungen haben
dem chef du pouvoir executif, namentlich wenn er sich König oder
Kaiser nannte, unbedenklich einen massgebenden Anteil auch an dem
Zustandekommen des Gesetzes zugewiesen. Es genügt, dass neben
seinem Willen noch ein anderer Wille, der der Volksvertretung, dabei
wirksam werde, dann ist die Trennung der Gewalten da; gesetz-
gebende und vollziehende Gewalt sollen nur nicht lediglich auf
dem gleichen Willen ruhen3.

In dieser Weise ist unverkennbar die Trennung der Gewalten
auch bei uns zur Durchführung gelangt. Die Idee der Volkssouverä-
netät liegt ja unserem Staatswesen nicht zu Grunde; die Trennung
der Gewalten hängt aber auch nicht daran. Alle unsere Verfassungen
haben dem Fürsten eine Volksvertretung zur Seite gestellt, deren Zu-
stimmung notwendig ist, wenn das Gesetz zustande kommen soll; das
genügt vollständig. Ob die Verfassungsurkunde geradezu von einer

3 Um das auszudrücken, pflegen die französischen Schriftsteller ein Wort
von Monnier zu wiederholen aus seinem discours sur le projet de constitution
13. Aug. 1789: die Gewalten sollen danach nicht sein entierement separes; es ge-
nügt, dass sie divises sind, unterscheidbar. Montlosier, de la monarchie francaise
(1816!) II cap. 20 S. 326, sucht den Gedanken durch die Übertreibung zu widerlegen:
"Entendons-nous par la trois pouvoirs independants et souverains? Il faudrait par
la meme entendre trois Etats distincts". Das trifft nicht zu, weil diese Gewalten
gegenseitig bedingt und durch die Ineinanderschiebung ihrer Trägerschaft verbunden
sind; aber wahr ist, dass jede ein lebendiges Stück Staatsgewalt vorstellt, keine
blosse Funktion.

§ 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt.
etwas bestimmtes darunter zu denken, — ganz genau, welche recht-
liche Bedeutung das hat. Es genügt auch, daſs sie sagen, daſs „das
Gesetz“ unter Mitwirkung einer näher geordneten Volksvertretung
zustande kommt; dann wissen wir, daſs dieses Gesetz mit der be-
kannten Kraft der gesetzgebenden Gewalt wirkt, alles übrige mit der
der vollziehenden. So selbstverständlich ist das jetzt alles.

Damit eine Trennung dieser Gewalten bestehe, ist erforderlich,
daſs der menschliche Wille, welcher die eine davon trägt, nicht zu-
gleich
auch der Träger der andern sei. Die Schriftsteller des
vorigen Jahrhunderts hatten sich das so ausgedacht, daſs die Ge-
walten zwischen sich gegenüber stehenden Rechtssubjekten glattweg ge-
teilt werden müſsten, so daſs jedem die seinige ganz und selbständig
zukomme. In diesem Sinne hat denn auch die erste französische
Verfassung einfach die gesetzgebende Gewalt der Volksvertretung, die
vollziehende dem König überwiesen.

Für die Wahrung des Grundsatzes ist aber eine so plumpe Aus-
einanderhaltung durchaus nicht nötig. Spätere Verfassungen haben
dem chef du pouvoir exécutif, namentlich wenn er sich König oder
Kaiser nannte, unbedenklich einen maſsgebenden Anteil auch an dem
Zustandekommen des Gesetzes zugewiesen. Es genügt, daſs neben
seinem Willen noch ein anderer Wille, der der Volksvertretung, dabei
wirksam werde, dann ist die Trennung der Gewalten da; gesetz-
gebende und vollziehende Gewalt sollen nur nicht lediglich auf
dem gleichen Willen ruhen3.

In dieser Weise ist unverkennbar die Trennung der Gewalten
auch bei uns zur Durchführung gelangt. Die Idee der Volkssouverä-
netät liegt ja unserem Staatswesen nicht zu Grunde; die Trennung
der Gewalten hängt aber auch nicht daran. Alle unsere Verfassungen
haben dem Fürsten eine Volksvertretung zur Seite gestellt, deren Zu-
stimmung notwendig ist, wenn das Gesetz zustande kommen soll; das
genügt vollständig. Ob die Verfassungsurkunde geradezu von einer

3 Um das auszudrücken, pflegen die französischen Schriftsteller ein Wort
von Monnier zu wiederholen aus seinem discours sur le projet de constitution
13. Aug. 1789: die Gewalten sollen danach nicht sein entièrement séparés; es ge-
nügt, daſs sie divisés sind, unterscheidbar. Montlosier, de la monarchie française
(1816!) II cap. 20 S. 326, sucht den Gedanken durch die Übertreibung zu widerlegen:
„Entendons-nous par là trois pouvoirs indépendants et souverains? Il faudrait par
là même entendre trois Etats distincts“. Das trifft nicht zu, weil diese Gewalten
gegenseitig bedingt und durch die Ineinanderschiebung ihrer Trägerschaft verbunden
sind; aber wahr ist, daſs jede ein lebendiges Stück Staatsgewalt vorstellt, keine
bloſse Funktion.
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[69/0089] § 6. Gesetzgebende und vollziehende Gewalt. etwas bestimmtes darunter zu denken, — ganz genau, welche recht- liche Bedeutung das hat. Es genügt auch, daſs sie sagen, daſs „das Gesetz“ unter Mitwirkung einer näher geordneten Volksvertretung zustande kommt; dann wissen wir, daſs dieses Gesetz mit der be- kannten Kraft der gesetzgebenden Gewalt wirkt, alles übrige mit der der vollziehenden. So selbstverständlich ist das jetzt alles. Damit eine Trennung dieser Gewalten bestehe, ist erforderlich, daſs der menschliche Wille, welcher die eine davon trägt, nicht zu- gleich auch der Träger der andern sei. Die Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts hatten sich das so ausgedacht, daſs die Ge- walten zwischen sich gegenüber stehenden Rechtssubjekten glattweg ge- teilt werden müſsten, so daſs jedem die seinige ganz und selbständig zukomme. In diesem Sinne hat denn auch die erste französische Verfassung einfach die gesetzgebende Gewalt der Volksvertretung, die vollziehende dem König überwiesen. Für die Wahrung des Grundsatzes ist aber eine so plumpe Aus- einanderhaltung durchaus nicht nötig. Spätere Verfassungen haben dem chef du pouvoir exécutif, namentlich wenn er sich König oder Kaiser nannte, unbedenklich einen maſsgebenden Anteil auch an dem Zustandekommen des Gesetzes zugewiesen. Es genügt, daſs neben seinem Willen noch ein anderer Wille, der der Volksvertretung, dabei wirksam werde, dann ist die Trennung der Gewalten da; gesetz- gebende und vollziehende Gewalt sollen nur nicht lediglich auf dem gleichen Willen ruhen 3. In dieser Weise ist unverkennbar die Trennung der Gewalten auch bei uns zur Durchführung gelangt. Die Idee der Volkssouverä- netät liegt ja unserem Staatswesen nicht zu Grunde; die Trennung der Gewalten hängt aber auch nicht daran. Alle unsere Verfassungen haben dem Fürsten eine Volksvertretung zur Seite gestellt, deren Zu- stimmung notwendig ist, wenn das Gesetz zustande kommen soll; das genügt vollständig. Ob die Verfassungsurkunde geradezu von einer 3 Um das auszudrücken, pflegen die französischen Schriftsteller ein Wort von Monnier zu wiederholen aus seinem discours sur le projet de constitution 13. Aug. 1789: die Gewalten sollen danach nicht sein entièrement séparés; es ge- nügt, daſs sie divisés sind, unterscheidbar. Montlosier, de la monarchie française (1816!) II cap. 20 S. 326, sucht den Gedanken durch die Übertreibung zu widerlegen: „Entendons-nous par là trois pouvoirs indépendants et souverains? Il faudrait par là même entendre trois Etats distincts“. Das trifft nicht zu, weil diese Gewalten gegenseitig bedingt und durch die Ineinanderschiebung ihrer Trägerschaft verbunden sind; aber wahr ist, daſs jede ein lebendiges Stück Staatsgewalt vorstellt, keine bloſse Funktion.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/89>, abgerufen am 21.11.2024.