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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 5. Der Rechtsstaat.
waltung, gleichfalls gebunden an das Gesetz, ordnet ihrerseits, so
weit es nötig ist, ihre Geschäfte durch obrigkeitliche Aussprüche,
durch welche gebunden wird, was thatsächlich geschehen soll. Das
thut sie in Form der Verwaltungsrechtspflege, das thut sie in noch
viel weiterem Masse und in vielgestaltiger Weise durch den einfachen
Verwaltungsakt, acte administratif. Dieser hochwichtige Begriff
des Verwaltungsaktes ist stillschweigend schon gegeben in der Parallel-
stellung, welche der Verwaltung unter dem Gesetz neben der Justiz
angewiesen ist. Vor der Revolution ist er völlig unbekannt. Mit der
Neuordnung der Staatsgewalt ist er auf einmal da, ein Erzeugnis der
separation des pouvoirs10. Er bildet für die Verwaltung das not-
wendige Seitenstück des Urteils der Gerichte, notwendig zum Zweck
der Durchführung ihrer rechtlichen Gleichwertigkeit. Deshalb wird von
Anfang an mit aller Entschiedenheit seine eigne Gleichwertigkeit mit
dem Urteil festgehalten. Er hat dessen Kraft und Wirkung und
massgebende Stellung und weicht nur so weit ab, als die ganz anders
gestalteten Umstände, unter denen er in der Verwaltung aufzutreten
und zu wirken hat, es mit sich bringen. Das mag äusserlich noch
so viel und auffallend sein, der wesentliche Kern von Übereinstimmendem
bleibt bestehen11. In den Gesetzen, in der Rechtsprechung, in der
wissenschaftlichen Behandlung des Verwaltungsrechts dreht sich seither
alles um diesen Verwaltungsakt, der für die Gestaltung des Ver-
waltungsrechtes ebenso wichtig ist, wie der des Gesetzes, wenn er
auch von weit weniger Glanz und Geräusch umgeben ins Leben trat.

10 Die grosssen Repertorien des Rechts, die unmittelbar vor der Revolution
erschienen, kennen noch keinen acte administratif. Denisart, collection de de-
cisions nouvelles (1771) I S. 45, und Guyot, repertoire (1784) I S. 137, geben dem
Wort acte nur eine Bedeutung für Justiz und Civilrecht. In ihren breiten Aus-
einandersetzungen über diesen Begriff kommt der acte administratif nicht vor.
Beweiskräftig ist namentlich das berühmte Repertorium von Merlin. Es ist
entstanden aus dem eben erwähnten Werke von Guyot. Dasselbe wurde von der
dritten Auflage ab von Merlin unter seinem Namen herausgegeben und mit den-
jenigen Zusätzen versehen, welche das neue Recht erforderte. In der Auflage von
1812 erscheint denn auch zum erstenmale ein Artikel: acte administratif, als eigener
Zusatz von Merlin gekennzeichnet. Chauveau, competence et juridiction ad-
ministrative (1841) I N. 406 "depuis un demi-siecle que le pouvoir administratif
et judiciaire ont ete separes .. dans les lois, dans les arrets, dans les arrets que
de fois les mots acte administratif ont ils ete employes etc." Dalloz, repertoire Vo
acte administratif n. 2: bemerkt: im ältern Rechte hätte es kein Interesse gehabt,
"a rechercher les caracteres des actes administratifs". Es gab einfach solche
caracteres noch nicht.
11 Henrion de Pansey, de l'autorite judiciaire cap. 39, führt schon im Jahre
1810 diesen Vergleich zwischen Urteil und Verwaltungsakt durch.

§ 5. Der Rechtsstaat.
waltung, gleichfalls gebunden an das Gesetz, ordnet ihrerseits, so
weit es nötig ist, ihre Geschäfte durch obrigkeitliche Aussprüche,
durch welche gebunden wird, was thatsächlich geschehen soll. Das
thut sie in Form der Verwaltungsrechtspflege, das thut sie in noch
viel weiterem Maſse und in vielgestaltiger Weise durch den einfachen
Verwaltungsakt, acte administratif. Dieser hochwichtige Begriff
des Verwaltungsaktes ist stillschweigend schon gegeben in der Parallel-
stellung, welche der Verwaltung unter dem Gesetz neben der Justiz
angewiesen ist. Vor der Revolution ist er völlig unbekannt. Mit der
Neuordnung der Staatsgewalt ist er auf einmal da, ein Erzeugnis der
séparation des pouvoirs10. Er bildet für die Verwaltung das not-
wendige Seitenstück des Urteils der Gerichte, notwendig zum Zweck
der Durchführung ihrer rechtlichen Gleichwertigkeit. Deshalb wird von
Anfang an mit aller Entschiedenheit seine eigne Gleichwertigkeit mit
dem Urteil festgehalten. Er hat dessen Kraft und Wirkung und
maſsgebende Stellung und weicht nur so weit ab, als die ganz anders
gestalteten Umstände, unter denen er in der Verwaltung aufzutreten
und zu wirken hat, es mit sich bringen. Das mag äuſserlich noch
so viel und auffallend sein, der wesentliche Kern von Übereinstimmendem
bleibt bestehen11. In den Gesetzen, in der Rechtsprechung, in der
wissenschaftlichen Behandlung des Verwaltungsrechts dreht sich seither
alles um diesen Verwaltungsakt, der für die Gestaltung des Ver-
waltungsrechtes ebenso wichtig ist, wie der des Gesetzes, wenn er
auch von weit weniger Glanz und Geräusch umgeben ins Leben trat.

10 Die groſssen Repertorien des Rechts, die unmittelbar vor der Revolution
erschienen, kennen noch keinen acte administratif. Denisart, collection de dé-
cisions nouvelles (1771) I S. 45, und Guyot, répertoire (1784) I S. 137, geben dem
Wort acte nur eine Bedeutung für Justiz und Civilrecht. In ihren breiten Aus-
einandersetzungen über diesen Begriff kommt der acte administratif nicht vor.
Beweiskräftig ist namentlich das berühmte Repertorium von Merlin. Es ist
entstanden aus dem eben erwähnten Werke von Guyot. Dasselbe wurde von der
dritten Auflage ab von Merlin unter seinem Namen herausgegeben und mit den-
jenigen Zusätzen versehen, welche das neue Recht erforderte. In der Auflage von
1812 erscheint denn auch zum erstenmale ein Artikel: acte administratif, als eigener
Zusatz von Merlin gekennzeichnet. Chauveau, compétence et juridiction ad-
ministrative (1841) I N. 406 „depuis un demi-siècle que le pouvoir administratif
et judiciaire ont été séparés .. dans les lois, dans les arrêts, dans les arrêts que
de fois les mots acte administratif ont ils été employés etc.“ Dalloz, répertoire Vo
acte administratif n. 2: bemerkt: im ältern Rechte hätte es kein Interesse gehabt,
„à rechercher les caractères des actes administratifs“. Es gab einfach solche
caractères noch nicht.
11 Henrion de Pansey, de l’autorité judiciaire cap. 39, führt schon im Jahre
1810 diesen Vergleich zwischen Urteil und Verwaltungsakt durch.
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[59/0079] § 5. Der Rechtsstaat. waltung, gleichfalls gebunden an das Gesetz, ordnet ihrerseits, so weit es nötig ist, ihre Geschäfte durch obrigkeitliche Aussprüche, durch welche gebunden wird, was thatsächlich geschehen soll. Das thut sie in Form der Verwaltungsrechtspflege, das thut sie in noch viel weiterem Maſse und in vielgestaltiger Weise durch den einfachen Verwaltungsakt, acte administratif. Dieser hochwichtige Begriff des Verwaltungsaktes ist stillschweigend schon gegeben in der Parallel- stellung, welche der Verwaltung unter dem Gesetz neben der Justiz angewiesen ist. Vor der Revolution ist er völlig unbekannt. Mit der Neuordnung der Staatsgewalt ist er auf einmal da, ein Erzeugnis der séparation des pouvoirs 10. Er bildet für die Verwaltung das not- wendige Seitenstück des Urteils der Gerichte, notwendig zum Zweck der Durchführung ihrer rechtlichen Gleichwertigkeit. Deshalb wird von Anfang an mit aller Entschiedenheit seine eigne Gleichwertigkeit mit dem Urteil festgehalten. Er hat dessen Kraft und Wirkung und maſsgebende Stellung und weicht nur so weit ab, als die ganz anders gestalteten Umstände, unter denen er in der Verwaltung aufzutreten und zu wirken hat, es mit sich bringen. Das mag äuſserlich noch so viel und auffallend sein, der wesentliche Kern von Übereinstimmendem bleibt bestehen 11. In den Gesetzen, in der Rechtsprechung, in der wissenschaftlichen Behandlung des Verwaltungsrechts dreht sich seither alles um diesen Verwaltungsakt, der für die Gestaltung des Ver- waltungsrechtes ebenso wichtig ist, wie der des Gesetzes, wenn er auch von weit weniger Glanz und Geräusch umgeben ins Leben trat. 10 Die groſssen Repertorien des Rechts, die unmittelbar vor der Revolution erschienen, kennen noch keinen acte administratif. Denisart, collection de dé- cisions nouvelles (1771) I S. 45, und Guyot, répertoire (1784) I S. 137, geben dem Wort acte nur eine Bedeutung für Justiz und Civilrecht. In ihren breiten Aus- einandersetzungen über diesen Begriff kommt der acte administratif nicht vor. Beweiskräftig ist namentlich das berühmte Repertorium von Merlin. Es ist entstanden aus dem eben erwähnten Werke von Guyot. Dasselbe wurde von der dritten Auflage ab von Merlin unter seinem Namen herausgegeben und mit den- jenigen Zusätzen versehen, welche das neue Recht erforderte. In der Auflage von 1812 erscheint denn auch zum erstenmale ein Artikel: acte administratif, als eigener Zusatz von Merlin gekennzeichnet. Chauveau, compétence et juridiction ad- ministrative (1841) I N. 406 „depuis un demi-siècle que le pouvoir administratif et judiciaire ont été séparés .. dans les lois, dans les arrêts, dans les arrêts que de fois les mots acte administratif ont ils été employés etc.“ Dalloz, répertoire Vo acte administratif n. 2: bemerkt: im ältern Rechte hätte es kein Interesse gehabt, „à rechercher les caractères des actes administratifs“. Es gab einfach solche caractères noch nicht. 11 Henrion de Pansey, de l’autorité judiciaire cap. 39, führt schon im Jahre 1810 diesen Vergleich zwischen Urteil und Verwaltungsakt durch.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/79>, abgerufen am 22.12.2024.